Reportagen

Reportage über das Carrefour Européen du Patchwork 2023, Teil 1

Die junge französische Polizistin ist schwarz gekleidet und schwer bewaffnet. Sie geht mit großen Augen durch die Ausstellung in Mehrzwecksaal im Liepvre, zwei ältere Kollegen, ebenso martialisch ausgerüstet und eher amüsiert über ihre Begeisterung, neben ihr. Ich spreche sie an und frage sie, ob sie selber näht, ja, Bettlaken für ihr Kind habe sie schon genäht. Was ihr denn am besten gefällt, will ich wissen, offensichtlich die traditionellen Arbeiten. Ich schickte sie zu den Arbeiten der Koranerinnen, die ihr hoffentlich so gut gefallen wie mir. Da erinnerte mich manches an Pojagi.

Liepvre war aber schon die dritte Station in meinem Rundgang durch das Carrefour européen du Patchwork im Jahr 2023. Begonnen habe in meinen Rundgang durch die Dörfer des Val d’Argent in Sainte-Marie-aux-Mines. Einer der Schwerpunkte des Carrefour in diesem Jahr waren afroamerikanische Quilts. Auffällig für mich waren die vielen figürlichen Arbeiten unter anderem der Künstlerin Aliyah Bonnette. Sie sagt selber, ihre Arbeit sei stark von ihren Beziehungen zu ihren verstorbenen Großmüttern, ihren Vorfahren oder ihren „Verwandten“, wie sie sie nenne, beeinflusst. Im Laufe der Zeit habe sie sich ein improvisiertes Quilten beigebracht, um eine physische Verbindung zu ihrer Großmutter und den Praktiken ihrer weiblichen Vorfahren herzustellen. Indem sie die Stoffe und unvollendeten Quilts verwende, die meine Großmutter berührt und genäht hat, werde ihre Arbeit zu einem Raum, in dem die Geschichten und Erinnerungen schwarzer Frauen über Generationen hinweg zusammengebracht werden. Ihre Arbeit erzähle die Geschichte einer schwarzen Frau auf der Suche nach sich selbst. Manche ihrer Werke fand ich sehr humorvoll.

Die Musik war Thema eines Wettbewerbs der National African American Quilt Guild (NAAQC). Gewürdigt werden sollten die Beiträge der Afroamerikaner in der Welt der Jasszmusik. 37 Artquilts griffen zahlreiche Apekte der Jazzmusik auf. Hier unter anderem eine Arbeit über die Sängerin Ella Fitzgerald.

In der Eglise St. Louis zeigte Dieter Filler, was ihn inspiriert: Ein Wort in einem Gespräch, ein Zitat aus einem Buch, die Natur, die Schönheit eines Stoffs, soziale Phänomene, eine Frage, die Auswirkungen der Wegwerfgesellschaft, die Farben der Straßen und der Natur, Verbindungen von Farben etc. Er nutzt alle Arten von Stoffen, sowohl Naturfasern als auch Synthetiks, außerdem Metall, PET-Flaschen, Verpackungsmaterial, Filz, Polyethylen-Planen usw.

Die Gruppe Studio Art Quilts, kurz SAQA, bespielte den Espace des Tisserants mit Arbeiten zum Thema Minimalism, definiert als Kombination von Linien, Formen und Farben, die das Wesentliche herausheben.

Sehr enttäuscht war ich, als ich zum Stand des Dairy Barn Arts Center kam. Das Center veranstaltet alle zwei Jahre eine große internationale Ausschreibung, das Quilt National. Dazu wird ein sehr schöner Katalog herausgegeben, den ich hoffte, in Ste Marie aux Mines kaufen zu können. Aber nein, die Vertreterinnen des Dairy Barn hatten keine Kataloge mitgebracht, Transport, Zoll etc. etc. Wenn man nämlich versucht, den Katalog in America zu bestellen, muss man neben den 40 Dollar, die der Katalog kostet, noch einmal 45 Dollar an Versandgebühren bezahlen. Sie verstehen meine Enttäuschung darüber, dass ich den Katalog nicht in Europa bekommen konnte. Schöne Quilts aus der Ausschreibung gab es dennoch zu sehen.

Pascale Goldenberg, die Gründerin von Guldusi (www.guldusi.com) präsentierte in der Eglise St-Nicolas in Sainte-Croix-aux-Mines eine Fülle von kleinen und großen Arbeiten im Rahmen einer Retrospektive mit dem Titel „Afghanistan with Love“. Zahlreiche Stickereien, erzählte sie, seien bei langen Bahnfahrten entstanden. Für die Stickereien habe sie Reststücke weißer Bettlaken verwendet, die vor und nach der Arbeit der Stickerinnen in Afghanistan übrig blieben.

Ganz begeistert war ich von den Arbeiten von Annie Bugnon. Die blauen Steine im ersten Werk, erklärte ihr Mann, seien ägyptische Fayencen. Die Künstlerin sei ursprünglich Keramikerin und bringe jetzt auch Teile wie diese ägyptischen Fyaencen in ihre Arbeiten ein. Außerdem präsentierte die Künstlerin Werke, die die Arbeit von Stickerinnen, Strickerinnen, Weberinnnen und Spitzenklöpplerinnen vergangener Zeiten würdigen sollen. Sie sammelt, wäscht und zertrennt Textilien aus aller Welt und baut beeindruckende Skulpturen.

Arbeiten von Heidi Drahota waren im Festsaal von Sainte-Croix-aux-Mines zu sehen. Im Katalog lese ich, dass sie gern Werke über gesellschaftskritische und politische Themen kreiert.  Zu der Arbeit „Rückeroberung“ sagt sie: „Überbordende Natur gegen Canyons, Straßen und Hochbahnen: Es gibt immer mehr versiegelte Flächen, die kein Wasser mehr aufnehmen können. Das ist eines der Probleme in unserer Welt. Hoffentlich holt sich die Natur die Welt zurück, die der Mensch zubetoniert hat. Oder die Menschen schaffen ein Umdenken.“

Teil 2 der Reportage folgt in wenigen Tagen.