Mit welch raffinierter Leichtigkeit Stickerei seit jeher Kleidung und Accessoires verschönt, verwandelt und veredelt, lässt sich noch bis zum 29.03.2020 im Leipziger GRASSI Museum für Angewandte Kunst erleben. In der Sonderausstellung „HISTORY IN FASHION 1500 Jahre Stickerei in Mode“ werden über 150 Objekte aus 1500 Jahren gezeigt, die in ihrer Präsenz ebenso wie in ihrer sammlungshistorischen Aufarbeitung eine Kulturgeschichte der Menschheit erzählen, die stetig fortgeschrieben wird.
Obwohl die Ausstellung mit der Präsentation von sehr alten und überaus seltenen fragmentarischen Stücken beginnt, etwa einem bestickten Medaillon aus Oberägypten (4.-7. Jahrhundert), und abschließend in die Präsentation von künstlerischen Textilobjekten übergeht, geschaffen von Studierenden des Studiengangs Textildesign der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, folgt sie doch keineswegs im klassischen Sinne einer chronologischen Darbietung der Objekte. Vielmehr nähert sich die Ausstellung auf fünf Themenfeldern epochenübergreifend und aus der historischen Perspektive der Kulturtechnik auf vielerlei Ebenen:
I. Kleidung als Bedeutungsträger: Zeichen, Text, Bild
II. Inspiration Flora: blühende Pracht, reine Natürlichkeit, verlorenes Paradies
III. Materialvielfalt: mehr als Gold, Silber und Pailletten
IV. Andere Kulturen: Anregungen und Ideenaustausch
V. Technik vor ReUse und Upcycling
Getragen von der Inspiration der jungen Kreativen aus der Burg Giebichenstein eröffnet die Ausstellung auf einem sechsten Themenfeld einen Ausblick in die Zukunft der Stickerei und zeigt, wie diese die Modewelt von morgen bereichern könnte. Bemerkenswert ist zweifellos, dass die hier ausgestellten historischen Objekte aus dem Bestand des Grassi Museums für Angewandte Kunst stammen. Viele werden das erste Mal der Öffentlichkeit gezeigt. So ist neben ihrer kulturhistorischen Einordnung ebenso die Überlieferung dieser Objekte spannend, da dadurch von der gewandelten Auseinandersetzung der Menschen mit ihren Kulturgütern berichtet wird. Das genannte spätrömische Medaillon schmückte einst wohl eine Tunika und gelangte 1898 mit rund 190 weiteren textilen Objekten aus der Sammlung des deutschen Konsuls in Kairo durch Ankauf in das Museum.
Als vor etwa 150 Jahren die Grundlagen der textilen Sammlung des Museums geschaffen wurden, sollten insbesondere Musterbeispiele zusammengetragen werden, die technisch, gestalterisch und ästhetisch im Geist der Zeit als vorbildhaft galten. Das lässt sich bis heute sehr gut in der Präsentation der bestimmten Epochen zugeordneten Dauerausstellungen des Museums nachvollziehen. Dass private Garderoben als Gesamtensemble in den Bestand gelangten, kam dagegen selten vor.
Auch die Herangehensweise in der Aufarbeitung der historischen Objekte hat einen Wandel erlebt. Während vor einigen Jahrzehnten die behutsame Rekonstruktion favorisiert wurde, um die Objekte in alter Pracht zu präsentieren, schätzen Wissenschaftler und Betrachter inzwischen weit stärker die Aussagekraft der fragilen, durch die Zeitläufte gekennzeichneten Schönheit der Originale. Durch die sichtbaren Spuren des Gebrauchs und der Vergänglichkeit erzählen sie von ihren Herstellern und Nutzern oft auf weit nachvollziehbarere Weise.
Indem die ersten Exponate der Ausstellung jene ältesten Fragmente der Textilsammlung des Hauses zeigen, dokumentieren sie eindrücklich, wie seit langer Zeit zwischenmenschliche Kommunikation über das Element Kleidung funktioniert hat. Das Besticken ermöglichte es bereits früh, die Bedeutung der Kleidung durch Zeichen, Schrift und Bilder anzureichern und damit Stoffen, Farben wie Schnitten ein weiteres Element hinzuzufügen, um somit den Körper des Trägers sozial und räumlich zu verorten. Indem etwa dem frühbyzantinischen Leinenfragment mit eingestickter Inschrift ein zeitgenössisches T-Shirt mit aufgestickten Wörtern gegenübergestellt wird, fühlt sich der Betrachter unmittelbar aus der historischen Perspektive in die eigene Erlebniswelt des Konsumierens versetzt. Haben sich auch Techniken und Inhalte verändert, verwenden wir bis heute Kleidung als Verständigungsmittel im Umgang mit anderen.
In der inhaltlichen und ästhetischen Aufwertung von Kleidung ließen sich die Gestalter und die Träger gerne von der Natur inspirieren. Blüten, Knospen, Blätter, ob stilisiert oder möglichst natürlich nachgeahmt, haben religiöse Würdenträger ebenso erfolgreich geschmückt wie elegante Damen und Herren im Barock und Rokoko. Das dokumentieren beispielsweise mit zierlichen Ranken und Blüten bestickte Damenhandschuhe, denen als Gegenstück etwa ein farbenfroh mit floralen Motiven verschönertes Stiefelpaar aus dem 20. Jahrhundert zugeordnet werden kann.
Auch die Vorliebe für Gold, Silber und Pailletten hat sich in verschiedenen Epochen auf unterschiedliche Weise in der Textilherstellung gezeigt. So waren die spezialisierten Goldsticker in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit hoch angesehen und konnten die Position eines Hofkünstlers innehaben. In Leipzig wurde bereits 1681 die erste deutsche Manufaktur gegründet. Die dort hergestellten Golddrähte wurden zu feineren Goldlahnfäden weiterverarbeitet. Da das Material viel zu kostbar war, um es auf der Rückseite eines Textilstückes ungesehen zu verwenden, hefteten es die Sticker in Anlegetechnik auf die Oberfläche des Stoffes. Die Umsetzung dessen, wie auch weitere Stickerei-Techniken, können die Besucher auf einem Film in der Ausstellung verfolgen. Wie beliebt und geschätzt glitzernde Fäden und funkelnde Pailletten auch in der Moderne waren, ist anhand der stilvoll bestickten Tanz- und Gesellschaftskleider der wilden Zwanziger nachzuvollziehen. Wie eine neue Interpretation alter Techniken wirkt demgegenüber die elektronische Stickerei eines selbst leuchtenden LED-Kleid eines Schweizer Modehauses aus dem Jahre 2014. Nach dem Andrang der Betrachter geschlussfolgert, kann es sicher als ein Highlight der Ausstellung gelten.
Es ist faszinierend, durch die Ausstellung zu gehen und immer wieder den Blick durch die Gegenüberstellung von historischen Objekten und modisch-modernen bis hin zu künstlerischen Textilstücken zu schärfen, um die technische und gestalterische Vielfalt der Stickerei zu würdigen. Die Exponate demonstrieren, dass Schönheit zweifellos das Potential zur Herrschaft über andere besitzt. Was schön ist, mag dabei immer etwas variieren, und lässt sich durch modische Ergänzungen ins rechte Licht setzen. Ein Gedanke, der sich bis in unsere heutige Zeit der individuellen Optimierung fortsetzt.
Die Kombination von Schönheit und Mode ist wie eine Bühne, auf der sich nicht allein der persönliche Geschmack, sondern ebenso Politik, Kunst und Wissenschaft einer Epoche spiegeln. Geschichte wird lesbar anhand von Stickereien auf Brokat, seidenen Stoffen, gefärbter Baumwolle. Mode ist dabei ein Phänomen, das die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Eroberung der Natur, das Verständnis der Gesetze der Physik oder die Erfindung der Dampfmaschine in sich vereint. Schönheit und Herrschaft und Ökonomie sind untrennbar miteinander verbunden. Trotz aller materiellen Dimensionen besitzt das Schöne, das sich im Modischen steigert, einen unbestreitbar metaphysischen Wert. Schon die Griechen erkannten in schönen Menschen die von den Göttern geliebten und unterwarfen sich ihnen. Überliefert ist, dass für Platon die wahre Schönheit mit der Idee des Wahren und Wahrheit mit der Idee des Guten verbunden sei. Im Schönen glänze das Wahre oder „Pulchrum est splendor veri“, was übersetzt so viel heißt wie: „Das Schöne ist der Glanz des Wahren“. Wer sich diesem Phänomen nähern möchte, sollte diese kluge ausgewählte, über die Epochen hinweg verbindende und zum genauen Beobachten anregende Ausstellung „HISTORY IN FASHION 1500 Jahre Stickerei in Mode“ nicht verpassen. Sie ist ein wahrer Augenöffner!
Die Ausstellung HISTORY IN FASHION ist noch bis zum
29. März 2020 zu sehen im Grassi Museum in Leipzig
Öffnungszeiten: Di – So, Feiertage: 10 – 18 Uhr, montags geschlossen,
www.grassimak.de