Hier der zweite Teil der Kleidergeschichten. Es werden weitere Geschichten folgen.
Anna Rosine schreibt:
Ich bin ein Millenniumskind, geboren zu Beginn des Jahres 2000. Ich bin geboren und aufgewachsen in der Niederlausitz, in einem kleinen Dorf, sehr behütet und naturverbunden.
Ich habe mein Abitur in einer Kleinstadt im Spreewald gemacht und gleich danach mit dem Jurastudium begonnen.
Ich erinnere mich, meine Kleidung als Kind schon sehr bald fast ausschließlich selbst ausgesucht zu haben. Wahrscheinlich weniger im Einkauf, das hat meine Mama sehr geschmackvoll übernommen. Dafür aber in der Kombination – weniger geschmackvoll – wie ich später auf Fotos zur Kenntnis nehmen durfte. Wenn mein Papa „dran“ war, habe ich mich immer einkleiden lassen. Dabei hat er den für mich sehr prägenden ‚Zwiebellook‘ angewendet: Hemdchen, Rollkragen, Sweatshirt, am liebsten noch eine Strickjacke, dass man jederzeit an-und ausziehen konnte, ganz nach Befinden. Dazu gab es meist eine von – gefühlt – Hunderten von Latzhosen, die ich von meinen beiden älteren Cousins geerbt hatte. Da sie Zwillinge sind, hatte ich Kleidungsstücke oft doppelt, was toll war, wenn es besonders coole Sweatshirts oder die Fußballtrikots waren! An eines dieser erinnere ich mich sehr gut, ein blaues T-Shirt der Fußballmannschaft der Cousins.
Allgemein hatte ich eine ziemlich lange Phase in meiner Kindheit, in der ich eher „jungs-mäßig“ gekleidet sein wollte. Die Kleider, die meine Mama für mich aussuchte, waren meist sehr mädchenhaft, an ein weißes Spitzenkleid erinnere ich mich. Ich habe die Sachen auch getragen, aber selbst eher neutralere Kleidung ausgesucht. Generell war ich aber ganz frei und durfte mich immer kleiden, wie ich wollte, ganz ohne Wertung.
Bis zum Gymnasium spielte die Kleidung aber weniger eine Rolle. Der Wechsel dorthin war aber einschneidend. Während ich am ersten Tag der 7. Klasse noch ganz stolz meine Lieblingsjeans trug, am Knie von meiner Mama liebevoll handgeflickt, mit einem bunten Einnäher, fand ich mich ganz bald in den schwarzen Röhrenjeanshosen mit Schlitz am Knie, sowie Bauchfreitops und olivgrünem H&M Parka wieder. Stoffturnschuhe hatte ich bald in allen Farben, Vans, Converse, wobei die Marken sehr entscheidend waren. Etwa ab der zehnten Klasse wurde mein Stil individueller. Ich hob mich zunehmend von den anderen ab, meine Mama war immer die wichtigste Beraterin. Ich ging ungern allein oder mit Freundinnen einkaufen, denn wenn meine Mama bei einem Teil zuhause mit dem Kopf wackelte, konnte ich es nicht anziehen.
So richtig verändert hat sich alles noch einmal nach der Schule. Bis dahin trug ich viel enge Jeans, verspielte Pullis, Oberteile mit Strickjacke – sehr weiblich, aber nicht sehr ausgefallen. Es war eher wichtig sich ein bisschen anzupassen.
Nach der Schule entdeckte ich meine Liebe zu Kleidern, Strumpfhosen auch im Alltag und der Uni.
Mich haben als Kind und Jugendliche immer die Geschichten von selbstgemachter Kleidung begeistert, habe aber selber nie Hand angelegt.
Ich erinnere mich an einen von meiner Oma handgestrickten Pullover. Er war ganz rot und ich habe ihn geliebt und sehr oft getragen. Als er zu klein wurde, strickte sie an den Ärmeln und unten noch etwas an, mit einer anderen Farbe (ich glaube, rot Glitzer). Dann hielt er nochmal eine Weile. Später habe ich mir nochmal einen Pulli von ihr gewünscht, was sie mir auch erfüllte. Mein jugendlicher Leichtsinn (oder ich wusste es nicht besser) hat ihn aber leider in der Waschmaschine um die Hälfte schrumpfen lassen. Ich werde ihn bald meiner Patentochter vererben.
Mit dem Verlassen der Schule und einer intensiven Selbstfindungsphase danach, hat sich mein Kleidungsstil nochmals sehr verändert.
Wie oben schon beschrieben, noch viel weiblicher.
Ich habe mit 18 noch viel „Fast-Fashion“ gekauft. H&M, Zara, einfach weil es günstig war. Das ärgert mich mittlerweile sehr, weil ich viel nicht zu schätzen wusste. Dinge waren nach zweimal Tragen schon aussortiert.
Ich identifiziere mich sehr über Kleidung und liebe es, mich immer „richtig“ angezogen zu fühlen. Ein Tag, an dem ich „nichts richtiges“ finde, kann meine Laune ganz mies trüben. Einen großen Entwicklungsschub hat mein Kleidungsstil erfahren, als ich meinen Mann kennen gelernt habe. Wir waren von unserem Kennenlernen an viel unterwegs, weshalb ich viele verschiedene Möglichkeiten hatte, meinen Kleiderschrank auszuführen. Ich habe in der Zeit viel an Selbstbewusstsein gewonnen und so ist auch mein Kleidungsstil viel selbstbewusster geworden.
Mein Mann ist Sorbe. Die Sorben sind ein Volk in Deutschland, angesiedelt in der Lausitz, mit einer eigenen reichhaltigen Kultur und individuellen, regional verschiedenen Trachten. Unsere Begegnung brachte mich meiner eigenen sorbischen Vergangenheit näher und so trug ich bald zum ersten Mal eine echte, aus meiner Region stammende Tracht. Das passierte in erster Linie aus Neugier, und ich war sehr überrascht, wie wohl ich mich fühlte. Ich glaube, ich wollte sie gar nicht mehr ausziehen! Damit eröffnete sich mir eine Welt, die ich so noch nicht kannte und die mich magisch anzog.
Wir entschieden uns eineinhalb Jahre später für eine traditionelle sorbische Hochzeit, in Tracht. Das hat mein Leben ganz grundlegend verändert. Das Tragen einer Tracht, die mir auf den Leib geschneidert ist, gibt mir ein Gefühl von Eleganz und Anmut. Ich bewege mich aufrechter, bedachter und ganz genussvoll, dabei fühle ich mich sehr jung und fortschrittlich. Ich sehe zu gern die Bilder und das Video unserer Hochzeit, wie der Rock beim Tanzen schwingt, wie schlank und perfekt die Taille sitzt und wie königlich der Kopfputz wirkt.
Die Entscheidung für die Tracht als Brautkleid fiel mir nicht schwer. Ich war mir um die Nachhaltigkeit und Qualität eines von Hand und individuell für mich gefertigten Kleidungsstücks bewusst, welches ich, mit nur kleinen Veränderungen, auch nach der Hochzeit weiterhin tragen kann. Für mich ist das nicht spießig oder altbacken.
Nachhaltigkeit spielt in meinem Kleiderschrank auch außerhalb der Tradition eine zunehmend größere Rolle. Ich kaufe neu fast ausschließlich biologische Fasern oder umweltneutral hergestellte Kleidung. Wichtig war mir dabei aber, dass die Kleidung nicht danach aussieht. Das ist vermutlich ein Klischee, aber die klassische Bio-Kleidung entspricht nicht meinem Anspruch. In einem französischen Label, das Bio-Wolle und Baumwolle verarbeitet, recycelte Kunstfasern und von Hand gefertigte Schuhe herstellt – ausgefallen, zart und weiblich – habe ich vorerst meine modische Heimat gefunden. Ich glaube nicht, dass der Inhalt meines Kleiderschrankes schrumpfen wird, das möchte ich auch noch gar nicht von mir verlangen. Ich liebe es sehr, mich zu kleiden, ganz wie ich möchte und schon lange nicht mehr so wie die ‚Anderen‘, eher das Gegenteil. Der Preis von guter Kleidung lässt mich aber vor jeder Anschaffung überlegen, ob es wirklich gefällt und gebraucht wird. Auf diese Entwicklung bin ich stolz.
Für die Zukunft hoffe ich, bald wieder viele Anlässe zum Tragen meiner Kleidung, wie auch meiner Tracht und ihrer Variationen zu haben und in die Welt tragen zu können, wie sich Nachhaltigkeit, Ökologie, Tradition und Moderne in der Kleidung einer jungen Frau vereinen lassen.
Von Anna-Rosina Wjeselina, geb. Selmer