Portraits & Interviews

Interview mit der Strick-Designerin Stine Uldal

Stine Uldal habe ich bei einer Kunsthandwerksmesse in Straßburg kennen gelernt. Sie wollte mir unbedingt die Geschichte von ihrem Schal des Mitgefühls erzählen, den ich gekauft habe, und ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen und zugehört habe! Im folgenden Interview können Sie die Geschichte lesen, wenn es auch schade ist, dass Sie Stine und ihre lebhafte Erzählweise nicht erleben können.

Haben Sie schon als Kind gerne gestrickt?

Ich habe einen älteren und einen jüngeren Bruder. Unsere Großmutter in Norwegen gab uns ab und zu Geld für Süßigkeiten und sie wusste, dass ich für das Geld Garn kaufen würde. Ich glaube, ich habe mehr Geld bekommen als meine Brüder. Meine Großmutter in Norwegen und meine Großmutter in Dänemark waren beide sehr textilorientiert und auch meine Mutter. Als ich 5 Jahre alt war, lernte ich von meiner Mutter stricken. Meine dänische Großmutter dachte, ich würde häkeln, und meine norwegische Großmutter war mehr an der Stickerei interessiert. So hatte ich immer jemanden, den ich fragen konnte. Wenn man mich fragt, ob ich schon als Kind gerne gestrickt habe, muss ich wohl antworten, dass ich von Anfang an mit dem textilen Material beschäftigt war.

Wie haben Sie die anspruchsvolle Form des Strickens gelernt, die Sie praktizieren?

Danke, dass Sie es als anspruchsvoll bezeichnen. Ich fasse das als Kompliment auf. Mein Vater ist Architekt in Norwegen. Als Kinder haben wir sehr oft darüber diskutiert, was gut aussieht und was nicht. Wir konnten am Tisch sitzen und über die Form eines Weinglases oder einer Flasche diskutieren. Ich denke oft,  dass ich etwas sehe, das mein Auge erfreut. Und das Gegenteil!

Ich habe viele Design-Ausbildungen, aber wenn Sie so fragen, dann gibt es zwei besondere Lehrer, die mir viel bedeutet haben, Mette Kockmic und Susanne Rishede. Die eine hat mich in  Design unterrichtet, und dank der anderen habe ich mich total in meine Strickmaschine verliebt.

Erzählen Sie uns die Geschichte des Schal des Mitgefühls

Dieser Schal hat eine ganz besondere Geschichte:
Ich habe meinen guten Freund Håkon besucht, der zu Hause in Norwegen Priester ist. Er lud mich zu einem seiner Gottesdienste ein. An Allerheiligen wurden die 27 Mitglieder seiner Gemeinde, die im Laufe des Jahres einen ihrer Lieben verloren hatten, eingeladen. Es war eine traurige Feier, aber ein guter Ort, um traurig zu sein. Bei der Feier ging es vor allem darum, wie wir uns umeinander kümmern, wenn das Leben unerträglich ist.

In seiner Predigt sagte Håkon:
„Die Trauer ist wie ein spitzes Dreieck, das im Herzen sitzt und sich immer wieder dreht. Es tut jedes Mal weh, wenn das Dreieck sich dreht.
Aber … jedes Mal, wenn das Dreieck sich dreht, werden die Spitzen abgeschliffen, und schließlich dreht sich das Dreieck und wird zu einer Perle in Ihrem Herzen.“

Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Ich musste sie einfach stricken.
Ich habe also einen Schal gestrickt, am einen Ende ist ein Dreieck, das sich über die Länge des Schals an den Spitzen immer mehr abrundet und schließlich zu einem schönen runden Kreis wird … mit einer Perle.

Sie stricken gern Kreise. Erzählen Sie uns mehr darüber.

Meine gestrickten Kreise sind eigentlich ein Zufall. Im April 2010 gab es eine Aschewolke über Island und alle Flüge in Europa wurden gestrichen. Wir hörten von der Mutter, die nicht zur Hochzeit ihrer Tochter nach Hause kommen konnte, und von dem Vater, dessen Frau hochschwanger war und der zur Geburt nicht nach Hause kommen konnte. Ein großer Teil meiner Familie ist in Norwegen und unser Sohn wurde gerade konfirmiert. In Dänemark ist das ein großes Fest, aber der norwegische Teil der Familie konnte nicht einfliegen.
Deshalb mussten wir die Feier ausfallen lassen (… was für mich sehr praktisch war. Ich war überhaupt nicht vorbereitet. Die Fenster waren nicht geputzt und all das!!)
Aber dann überlegte ich: Eine Aschewolke auf Island. Sehen Sie, wie viele Ringe im Wasser Asche macht! Ich zeichnete Ringe/Kreise auf meinen Block und dann kam mir der Gedanke: Ob ich wohl einen Kreis stricken könnte? Und das konnte ich.

So begann die Sache mit dem Kreis. Ich stricke den Kreis mit kurzen Reihen.
Ich benutze kurze Reihen bei fast allen meinen Strickarbeiten.

Welche Art von Kleidung stellen Sie her?

Bei den Strickwaren, die ich produziere, versuche ich, meine Kunden anzuschauen und mich zu fragen, was ich verstecken und was ich hervorheben soll.
Meistens stricke ich Pullover, Strickjacken mit Knöpfen oder mit Reißverschluss, Kleider und einige Hosen (meistens für Yoga). Ich verkaufe auch meinen Schal des Mitgefühls sehr gut.

Möchten Sie meine neue Geschichte über den Schal der Vergebung hören?
Ich habe ein Buch über Vergebung gelesen. In diesem Buch schreibt Nelson Mandela: „Als ich nach all den Jahren durch das Gefängnistor ging, dachte ich: Wenn ich die Tür nicht hinter mir schließe, werde ich immer noch im Gefängnis sein.“

Das hat mich berührt, und ich muss zugeben, dass ich auch ein paar Türen in meinem Leben habe, die ich schließen sollte.
Zu meiner eigenen Therapie begann ich, Türen zu zeichnen: offene Türen, geschlossene Türen, gusseiserne Türen, Türen aus Bambus, Gartentore und Garagentore, Türen mit und ohne Griffe usw.

Am Ende hatte ich diese kleine Zeichnung:

Wenn ich viele nebeneinander setze, bekomme ich das hier:

Wenn ich das für die Strickmaschine kodiere, bekomme ich den Schal, den Sie links auf dem Bild sehen können. Ich habe ihn für mich selbst gemacht.

Stricken Sie alles selbst?

Ich stricke das nicht alles selbst. Ich habe ein paar Mädchen, die mir helfen. Am Anfang habe ich ganz allein gestrickt, aber ich kann nicht mithalten. Doch die Entwürfe sind alle von mir. Ich bin meinen Strickerinnen soo dankbar. Sie sind so gut, und wenn ich Fehler in meinen Berechnungen mache, schicken sie mir E-Mails und fragen mich. Aber ich habe ihnen gesagt: Lesen Sie meine Gedanken. Nicht meine Mails!!! Darin sind sie ziemlich gut!

Ich nehme an, Sie benutzen eine Strickmaschine. Stricken Sie manchmal auch von Hand?

Die Dinge, die ich in meinem Geschäft in Kopenhagen verkaufe, werden hauptsächlich auf Brother-Strickmaschinen gestrickt. Aber ich stricke sehr viel von Hand. Das ist meine Therapie. Besonders liebe ich es, Mützen zu stricken. Hier in meinem Geschäft habe ich also alle Arten von Mützen, aber eines ist sicher: Nicht zwei davon sind gleich.

Sie haben am Strikkefestival in Fanø, Dänemark, teilgenommen. Erzählen Sie uns davon.

Das Festival ist eine ganz tolle Veranstaltung! Es ist inspirierend und schön. Fanø ist ein schöner Ort und Christel Seyfart (die Frau hinter dem Festival) ist eine sehr gute Freundin und eine inspirierende Person.
Ich frage mich, ob ich einen Laden hätte, wenn es das Strikkefestival nicht gäbe? 10.000 strickende Frauen (… und 5 Männer!!!) machen mit, treffen sich, besuchen Workshops und gucken und reden und kommen auf Ideen und haben das schönste Wochenende. Ich kann gar nicht genug raten hin zu fahren. Fanø ist ein sehr schöner Ort mit schöner Natur.

Ich habe Sie auf einer Messe in Straßburg kennengelernt. Präsentieren Sie oft Ihre Produkte im Ausland?

Ja, ich gehe definitiv viel ins Ausland, um meine Strickwaren zu präsentieren. Ich liebe es, nach Deutschland zu gehen. Die Deutschen sind so anspruchsvoll. Sie mögen Qualität, und kein Deutscher hat je gesagt, dass es teuer ist. Sie schätzen meine Arbeit.
Mein Mann kommt aus dem südlichsten Teil Dänemarks/Jütland, deshalb ist er mit dem deutschen Fernsehen aufgewachsen und spricht fließend Deutsch.

Alle Bilder wurden von Stine Uldall zur Verfügung gestellt.
Ihre Website ist: www.HappyKnit.dk