Portraits & Interviews

Interview mit der südkoreanischen Textilünstlerin Shin-hee Chin

Shin-hee Chin präsentierte 2025 eine Ausstellung beim Carrefour Européen du Patchwork und gab dort einen Kurs in ihrer speziellen Technik Random Weave and Stitch. Was das ist, erfahren Sie im Interview.

Here you can read the interview in English.

Wo sind Sie aufgewachsen und wo leben Sie heute?

Ich bin in Seoul, Südkorea, geboren und aufgewachsen, wo ich die erste Hälfte meines Lebens verbracht habe. Die zweite Hälfte habe ich in den Vereinigten Staaten verbracht – zuerst an der Westküste in Kalifornien, dann in Maryland und Michigan und jetzt in McPherson, Kansas.

Diese bikulturelle Erfahrung hat meine Identität und meine künstlerische Stimme tiefgreifend geprägt. Ich habe meinen Bachelor und Master of Fine Arts an der Hong-Ik-Universität in Seoul erworben und nach meiner Einwanderung in die USA einen Master in Textilkunst an der California State University in Long Beach gemacht, während ich zwei Kinder großzog. Seit zwei Jahrzehnten unterrichte ich Zeichnen, Malerei, Farbtheorie und Mixed Media am Tabor College in Kansas.

Was sind Ihre wichtigsten künstlerischen Einflüsse?

Da ich zwischen zwei Kulturen aufgewachsen bin, habe ich mich ständig mit Dualitäten auseinandergesetzt – Ost und West, männlich und weiblich, Kunst und Handwerk. Meine Arbeit spiegelt diesen fortwährenden Dialog und die Versöhnung zwischen gegensätzlichen Welten wider. Ich lasse mich auch von christlicher Spiritualität, östlicher Philosophie und feministischem Denken inspirieren, die mich dazu ermutigen, die Stimmen von Frauen zu erforschen, die zum Schweigen gebracht oder übersehen wurden.
Als Kind war mein Vater, ein Professor für englische Literatur, mein größter Einfluss. Er ermutigte mich, meine Identität anzunehmen und meine Träume zu verfolgen. Später motivierte mich Herr Kim, ein zurückgezogen lebender Maler aus meiner Heimatstadt, mein künstlerisches Potenzial auszuschöpfen, während Professor Im mir half, Kunst mit philosophischer Tiefe zu verbinden.

Erzählen Sie uns etwas über Ihren Hintergrund in der Textilkunst.

Ich habe ursprünglich Malerei und Oberflächengestaltung studiert, aber nach meinem Umzug in die USA habe ich mich der Textilkunst zugewandt, weil sie mir sowohl vertraut als auch konzeptionell reichhaltig erschien. Ich war von ihren taktilen Eigenschaften und ihrer historischen Tiefe fasziniert.

Im Graduiertenstudium begann ich, Textilskulpturen aus recycelter Kleidung und Resten aus dem Webstudio herzustellen. Meine Abschlussausstellung „A Room of My Own” befasste sich mit der Hausarbeit von Frauen anhand wiederverwendeter Materialien. Später schenkte mir meine neunzigjährige Nachbarin eine Kiste mit Stoffresten, und ich begann, Yo-Yos – kleine, geraffte Stoffkreise – herzustellen, was zu meinem ersten Porträt-Quilt führte.
Im Laufe der Zeit entwickelte ich meine eigenen Techniken, darunter Yo-Yo-Porträt-Quilts, Fabric Coiling und Random Weave and Stitch.
Yo-Yo-Porträt-Quilt: Durch das Nähen Tausender Yo-Yos habe ich Porträts geschaffen, die Individualität und Verbundenheit zelebrieren.

Fabric Coiling: In Anlehnung an die traditionelle koreanische Ji-Seung-Papierkordeltechnik verdrehe und vernähe ich recycelte Stoffe zu skulpturalen Formen.
Random Weave and Stitch: Ich verwende recycelte Fäden, die ich aufwickle und frei von Hand zu mehrschichtigen Oberflächen vernähe. Dieser Prozess ist intuitiv und meditativ.

Was fasziniert Sie am meisten an der Textilkunst?

Textilkunst bewahrt Erinnerungen. Sie trägt Spuren von Arbeit, Sorgfalt und Zeit. Mich faszinieren ihre Weichheit und Stärke sowie ihre Fähigkeit, Geschichten durch Berührung zu verkörpern. Die Arbeit mit Stoff fühlt sich zutiefst menschlich an – ein Akt der Verbindung und Heilung.

Welche Techniken verwenden Sie?

Ich kombiniere Quilten, Sticken, Weben und Schichten. Durch meine Random Weave and Stitch lässt sich die Form vom Material selbst bestimmen. Ich verwende auch recycelte Stoffe – alte Kleidung, Decken und Fäden –, um ausrangierten Materialien neues Leben einzuhauchen.

Welche Techniken wurden in „Gravity and Grace“ verwendet?

Inspiriert von Simone Weils „Gravity and Grace“ habe ich zwei gegensätzliche Kräfte visualisiert – die Schwerkraft, die nach unten zieht, und die Anmut, die nach oben hebt. Ich habe meine Random Weave and Stitch Methode auf einer wiederverwerteten Steppdecke angewendet und Fäden wiederholt aufgetrennt und neu vernäht, um die Fluidität und Vergänglichkeit des Lebens abzubilden.

In „Gravity and Grace“ habe ich Quilten und Handnähen übereinander kombiniert, um die Spannung zwischen Gewicht und Transzendenz auszudrücken. Mit wiederverwerteten Textilien und Fäden habe ich den Dialog zwischen Leiden und Hoffnung erforscht.

Bitte beschreiben Sie Ihren kreativen Prozess.

Meine Arbeit beginnt oft mit einer Frage oder einer Emotion – etwas Ungelöstem. Ich beginne zu skizzieren, sammle Materialien und fange dann an zu nähen. Der Prozess ist meditativ, eine Art des Denkens mit meinen Händen. Ich arbeite langsam und lasse Wiederholungen und Zeit zu, um das Werkstück zu formen.

Normalerweise bereite ich die Materialien im Voraus vor – ich färbe Stoffe, fertige Yo-Yo-Blöcke an oder sortiere Fäden –, aber ich bin auch offen für Improvisation. Oft arbeite ich an mehreren Werken gleichzeitig und lasse unvollendete Arbeiten sich auf natürliche Weise entwickeln. Das Reinigen und Vorbereiten des Ateliers ist ebenfalls Teil meines Rhythmus; es gibt mir mentalen und physischen Raum zum Schaffen.

Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Meine Arbeit ist eine visuelle Meditation über Erinnerung, Identität und Transformation. Mit einfachen Materialien und langsamen Prozessen erforsche ich die Koexistenz von Fragilität und Widerstandsfähigkeit. Als Einwanderin und Frau verwebe ich persönliche und kollektive Geschichten miteinander und verwandle alltägliche Arbeit in eine Sprache der Anmut und Zugehörigkeit.

Website: www.shinheechin.com
Instagram: @shinheechin
Facebook: shinhee.chin
Facebook Page: Shin-hee Chin 강신희