Reportagen

Teximus 4

Vom 23. bis zum 26. März 2023 präsentierte das Textile Art Forum (TAFch) die vierte Ausgabe der Ausstellung TEXIMUS in der Altstadthalle Zug in der Schweiz. Die Künstlerin Heidi Arnold-Trudel hatte die Präsentation in gekonnter Weise gestaltet. Das Interesse war riesig: Mehr als 1300 Besucher aus dem In- und Ausland reisten während der vier Ausstellungstage in die Innerschweiz und liessen sich viel Zeit, um die 54 jurierten Werke von 49 Kunstschaffenden eingehend zu betrachten.

Abb. 1
Von rechts nach links: Ursula Anna Engler: 2-Korn, Selina Gasser: where I come from and where I (…) go, II, Tandem-Kunst Peter Schneebeli / Ursula Waldburger: Baum Botschaften

Der Rundgang begann in der Eingangshalle mit einem Werk von Ursula Anna Engler. Es erinnerte an Getreide, das Hauptnahrungsmittel für Mensch und Tier seit Jahrtausenden. Die Übergrösse der Objekte markierte diese Wichtigkeit.

Im Werk «Where I come from and where I (…) go II» beschäftigt sich Selina Gasser mit der Herkunft ihrer Grosseltern. Sie alle hatten im Raum Basel gelebt, wo es Mitte 19. bis Anfang 20. Jahrhundert eine florierende Seidenbandindustrie gab. Der Daumenabdruck der Künstlerin bezeichnet dieses textile Erbe.

Ursula Waldburger und Peter Schneebeli arbeiten seit etwa drei Jahren zusammen. Peter schickt Bilder, Fundstücke oder andere Inspirationen ohne Anweisung an Ursula, und sie reagiert darauf frei Hand mit Stickerei. Für diese Arbeit machte Peter Schneebeli Abriebe an Bäumen, und Ursula bestickte die Tücher auf beiden Seiten.

Abb. 2
Von rechts nach links: Marianne Keel: Viola und Albino, Ruth Ingold-Wöhrle: Schwankendes Boot, Cécile Jud: Auf der Sonnenseite, Senol Tatli: METAMORPHOSIS I, Violette Amendola: POSITIV NEGATIV

Als Marianne Keel ihren kleinen Laden übernahm, fand sie Kassarollen von ihrer Vorgängerin vor. Und weil sich die Künstlerin immer wieder mit textilen Schwammstrukturen beschäftigt, verhäkelte sie die Fundstücke zum Objekt. Albino ist aus Kassarollen, Viola aus versponnenen Magazinseiten gemacht.

Seit ein paar Jahren versucht Ruth Ingold-Wöhrle aus weichen Textilien Objekte mit Stand zu machen. Sie begann mit Würfeln und Kristallen und fand nun zur Schiffsform. Für «Schwankendes Boot» hat sie Schiffe ineinandergeschoben und diese mit Kristallen überfüllt. Man kann an Flüchtlinge denken, aber auch an unser eigenes Leben: Der Boden ist nicht so sicher, wie wir es gerne hätten.

Der Kragen ist ein in der Modegeschichte allgegenwärtiger Blickfang. Früher wechselte man oft einfach den Kragen, anstatt das ganze Kleid oder Hemd in die Wäsche zu geben. So war man ohne viel Aufwand wieder sauber und frisch. Cécile Juds Kragen ist strahlend und optimistisch. Vielleicht könnten wir, wenn uns der Kragen zu eng wird, ihn gegen einen solch fröhlichen auswechseln?

Möglicherweise ist Senol Tatli seiner türkischen Wurzeln wegen so fasziniert von maurischen und arabischen Motiven. Bei ihm wird das Papier zum Objekt, er schichtet es zum Relief. Harmonie und Symmetrie sind wichtig, entscheidend die Präzision. Beim Objekt «METAMORPHOSIS I» geht es um Licht und Schatten. Es ist der geheimnisvolle Einschluss eines leeren Raumes.

In Violetta Amendolas Werken wird die gefilzte Wolle zur Poesie. In ihrer zweiteiligen Arbeit geht es um Positiv und Negativ. Wann ist POSITIV negativ, wann ist NEGATIV positiv? Beides gehört zusammen wie Yin und Yang und ist ein Ganzes.

Abb. 3
Aishan Turbayeva-Wiedenmeier: Der Pilz, Sabina Schwaar: Aus der Werkserie der Lebensräder – Verbund

Aishan Turbayeva-Wiedenmeier stammt aus Kasachstan. Ihre Gobelins sind ein Dialog zwischen der Tradition ihrer Heimat und den Farben und Formen der Moderne. Zur Arbeit «Der Pilz» hat sich Aishan auf einem Spaziergang inspirieren lassen. Speziell ist die ungewöhnliche Perspektive: Wir schauen von unten in einen Pilz hinein und nehmen ihn so neu und anders wahr. Er bekommt etwas Übermächtiges, Bedrohliches und Surreales. «Der Pilz» Aishan Turbayeva-Wiedenmeier wurde mit dem Jurypreis von TEXIMUS 4 ausgezeichnet.

Sabina Schwaars «Lebensräder» wirken dynamisch und beweglich. Man könnte an Quallen denken. Tatsächliche Inspiration waren aber die Schnittflächen von getrockneten Brokkolistorzen. So enthält das Werk beide Lebensräume: Wasser und Erde. Im Schatten verschwindet das Trägermaterial. Formen, Rhythmus und Dichte werden noch deutlicher, ein Zauber schwebt durch die Luft!

Abb. 4
Eva Kindlimann: Muffin

Eva Kindlimann verwendet eigene und fremde Bilder, zerlegt sie und fügt sie neu zusammen. Dies gibt Platz für ihre Intuition. Vertrautes und Fremdes, Bewusstes und Unbewusstes werden zur neuen Einheit. Das Werk «Muffin» wirkt wie eine surreale Theaterbühne, die grauen Männer am unteren Rand begleiten das Geschehen, schauen zu oder mischen mit.#

Abb. 5
Catherine Labhart: Wellen (zweiteilig)

In der Reihe «Reflexionen» hält Catherine Labhart Spiegelungen und Lichtflecken auf einer Wasseroberfläche fest. Hier reflektiert das Mondlicht auf den Wellen. Das Wasser scheint sich leise zu bewegen, die Bilder strahlen eine meditative Stille aus.

Abb. 6
Conny K. Wepfer: Schachteltanz

Im ersten Stock empfängt uns die Arbeit von Conny Wepfer mit ihrer kraftvollen Ausstrahlung. Zentral sind die Elemente «kompakt» und «transparent». Die transparenten Flächen erinnern an die Verletzlichkeit der Haut und haben eine bezaubernde, tänzerische Leichtigkeit.

Abb. 7
Ursula Conz: Frühling

Ursula Conz malt mit Fäden. Sie mischt und malt Farbverläufe mit Garnen. Bei dieser zarten Arbeit hat sie sich von Frühlingsfarben inspirieren lassen.

Abb. 8
Regula Weber: In Bergen schön
Abb. 8a Regula Weber: Masche für Masche

Regula Webers Mutter litt an einer Demenz. Und obwohl sie sich nicht mehr erinnern konnte, hatten ihre Hände das Knowhow des Strickens bewahrt – aber das Gesamtbild des Pullovers stimmte nicht mehr. Die linke Achsel wurde doppelt so lang wie die rechte, Kragen und Rand sind unvollständig, der Ärmel hat zwei Bündchen. Regula Weber zeichnete die Strickspuren der Mutter Masche für Masche auf gebrauchtes Kohlepapier nach und erzielte damit gleichzeitig auch ein Ergebnis auf weissem Grund.
Den Titel «In Bergen schön» hatte die Mutter aufgeschnappt und auf einem Zettel festgehalten.

Abb. 9
Gabriela Giger: MEMORY-Long-Long_1 & Co

Gabriela Giger leidet an Longcovid. Sie wurde aus dem Leben geworfen und bewegt sich in einem sehr langsamen Tempo. An guten Tagen kann sie ein wenig im Atelier arbeiten. Aus dieser Situation heraus entstand dieses Werk. Die Rahmen stehen für das Eingeschlossensein, die Farben entsprechen der Situation: Rosa, Grau, zarte, verletzliche Farben.

Abb. 10
Myrta Moser-Zulauf: Gwand

Myrta Moser-Zulaufs Arbeit «Gwand» gehört zu einer Werkgruppe mit dem Arbeitstitel «abgelegt», an der die Künstlerin seit 2020 arbeitet. Myrta Moser-Zulauf sammelt abgelegte Kleider, transferiert sie in Skulpturen und Bilder und kristallisiert Formen heraus. Mit der Verfremdung stellt sie das Kostbare der Textilien in den Mittelpunkt und stellt die Frage, wie wir mit Textilien umgehen.

Abb. 11
Heidi Arnold-Trudel: «Gone with the Wind»

Seit längerer Zeit arbeitet Heidi Arnold-Trudel mit Magnetbändern, mit einem Material also, das wir heute nicht mehr brauchen. Der Aspekt des Recyclings steht allerdings nicht im Vordergrund. Vielmehr interessiert es die Künstlerin, was das Licht mit den Bändern macht. Je nachdem, ob sie diese verwebt, wickelt oder bemalt, bricht sich das Licht anders. Es ist ein Spiel von Glanz und Matt.

Abb. 12
Martin Stützle: exuvium 231020

Martin Stützle arbeitet seit einiger Zeit an einem Papierkleid-Projekt. Eigentlich ist er Bildhauer, arbeitet aber auch immer wieder mit Drucktechniken oder Textilien. Diese Papierkleidformen erinnern an Libellenlarven. Abgelegte Häute von Reptilien oder anderen Tieren heissen Exuvien. In verschiedenen Kulturen findet man ähnlichen Hüllen, die für Initiations- und Bestattungsrituale verwenden werden. Martin Stützles Vision ist ein Haufen mit etwa hundert solcher Exuvien – alle nach dem gleichen Schnitt genäht, aber unterschiedlich bedruckt.

Abb. 13
Vera Ziegler: Feldposchtgwäb

Vera Zieglers Grossmutter hob in einer Schuhschachtel alte Liebesbriefe auf, die sie und ihr Mann, Veras Grossvater, einander während dem Aktivdienst geschrieben hatten. Solange die Grossmutter noch lebte, durfte Vera die Briefe nicht selber lesen. Aber danach erbte Vera die Schachtel und begann damit, die Briefe ineinander zu verflechten und zu besticken und künstlerisch zu verarbeiten.

Abb. 14
Karin Mächler: Umwandlungen

Schon als Kind plünderte Karin Mächler den Papierkorb des Vaters. Bis heute improvisiert und experimentiert sie mit Abfallpapier. Mit dem Spinnen als Technik beschäftigt sie sich ebenfalls schon seit Jahren und findet es etwas Wohltuendes.
Diese Arbeit ist sehr strukturiert und enthält von links nach rechts Papiere aus den Bereichen Konsum (Kataloge, Prospekte …), Kultur (Theaterprogramme, Comics, Klaviernoten …), Haushalt (Papierservietten, Blumeneinwickelpapiere, Couverts …), Information (Telefonbücher, Zeitungen …).

Abb. 15
Regula Gysin: Formenspiel

Wenn Regula Gysin ihre Grossmutter besuchte, durfte sie jeweils mit Holzklötzchen spielen, die auf jeder Seite eine andere Farbe aufwiesen und zum Teil auch in der Diagonale in Kontrastfarben bemalt waren. Regula griff dies in ihrer textilen Arbeit wieder auf, ein rhythmisches Spiel mit Farben und Flächen. Die Dreiecke sind mit der Nadel hineingewoben – und wer genau hinschaut, entdeckt eine paar Goldfäden der Grossmutter.

Abb. 16
Trudie Birri: AUSRUHEN

Trudie Birrie ist Textildesignerin. Sie macht aber nicht nur Tragbares, sondern spielt und experimentiert auch gern mit Stoffen. Hier hat sie Seidensatin zu Bändern vernäht und verstürzt. So unterstreicht sie das Kostbare und den Glanz des Materials – und legt das Bündel einfach so hin, als müssten die Fäden ausruhen.

Abb. 17
Beatrice Streuli: K.L.E.I.D.

Im dritten Stock beginnt der Rundgang mit einem Kleid. Ausgangsmaterial waren zerschnittene Gemälde, in denen es Beatrice Streuli um das Thema «gesehen werden» ging. In der Umwandlung des Gemäldes in ein transparentes Objekt tauchte das Thema wieder auf. Männer dominieren die Welt, Frauen sind im Hintergrund. Das Kleid soll eine zukünftige Inhaberin der Weltmacht symbolisieren, die ihre weilblichen Qualitäten lebt. Die Vision ist: Transparenz statt Ignoranz, Miteinander statt Kampf, aufbauen statt niederreissen.

Abb. 18
Daniela Melberg: gefächert

Falten sind ein altes Gestaltungselement im Textilen. Sie machen den Stoff kompakter und stärker, ergeben etwas Dreidimensionales wie ein Relief und spielen mit dem Licht. Bei Daniela Melbergs Filzobjekt denkt man an Origami. Die Farben und Schatten machen den Fächer strahlend und interessant.

Abb. 19
Sabine Haldimann: QR No. 1, II

QR-Codes sind heute allgegenwärtig. Die geheimnisvollen, ästhetischen Muster sind ein Symbol für unsere digitale Welt. Sabine Haldimann setzt einen schnellen QR-Code in einem sehr langsamen meditativen Handwerk um. (Man kann den Code auch richtig einlesen!)

Abb. 20
Sophia Keller Girón: Vom Kompost träumen 2 (Detail)

Sophia Keller Girón träumt vom Kompost. Die Fotos zeigen Ausschnitte aus einem Kompost, aus einem organischen Kreislauf also, und wurden auf Damast transferiert. Dieser stammt von hundertmal gewaschenen Betttüchern – auch dies ein Bild des Wiederverwendens. Die Stickerei bringt ein neues Moment ins Bild, etwas sehr Langsames, Kostbares. In der zarten Arbeit geht es um das Recyceln, das Wegwerfen oder Nicht-Wegwerfen, die Kostbarkeit der Gegenstände.

Abb. 21
Gerda Ritzmann: Es war einmal

Das Papier stammt aus einer alten Enzyklopädie. Alles was dort drin stand, ist entweder bereits vorbei oder hat sich irgendwie verändert. Eine Bilderrolle zeigt jeweils einen Ausschnitt, einen Moment der Geschichte. So ist es auch mit Erinnerungen: Sie tauchen auf und versinken wieder, vermischen sich manchmal, werden plötzlich wichtig, freuen uns oder machen uns traurig.

Abb. 22
Noriko Steiner-Obata: Flow

Noriko Steiner-Obata ist gebürtige Japanerin und sucht in ihren Arbeiten den Dialog zwischen Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart. Sie schneidet abgelegte Kimonos in kleine Stücke und setzt sie in minuziöser Arbeit zu Bildern zusammen. Die Verbindung der verschiedenen Elemente ergibt einen neuen Fluss.

Abb. 23
Olivia Ribaux: Strandgut (Detail)

Olivia Ribaux hat acht Jahre auf einem Segelboot verbracht und damals Schönes und Schreckliches gesehen. Mit ihren Stickereien verarbeitet sie alles, was sie nicht aushält. Die drei Bilder zeigen, wie der Mensch zerstört, ausbeutet und jagt. Die Gejagten stranden auf der ganzen Welt als anonyme Überbleibsel wie der Plastikabfall am Strand. Die Gewalt potenziert sich wie die Zahlen einer Finonaccireihe.

Abb. 24
Marianne Keel: Gegen Süden

In Marianne Keels Atelier liegen unzählige Fäden, welche die Künstlerin nicht wegwerfen mag – auch nicht, wenn sie sich ineinander verwirren und verknäueln. Da macht sie lieber ein textiles Bild daraus! Zum Teil verwendete Marianne Keel schon vorhandene Fadennester, andere Partien wurden überwiefelt. Die warmen Farben lassen an südliche Landschaften denken.

Abb. 25
Edith S. Ambühl: o.T. aus Serie allmend.tuchen dunkelfaltig

Die Serie, zu der dieses Werk gehört, heisst «allmend dunkelfaltig». Eine Allmend ist ein kollektiv genutztes Stück Land. Auf einem Stück Land kann man seinen Platz finden und sich verwurzeln. Im Lauf des Jahres verändert sich der Boden: Ackerfurchen, wachsende Pflanzen, Schollen nach dem Pflügen. Oder auch Brache, in der das neue Leben wartet – der Kreislauf des Jahres.
Die recycelten Papiere, die Edith S. Ambühl verwendet, weisen ebenfalls auf diesen Kreislauf hin. Schwarz ist die ursprünglichste, archaischste Farbe, die aber auch wieder alle Farben enthält und das Licht.

Abb. 26
von rechts nach links: Patricia Brunner: Cocons, Erna Villiger: Gestrüpp, Marianne Vogler: Erdschichten – Erdgeschichten, Ursula Anna Engler: Bangladesch, Sonja Karina Malzacher: Der Tanz

Patricia Brunner hat ihre ersten 12 Jahre in Tansania verbracht, wo ihr Vater für eine Sisalproduktionsfirma arbeitete. Von daher kam ein Sack mit Sisalfasern zu ihr, und Patricia begann damit, mit dem Sisal zu experimentieren. Sie verflocht färbte, presste und festigte die Fasern. So entstanden diese Cocons: ein geschützter Raum für Wandlung und Neuwerdung.

Gräser, Stauden – ein Gestrüpp wuchert, verästelt sich und verflechtet sich zum Dickicht. Im gezeichneten und gedruckten Gestrüpp Erna Villigers ist man eingeengt, man kommt kaum durch. Aber davor schwebt ein Hohlkörper wie ein Samentasche, frei im Wind, und irgendwann entstehen aus den Samen wieder neue Gewächse.

Marianne Vogler verwebte bemalte Japanpapiere ineinander und erlebte dabei immer wieder Überraschungen. Das machte das langsame, geduldige Flechten sehr spannend. In diesem Sinn versteht sich die Künstlerin als Teil eines unendlichen Geflechts, das sie nährt, sie fordert und zu immer neuen Antworten antreibt.

Ursula Anna Engler arbeitet an einer Serie von Kleiderskulpturen über Länder, die von Klimakatastrophen betroffen sind. In Bangladesh sind Menschen gezwungen, ihr Dorf zu verlassen, weil Hab und Gut weggeschwemmt werden. Täglich kämpfen die Arbeiter ums Überleben, ihre Existenz hängt an einem dünnen Faden. Der Drahtbügel, an der Ursula Anna Englers Skulptur hängt, ist ein Element ohne Stabilität. In dieser Instabilität und in den Labeletiketten, aus denen das Kleid besteht, spiegelt sich das Leben der Näharbeiter in Bangladesch wider.

Sonia Karina Malzachers Skulptur ist ein Tanz. Der Tanz einer Frau, die sich schön fühlt, schön in ihren Gedanken und im eigenen Körper. Sie folgt keinen Anforderungen von aussen und auch keinen gesellschaftlichen Konventionen. Sie ist ganz bei sich.

Abb. 27
Hugo Zumbühl: Faltadura

Hugo Zumbühl entwirft spezielle Teppiche. Dabei spielen das Upcycling eine grosse Rolle. Die reduzierte Einfachheit unterstreicht die Ausstrahlung der Materialien. Der Künstler ist unter anderem von gebrauchter Jute fasziniert. Für dieses Faltrelief hat er bedruckte Jute-Kaffeesäcke verwendet. Die archaischen Falten enthalten alte Geschichten.

Abb. 28
Yuki Kawahara: VERGISS DEINE ERSTE LIEBE NICHT – Farbenschachtel

Eine neue Schachtel voller Farbstifte war für Yuki Kawahara als Kind etwas Wunderbares. Die Begeisterung, die sie beim Öffnen empfand, ist heute noch dieselbe. Nun macht sie ihre eigenen Farbschachteln und weckt vielleicht auch in uns vertraute Gefühle. Die Schachtel ist zum Spielen gedacht, das Publikum durfte die Farbplätzchen herausnehmen und an einer Magnetwand arrangieren.

Abb. 29
Cecile Trentini: Childhood Memories

Vor ein paar Jahren nahm sich Cécile Trentini sich vor, jeden Tag mindestens eine halbe Stunde laufen zu gehen. Damit sie das auch durchhielt, verband sie den Sport mit einem Kunstprojekt. Sie sammelte während des Laufs Fotos, Wörter, Gedanken und verarbeitet die Fundstücke in textile Werke. Irgendwann blieben 100 weisse Schablonen übrig, aus denen dieses Bild entstand. Die vereinfachten Formen erinnern an die geliebten Stickbildkarten aus der Kindheit. Und das Publikum freute sich daran, zu raten, was sich hinter den einzelnen Schattenrissen versteckte.

Abb. 30
Heidi König: Pendel

Eine Krise jagt die nächste und das Pendel schlagt in alle Richtungen aus. Wir können uns kaum erholen, vieles wird in Frage gestellt oder total verändert. Alle diese Nachrichten zu sehen und zu hören, macht Heidi Königs im Kopf konfus – und sie wünschte sich, das Pendel käme wieder zur Ruhe und wir ins Lot.

Abb. 31
Sabine Mangold: kommen und gehen, gestern heute morgen, scheinbar endlos (Detail)

Wer das oberste Stockwerk der Ausstellung erreichte, entzückte sich sofort an Sabine Mangolds Arbeit. 24 Miniaturmenschen zogen am Auge des Betrachters vorbei, als würde dieser an einer Haltestelle warten und einen Menschenstrom vorbeigehen sehen. Die kleinen, scheinbar belanglosen Geschichten werden normalerweise schnell ausgeblendet. Sabine Mangold hält sie mit langsamen textilen Techniken und liebevollen Details fest: Jeder Mensch hat seine Bedeutung und seinen für ihn wichtigen Hintergrund.

Abb. 32
Marion Strunk: Foto und Faden (belebter Strauch)

In Marion Strunks bestickter Fotografie geht es um Bildwahrheit. Was ist ein Bild? Das Foto ist ein Bild, eine Fiktion, den Faden kann man berühren. Doch die gestickten roten Beeren sind wiederum künstlich … Was ist real, was vorgetäuscht? Fotografie, Materialen, Farben erzählen eine Geschichte: Rot ist eine Signalfarbe, rote Fäden im verwelkten Strauch symbolisieren Lebendigkeit im kaputten Strauch. Doch wie wirklich ist dieses neue Leben?

Abb. 33
links Anita Lehmann-Odermatt: ZUFALL, rechts: Werner Birnstiel: Portrait 1 und 2

Ausgangspunkt für Anita Lehmann-Odermatts «ZUFALL» war das vorhandene Material. Den Rest überliess die Künstlerin ihrer Intuition: Maschen abnehmen, zunehmen, abketten, wieder anschlagen, Farben wechseln. Am Ende war das Material aufgebraucht und eine Ausstrahlung voller Leichtigkeit erreicht.

Werner Birnstiel lebt im Bleniotal. Da hat er seine Farbwelt gefunden, das besondere Licht, Berge, die er liebt. Seit vielen Jahren kreiert er individuelle Schals. Dabei ist er an Wiederholungen, Rhythmen, Mustern interessiert. Heute gesellen sich zur Drucktechnik die Malerei und die Transparenz hinzu. In den zwei- und dreilagigen «Portraits 1 und 2» führt das Licht einen geheimnisvollen Dialog zwischen Innen und Aussen – unergründlich wie der Mensch selbst.

Abb. 34
Selina Gasser: creaciousance

In creaciousance geht es um Toleranz und Wertschätzung. Der Titel setzt sich aus «creature», «precious» und «tolerance» zusammen. Jedes Garn steht stellvertretend für ein Lebewesen, alle zusammen verbinden sich zur Kordel – Symbol für einen Lebensraum. Zwischen den Garnen ist ein Geben und Nehmen, eine Symbiose, in der sich alle Lebewesen vereinen. Die endlose Spirale erinnert an eine DNA, welche ein Lebewesen und seine Einzigartigkeit definiert.

Abb. 35
Anna Affolter: Im Erdreich – Dein Haar 3 und 4
Diese beiden Werke sind unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine entstanden. Sie gehören zur Werkgruppe «Im Erdreich – dein Haar», an der Anna Affolter seit Jahren arbeitet. Die verschiedenen präparierten Papiere bilden eine Art Haut oder Hülle. Das Innere verbindet sich mit dem Aussen, der Tod mit dem Leben. Wichtig sind die Elemente tragend /haltend – was trägt den Menschen, was gibt ihm Halt?

Abb. 36
Ann Olsson Duc: le repos (Detail)

Ann Olsson Duc transponierte das vergrösserte Detail einer alten Eschenrinde in ein Stabdoppelgewebe. Die Künstlerin webt auf einem einfachen Webstuhl mit vier Schäften in zwei Lagen. Sie folgt einer Zeichnung und liest das Muster mit einem Stab ein – ein unglaublich aufwändiges Verfahren. Aber vielleicht angemessen dem Thema: Auch der Baum hat ja sehr lange gebraucht, bis er diese Rinde ausgebildet hat …

Abb. 37
Nancy van Dijk: Schwestern

Nancy van Dijk bearbeitete eine Tischdecke mit einem blau / weissen Karomuster. An manchen Stellen schnitt sie die blauen Fäden heraus. Anschliessend stickte sie zwei identische Porträts ins Zentrum. Zweimal dasselbe Gesicht, aber weil im Hintergrund die blauen Fäden an anderen Stellen fehlen, entstanden zwei unterschiedliche Schwestern, die eine ist offener, die andere mehr verträumt. Zwei Schwestern wuchsen am gleichen Tisch auf und wurden doch zu zwei verschiedenen Persönlichkeiten.

Abb. 38
Claire Linder: ‚Red Threads‘

In der Jacke von Claire Linder finden wir innere und äussere Strukturen, zwischen denen wir hin und her switchen. Die Jacke erinnert an indigene Kleidung, ist von weitem perfekt, wirkt aber beim näheren Betrachten verbraucht und fragil. Das zeigt, wo wir stehen: Das Verhältnis zu unserer natürlichen Umwelt ist nicht mehr im Gleichgewicht. Die gezackte Struktur wird von links nach rechts zunehmend chaotisch.

Abb. 39
Marianne Vogler: Rippen mit Rucksack

Marianne Vogler nimmt gerne alte Werke wieder hervor, verändert sie, formt sie um, sucht neue Kombinationen, neues Potenzial. Zu ihrem Rucksack stellt sie ein Gedicht:

ES // das Objekt / sehen ansehen / sich Zeit lassen / von allen Seiten / von Nahem / hineinschauen / im Körper Rippen / spüren / schnüren nähen / anhängen / Rucksack aus Luft / leicht wie ein / Schmetterling

Abb. 40
Eva-Maria Pfaffen: eingefädelt

Abb. 41
Christine Läubli: getragen

Auch im Aussenraum war TEXIMUS 4 präsent. Die nicht jurierten Installationen von Eva-Maria Pfaffen und Christine Läubli wurden schon anfangs März aufgebaut und sollten auf den Anlass aufmerksam machen. Leider fegte nach zehn Tagen ein Sturm die Installation von Christine Läubli hinweg, so dass während der Öffnungszeiten des eigentlichen TEXIMUS 4 nur noch jene von Eva-Maria Pfaffen zu bewundern war.

TEXIMUS 4 zeigte das zunehmende Interesse von Publikum und Fachwelt an der Textilkunst auf eindrückliche Weise. Dies manifestiert sich zwar auch darin, dass die Museen textile Werke vermehrt ins Programm aufnehmen, allerdings sind dies meist Arbeiten aus den 1960er bis 1980er Jahren. Umso wichtiger ist eine Ausstellung wie TEXIMUS, welche die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Textil in grosser Vielfalt und Qualität vorstellt.

Fotos: Die Abb. 8a, 19, 28, 32, 37, 40 stammen von den Künstlerinnen, alle übrigen von tafch
www.tafch.ch