Zu Ihren Werken sagt Claudia Damm:
Meine textile Kunst
– entsteht aus der Lust am kreativen Prozess, dem Ausloten von Möglichkeiten, der Einzigartigkeit jeder Entwicklung;
– entsteht aus dem Wunsch, eine schützende Hülle zu schaffen, die einzig ist wie das Leben eines einzelnen Menschen selbst. Sie gleicht einer Metapher für die Wendungen einer Lebensentwicklung mit Plänen, Zufällen, Umwegen. Sie fügt sich zu einem Ganzen und lässt den Sinn und Zweck jeden Handelns in der Rückschau erkennen;
– entsteht aus der Synergie von Material, Inspiration, Erfahrung und Können.
Ich habe ihr Fragen zu ihrem Werdegang und ihren Werken gestellt.
Hat das Textile Sie schon als Kind fasziniert?
Ich bin eindeutig familiär „vorbelastet“. Meine Mutter hat gemalt, meine Großmutter hat genäht, meine Großtante war Schneidermeisterin, meine Tante hat geklöppelt und wunderschöne Perlenstickereien hergestellt. Ich war also umgeben von Kreativität, Kunstfertigkeit aber, in den 50ern, auch von einem großen Mangel. Man musste sich schon etwas einfallen lassen, um schöne Dinge zu schaffen.
Eine Episode fällt mir dazu ein. Da war ich noch nicht in der Schule. Puppen haben mich nicht besonders interessiert. Aber ich hatte den Ehrgeiz, sie elegant und ausgefallen anzuziehen. Da ich noch nicht nähen konnte, habe ich einfach geklebt, auch einen „großartigen“ Mantel. Zu dem fehlte mir aber noch ein flauschiger Kragen. Da ich nichts Passendes zur Verfügung hatte, habe ich einfach aus einem Pelzmantel, der ganz hinten im Schrank hing und in dem ich meine Mutter noch nie gesehen hatte, ein besonders schönes Stück herausgeschnitten. Irgendwie hatte ich schon das Gefühl, dass das nicht ganz in Ordnung war, aber mit meinem Werk war ich sehr zufrieden. Die neu gekleidete Puppe habe ich erst mal versteckt. Es kam natürlich irgendwann raus, mit Drama und Tränen … Aber das Ergebnis fand ich grundsätzlich interessant.
Da ich nicht im Kindergarten sondern als Einzelkind viel zuhause alleine war, hat mich meine Großmutter einfach einmal auf den Schoß genommen und mir das Häkeln und Stricken beigebracht. Alle waren froh, dass ich beschäftigt und nicht im Weg war.
Welche handwerklichen Techniken haben Sie erlernt, welche üben Sie aus?
Später schon während der Schulzeit habe ich mich auch an die Nähmaschine gesetzt, viel gelernt von meinem Umfeld, die wildesten Klamotten ausgedacht, genäht und auch selber mutig getragen. Mit Ausdauer und Akribie habe ich nach einer Anleitung aus Zeitschriften ein Herrensakko – für meinen ersten Freund – nach allen Regeln der Kunst genäht. Damit war ich zufrieden und habe andere Techniken spannender gefunden.
Alles, was mit Händen geschaffen werden kann, hat mich gereizt und habe ich probiert und mir mit Anleitungen aus Büchern und Zeitschriften beigebracht.
Ich habe gemalt, getöpfert, gefärbt, Gartenwege aus Ostseestrandfundsteinen angelegt, mein komplettes Badezimmer gefliest und mir einen ausgefallenen Küchenarbeitsspiegel aus Glasmosaiksteinen angelegt, einfach an einer Seite angefangen und sich die Muster selbst entwickeln zu lassen.
Teppiche habe ich in unterschiedlichen Knüpftechniken aus Wolle, Leder und zerrissenen gefärbten Betttüchern gefertigt.
Viel Freude hatte ich am Weben und einige Tücher und Vorhänge für meine Wohnung geschaffen. Dazu bin ich über einige Monate zu einer kleinen Weberei in den Westerwald gefahren. Die hatten einige Webstühle frei, Spaß daran mich anzuleiten und an mir etwas zu verdienen. Ich konnte mich mit allen grundlegenden Arbeitsschritten vertraut machen und ausprobieren.
Haben Sie eine textile Ausbildung?
Eine formale Ausbildung habe ich in diesem Bereich nicht. Von meiner Familie habe ich mich drängen lassen, etwas „Vernünftiges“ zu studieren, Informatik, um herauszufinden, dass es für mich überhaupt nicht passend war. In der Wartezeit auf einen Studienplatz habe ich allerdings auch ein Semester Textiles Gestalten studiert.
Die Phase am Webstuhl war intensiv und lehrreich. Auch habe ich mir die Fertigkeiten an einer Strickmaschine über einige Wochen bei einer Strickerin zeigen lassen.
Geld habe ich verdient im Grafik-Bereich als Mitinhaberin einer Agentur für Gestaltung, kreativ, aber halt am PC, ohne sinnliches Vergnügen, etwas Schönes in der Hand zu halten und wachsen zu sehen.
Wie sind Sie zum Stricken gekommen?
Ganz früh auf dem Schoß meiner Großmutter habe ich in Geborgenheit schon den Reiz eines „Flows“ wahrgenommen, der beim Gestalten entstehen kann.
Zu meiner Zeit in den 60ern und 70ern gab es noch das Fach „Handarbeit“ mit Nähen, Weben, Sticken, Häkeln und natürlich Stricken. Ein Paar Socken, die damals viel zu groß ausgefallen waren, hat später mein Sohn mit Schuhgröße 46 getragen.
Mein Taschengeld habe ich während der Schulzeit schon für schönes Garn ausgegeben, auch für Musterbücher mit Sammlungen von hunderten Häkel- und Strickmustern. Mein Ehrgeiz lag darin, alle Muster einmal zu verstehen, zu fertigen und wild zu mixen. Häkelborten zum Beispiel, mal gedacht für Handtücher, habe ich für Pulloverkragen oder Armbündchen genutzt. Aus dem Rand von Häkelstücken habe ich Maschen zum Stricken aufgenommen, Maschen fallen lassen und in die entstehenden Fäden gewebt oder einen Flor geknüpft.
Was reizt Sie besonders an dieser Technik.
An Strickstücken genieße ich die Elastizität, die Zartheit von ganz weichen und dünnen Geweben, die aber auch rustikal und wärmend sein können, aber nie einengen und den Körper betonieren. Ganz pragmatisch, ich kann mein Strickzeug überall mit hinnehmen.
Mit welchem Material arbeiten Sie bevorzugt?
Ich arbeite natürlich mit qualitativ hochwertigen weichen und ausgefallenen Garnen, die sich gut tragen und pflegen lassen.
In meiner Mutterzeit habe ich in einem Handarbeitsladen, der sich auf Anny Blatt spezialisiert hatte, gejobbt und bin dort schon mit „wilden“ Garnen in Kontakt gekommen. Für Kundinnen in diesem Laden habe ich auch nach Bestellung Strickteile gearbeitet, in Seide, Angora, Kaschmir und viel Glitzer.
Fasziniert war ich später von Garnen, wie sie z. B. Noro angefangen hat zu entwickeln, Garne mit Farbverläufen und unterschiedlichen Haptiken. Gestrickt habe ich aber auch schon 925er Silberdraht und lange biegsame Äste im Garten.
Wie entstehen Ihre Werke? Mit der Strickmaschine, von Hand?
Mit unterschiedlichen Strickmaschinen habe ich schon Norwegermuster, Intarsien, Jacquard gestrickt. Diese Maschinen liegen aber inzwischen gut eingefettet im Keller.
Ich liebe es, mit der Hand zu stricken. Geblieben ist mir die Arbeit mit einer ganz einfachen uralten Strickmaschine, mit der ich Handgestricktes ergänze, immer dort, wo es langweilig nur glatt rechts voran geht. Verkürzte Reihen bieten mir unendliche Möglichkeiten zu formen und an die Vorgaben unserer Körperform, Statur und des Typs anzupassen.
Können Sie alles selber stricken?
Ich kann alles selber stricken, und darin liegt auch der Reiz und mein Anspruch. Viele Leute haben auch schon für mich gestrickt, mit Spaß und Leidenschaft. Wenn ich allerdings bei Ausstellungen und Kunsthandwerkermärkten an den Strick-Unikaten noch etwas verdienen will, kann ich es mir nicht leisten, andere Leute zu entlohnen. Das ginge nur bei Strickteilen, die in größeren Stückzahlen in Serie gefertigt werden, vorwiegend im Ausland, weil faire deutsche Arbeitslöhne zu Preisen führen, die kaum einer bereit ist zu zahlen.
Können Sie uns beschreiben, wie zum Beispiel eine Jacke entsteht, von der ersten Idee bis zum fertigen Werk?
Irgendwann habe ich entschieden, mich auf Jacken zu konzentrieren und die auf Ausstellungen zu verkaufen. Ganz pragmatisch, Jacken kann man probieren, ohne dass eine Umkleidekabine nötig ist. Die lebendige Atmosphäre auf Ausstellungen, den Austausch, die Rückmeldung, Zuspruch beflügeln.
Einige Modelle stricke ich in Variationen und unterschiedlichen Garnen, also auch Unikate, immer wieder. Ich habe festgestellt, dass diese Modelle gut verkauft werden, weil sie sich einfach sehr gut an verschiedene Körpergrößen und -formen anpassen, Kundinnen sehr gut stehen, Weiblichkeit betonen und eine Freude für Herz und Sinne sind.
Bei entsprechender Muße genieße ich es aber auch, einfach anzufangen, ohne zu wissen, was entsteht, eine Jacke ein Hut, ein Schal … Für Jacken pinne ich einzelne Teile auf Styropor-Büsten und ergänze halt, was fehlt, um ein Ganzes entstehen zu lassen. Vieles habe ich auch wieder aufribbeln müssen, Erfahrungen gesammelt, nicht den Überblicke verloren und die Gewissheit erlangt, dass etwas Gutes entsteht, das mich selber staunen und glücklich macht. Wenn ich dann ein fertiges Teil an einer Kundin sehe, das passt, gefällt und glücklich macht, bin ich zufrieden. (Fotos)
Ich habe Sie bei der Textile Art Berlin 2019 kennen gelernt. Seither gab es fast keine Möglichkeiten mehr, Ihre Arbeiten live zu präsentieren. Wie erleben Sie diese Zeit?
Zu Anfang dachte ich noch, endlich Muße zu haben, um ohne Zeitdruck loszulegen. Schnell habe ich aber gemerkt, dass ich ein Ziel brauche, einen Termin, eine Ausstellung, um gut zu „funktionieren“.
Diese Zeit finde ich deprimierend, lähmend und Kreativität verhindernd. Ich brauche Kontakt, Austausch mit Menschen und Bewegung. Es fehlt so viel, was mir Freude gemacht hat, Kreativität ausleben, auch beim Tango, und ich weiß nicht, wo ich mit den ganzen Jacken hin soll. Ich kann sie nicht alle selber tragen. Und immer wieder neue spannende Garne zu kaufen, die inspirieren, geht halt nicht, wenn fertige Jacken noch nicht verkauft werden.
Meine Unikate übers Internet zu verkaufen, finde ich unpassend, weil meine Unikate so unterschiedlich ausfallen. Sie müssen angefasst und probiert werden, und den Aufwand für die Darstellung einer einzelnen Jacke ist einfach zu hoch.
Im NORO Heft „Fall/Winter 2017“ ist ein Modell zum Nachstricken von mir erschienen.
Die Anleitung finden Sie auf www.ravelry.com
Ein striXart Buch gibt in der Adobe Cloud als PDF.
Die Website von Claudia Damm ist www.strixart.de