Beginnen möchte in den zweiten Teil meiner Reportage mit Natalia Lashko aus der Ukraine. Im Programmheft wurde die Ausstellung im Maison des Oeuvres von Sainte-Croix aux Mines als Synergie von Stroh und Textilien in der Ukraine angekündigt. Strohbilder habe ich erstmals in Polen in einem Museum gesehen, wo sie eine alte Tradition sind. Die junge Frau, die ich für die Künstlerin hielt, war in Wirklichkeit die Dolmetscherin, die gern die Werke erklärte. Zu diesem Werk mit der großen Nadel wusste sie zu erzählen, dass hier ein ganzes Leben von der Geburt bis zum Tod dargestellt wird, das Schicksal näht es mit der Nadel.
Auch in der nächsten Arbeit von Natalia Lashko finde ich lauter Nadeln und frage mich, ob das dazu gehört. Aber nein, erfahre ich, die Arbeit war einfach noch nicht ganz fertig.
Nun aber die angekündigten Strohbilder, in denen wirklich meisterlich durch Legen und Falten Effekte von Licht und Schatten erzeugt werden.
Angela Minaudo stammt aus Italien. Angela Minaudos Lieblingsthema ist der Mensch. Seine tausend Gesichter haben sie von Zeit zu Zeit dazu veranlasst, eine Geschichte zu interpretieren, die eine menschliche Figur zum Thema hat, oft weiblich, oder ein Kind. Im Bild links bereitet eine Frau mit einem Kopfschmuck aus Münzen Couscous zu. Das Werk rechts zeigt einen Exodus mit Kind und Kegel, Esel und Schafen.
Maria Vila aus Spanien zeigte Applikationsquilts voller Geschichten, Gefühle und Seele. Interessant fand ich den einheitlich hellbraunen Grundton der Arbeiten. So konnte man gleich die Zusammengehörigkeit der Arbeiten erkennen.
Scott Culley war weit und breit der einzige männliche Künstler. Er stammt aus den USA und lebt heute in Berlin. Zu seinem Werk mit drei sich überlagernden Gesichtern erklärt er: „Dieser Quilt ist Teil einer Serie mit dem Titel Masked Masculity, die sich mit den verschiedenen Masken beschäftigt, die Männer tragen. Als ich im ländlichen Washington State in den Vereinigten Staaten aufwuchs, gab es wenig Raum, um als Junge Gefühle zu zeigen. Man wurde als „schwach“ oder „Weichei“ bezeichnet, wenn man seine wahren Gefühle zum Ausdruck brachte. Die stoische Denkweise wird in der heutigen Zeit als die Fähigkeit definiert, Leiden zu ertragen, ohne Mitleid zu zeigen oder zu jammern. Mit diesem Stück erforsche ich die Idee, verschiedene unterdrückte Emotionen zu mischen und sie auseinander zu ziehen. Wenn man den Quilt mit farbigen Linsen betrachtet, kann man die Gefühle, die wir in uns aufgestaut haben, trennen und individuell erforschen. Wenn man den Quilt ohne die farbigen Linsen betrachtet, spürt man das Chaos, das sich überschneidende, nicht ausgedrückte Emotionen verursachen.“
Auch zum zweiten Quilt gibt es eine Geschichte:
„Der Tag der Toten (Dia de los Muertos) ist ein Feiertag, der seinen Ursprung in Mexiko hat und traditionell am 1. und 2. November begangen wird. Dieses fröhliche Fest hat seine Wurzeln in einem eher feierlichen Feiertag wie Allerseelen. Bei den Feierlichkeiten versammeln sich Freunde und Verwandte, um den Verstorbenen zu gedenken. Die Feierlichkeiten haben viele farbenfrohe Traditionen, eine davon ist das Aufstellen eines Altars aus Calaveras (Totenköpfen) und Ringelblumenblüten, den so genannten ofrendas. Sie werden mit den Lieblingsspeisen und -getränken sowie Bildern der Verstorbenen geschmückt. Es ist auch Tradition, die Gräber der Verstorbenen zu besuchen und zu schmücken und Zuckerschädel zu verschenken. Es sind erstaunlich fröhliche und lustige Feiern für Menschen, die wir verloren haben. Dies ist meine Interpretation einer Ofrenda-Vignette, ein mit Ringelblumen bedeckter Schädel.“
Denise Labadie aus den USA zeigte in ihren beeindruckend plastischen Quilts die Reste von Mauerwerk, Torbögen und Treppen uralter Klosterruininen. Ihr Spiel mit Perspektive, Licht und Schatten erzeugt die Illusion von Tiefe und Greifbarkeit.
Im Katalog lese ich: „Sie baut ihre Quilts auf die gleiche Weise wie ein Steinmetz eine Mauer – sie schneidet, setzt und appliziert jeden Stein (aus ihrem handbemalten Stoff), einen nach dem anderen, von unten nach oben.“
In Lièpres zeigte die vor fünf Jahren gegründete russische Patchwork-Gilde Quilts zum Thema „Spitze und Verflechtung“. Das Projekt zielte darauf ab, über die Verflechtung und Verbindung von Linien und Ereignissen nachzudenken. Zwei Arbeiten sind mir besonders aufgefallen.
Die Deutsch-Afghanische Initiative präsentierte in der Eglise St. Nicolas in Sainte-Croix-aux-Mines unter anderem Portraits. Das 10-köpfige Künstlerkollektiv arbeitete mit einer Galerie von Fotos afghanischer Stickerinnen: Die Künstlerinnen haben sich diese für die Umsetzung ihrer eigenen Kreationen/Interpretationen mit allen der Textilkunst zur Verfügung stehenden Mitteln neu angeeignet.
Ganz entzückend fand ich die folgenden beiden Bilder von Pascale Drivière, in die sie afghanische Stickereien eingearbeitet hat.
Ebenfalls in der Kirche St. Nicolas in Sainte-Croix-aux-Mines zeigte Martine Molet-Bastien Werke aus recycelten Materialien, die beim Betrachter Fragen auslösen sollen: Zum Einsatz kommen Haushaltswäsche, Lumpen, Dekorationsstoffe, Strumpfhosen, Holz, Knochen etc. Die Kompositionen entstehen spontan, geleitet von Formen und Farben. Diese Totem-Pfähle haben mich besonders beeindruckt.
Die Französin Françoise Grall versucht in ihren Werken, die Bewegungen des Meeres und des Himmels wiederzugeben. Sie zeigt ein bewegtes Meer oder alte Schiffsrümpfe.
Alle ihre Werke sind aus mehreren pflanzlich gefärbten Netzen, bemaltem Lutradur und Tyvek gefertigt. Sie verkaufte auch selbstgefärbte Stoffe und zeigt mir zwei Rottöne, die sie mit Krapp und Chochenille gefärbt hatte. In einem Leporello, den sie blattweise aus einem Kästchen hervorzauberte, zeigte sie alle Naturfarben, die sie färben kann.
Der diesjährige Wettbewerb des Carrefour européen du patchwork trug das Thema „Au fil des contes“ oder Englisch „Once upon a thread“. Es ging also um Märchen und ich muss zugeben, dass mir viele der ausgewählten Arbeiten zu lieb und zu niedlich waren. Aber drei davon will ich Ihnen trotzdem zeigen.
Abschließen will ich meinen Bericht mit Arbeiten der Artextures der französischen Patchwork-Gilde „France Patchwork“. Allesamt wirklich außergewöhliche, innovative Werke.
Und ganz zum Schluss noch ein eher traditioneller Quilt von Helma Huisman Hildebrand mit dem Titel „Joy“ (Freude). Im zentralen Medaillon ist ein wunderschöner Baum des Lebens zu erkennen. Die Künstlerin hat sich von einer Arbeit inspirieren lassen, die 1835 in Maryland entstand. Für ihr von Hand gearbeitetes Meisterwerk benötigte sie zweieinhalb Jahre.