Reportagen

Molakana – Interview mit Andreas Hartmann, dem Sohn von Ursula und Günther Hartmann

Erzählen Sie uns von Ihren Eltern. Wie kam das Interesse für die Kuna-Indianer und die Molakana zustande?

Unsere Eltern wurden beide in den 20er Jahren geboren. Sie haben die Entwicklungen in Deutschland, den 2. Weltkrieg und die Nachkriegsjahre also als Jugendliche und junge Menschen erlebt. Bestimmt haben diese Erfahrungen sie für ihr Leben geprägt, das von Interesse an vielen Dingen, besonders aber an Kunst, Kunsthandwerk und anderen Ländern, bestimmt war. Unser Vater war schon sehr früh an Indianern interessiert. Es gibt frühe Fotos von Indianerschmuck und -kleidung, die er bastelte, und frühe Tagebücher, in denen er detailliert die einzelnen Stämme amerikanischer Indianer sowie ihre Sprachen und Siedlungsgebiete notierte. Diese haben wir erst nach seinem Tod im Nachlass gefunden. Er muss sie mit 10 oder 12 Jahren geschrieben haben, in der für uns schwer lesbaren Sütterlin-Schrift. Als 14-jähriger besuchte er mit seinem Vater die Karl-May-Festspiele in der Felsenbühne in Rathen. Damals wurde Winnetou von einem nordamerikanischen Indianer gespielt, der in Paris studierte. Und dieser Indianer besuchte dann auf Einladung unseres Großvaters auch die Familie in Altenburg. Dies erzählte unser Vater stolz, als wir zu seinem 80. Geburtstag erneut die Karl-May-Festspiele in Rathen besuchten. Die Liebe zu indianischer Kultur und Lebensweise konnte unser Vater glücklicherweise auch zu seinem Beruf machen, als er in den 60er Jahren begann, für das Museum für Völkerkunde in Berlin zu arbeiten. Und unsere Mutter begleitete ihn bei diesem Berufsleben gerne und entwickelte selbst ein großes Interesse für spezielle Aspekte.

Im Jahr 1980 publizierte unser Vater zu der Molakana-Sammlung des Berliner Museums („Molakana – Volkskunst der Kuna, Panama“), und unsere Mutter begann sich zunächst mit dem handwerklichen Geschick der Kuna-Frauen zu beschäftigen. Neben den faszinierenden künstlerischen Fähigkeiten einer genähten Mola interessierte sich unsere Mutter immer stärker auch für die Motive, die symbolhaften Darstellungen und schließlich auch für die Geschichten, den Glauben und die Überzeugungen der Kuna. Unsere Mutter publizierte dann 1986 im Eigenverlag ein erstes Büchlein zu den Kuna und den Molakana („Molakana erzählen………“). Sie verfasste es dreisprachig, neben Deutsch auch in Englisch und Spanisch. Später wurde dieses Büchlein durch zwei weitere ergänzt („Lebenskreise der Kuna“, 1993 und „Vom Camino Real zur Panamericana“, 1993). Mit diesen drei Büchern haben sie die Geschichte, die Kultur und die bedeutende Nähkunst der Kuna beschrieben.

Sind Ihre Eltern auch zu den Kuna-Indianern gereist? Waren Sie auch einmal dabei?

Unsere Eltern sind lange und oft zu den Kuna gereist und haben dort einige über Jahre andauernde Freundschaften geschlossen. Der erste Besuch fand im Jahr 1978 statt. Anschließend waren sie etwa in 2-jährigem Rhythmus in Panama, oft auch in Verbindung mit Besuchen weiterer amerikanischer Länder. Ein besonderes Interesse hatten beide auch an allen Museen, Kunstsammlungen und Sammlern, vor allem in den USA. Unser Vater konnte dabei seine beruflichen und privaten Interessen bestens miteinander verbinden. Neben den Molakana-Sammlungen der Museen waren es in den 70er und 80er Jahren vor allem auch amerikanische Privat-Sammlungen und in den USA lebende Kuna, zu denen unsere Eltern Kontakt hielten.

Sowohl mein Bruder als auch ich begleiteten unsere Eltern mehrere Male. Anfangs waren diese Reisen für uns Brüder eher Urlaubs- und Abenteuer-Reisen – ich war das erste Mal mit 11 Jahren in Panama. Später begannen mein Bruder und ich, unsere Eltern bei den gemeinsamen Reisen zu unterstützen und erfüllten spezielle Aufgaben, z.B. bei der Reiseorganisation. Zudem waren die Besuche in den Indianerdörfern, bei den Kuna also, auf einigen der rund 50 damals bewohnten Inseln, immer noch offener und herzlicher, weil wir als Familie auftraten. Anders als allein reisende Personen oder Erwachsene in einer Gruppe kam bei uns schnell eine Nähe und Vertrautheit zustande, weil die Tatsache, dass hier Vater, Mutter und zwei Söhne auftreten, ein guter Anknüpfungspunkt zum Kennenlernen war. So erinnere ich mich bei den ersten Reisen auch an viele und ausgedehnte Spiele mit anderen Kindern. Besonders in Erinnerung sind mir auch Ausflüge mit Kuna in ihren Einbäumen auf das Festland, um dort Bananen zu ernten, Mangos zu sammeln oder einmal auch für eine kleine Insel einfach nur Frischwasser in Kalebassen zu holen.

Als jüngerer der beiden Söhne habe ich unsere Eltern noch länger auf ihren Reisen begleitet und später selbst mit dem Sammeln von Molakana begonnen. Sammeln bedeutet hier, diese Kleidungsstücke für US-Dollar zu kaufen. Dabei ging es um den Kauf angebotener vollständiger Blusen der Frauen. Sie boten auch einige andere Näharbeiten an und waren nicht selten erstaunt, wenn unser Interesse eher Blusen galt, die nach vielem Tragen schon stark ausgewaschen waren. Aber gerade diese für die eigene Anwendung hergestellten Stücke wiesen oft die höchste Kunstfertigkeit auf.

Hat Ihre Mutter Molas in großer Zahl gesammelt?

Über viele Jahre hat sie eine relativ große Sammlung zusammengetragen. Dabei hat sie den überwiegenden Teil direkt auf den Inseln von den Kuna erworben. Anfänglich kaufte sie auch in Panama-Stadt und von nordamerikanischen Sammlern Einzelstücke. Nach vielen Aufenthalten bei den Kuna war es eine gute Entwicklung, dass das Sammeln direkt von den Künstlerinnen erfolgte, und nicht nur auf den großen, sondern auch auf den kleinen und schwerer erreichbaren Inseln.

Ich möchte noch etwas zu der Mola an sich sagen. Es war üblich, dass die Frauen die Molakana für sich nähten. Für eine vollständige Bluse stellten sie zwei Stücke her, die immer etwas miteinander zu tun hatten. Manchmal waren es gleiche Motive, manchmal Motive zum gleichen Thema. Für Feste und besondere Anlässe wurden besondere Motive entworfen und genäht. An den einzelnen Stücken ist erkennbar, ob diese über mehrere Tage genäht wurden, oder für exklusive Stücke mehrere Monate täglich an Ihnen gearbeitet wurde. Die Handwerkskunst stellt sich bei einer Bluse an der Vorder- und der Rückseite dar und teilweise auch an den Borten, die am Kragen und an den Ärmeln angenäht wurden. Alleine an unterschiedlichen Borten kann man sich tagelang erfreuen.

Die Mola ist übrigens die Bezeichnung für die gesamte Bluse, also Mola-Bluse, aber auch für das einzelne Textilstück, das als Vorder- oder Rückseite für die Herstellung der Bluse verwendet wird. Und der teilweise verwendete Begriff der Molakana ist einfach die Bezeichnung der Mehrzahl von Mola.

Hat sie die Molas nach bestimmten Kriterien ausgewählt, z.B. besonders feine Handarbeit, ungewöhnliches Motiv etc.?

Die Vielfalt der Sammlung ist enorm. Es gibt wenige alte Stücke, die geschätzt aus den 60er Jahren stammen, dann viele aus den 70er und 80er Jahren und wenige modernere. Unsere Mutter hat viele scheinbar geometrische, aber dabei oft symbolische Textilien gesammelt. Diese sind faszinierend, weil viele von Ihnen nur aus zwei Lagen, also auch nur aus zwei Farben bestehen und dennoch die gesamte Fläche in schmale Partien aufgelöst wird. Eines meiner Lieblingsstücke zeigt auf der Vorder- und auf der Rückseite jeweils zwei Vögel, in rotem Stoff aufgelöst gegen einen weißen Hintergrund. Nur auf der einen Mola haben die Vögel ihre Köpfe zugewandt, als Zeichen von Freundschaft und Liebe, und auf der anderen Seite sind ihre Köpfe voneinander abgewandt, als Zeichen von Abneigung.

Neben diesen zweifarbigen gibt es andere besondere Stücke, die mit bis zu sechs, acht oder sogar noch mehr Lagen hergestellt sind. Teilweise sind sie neben diesen vielen Lagen sogar noch mit Stickereien verziert. Ein weiteres Kriterium der Sammlung sind Motive, die vom Glauben und der Mythologie der Kuna erzählen. Beispiele dafür sind eine Vielzahl von Nia-Molakana, Geistern aus der Glaubenswelt der Kuna. Sehr schön ist auch die Darstellung des Tieres am Mond, der verantwortlich für die Reduzierung des Mondes zur Sichel ist, weil dieses Tier den Mond isst. Die Verwendung von Bildern aus Zeitschriften oder dem Fernsehen haben interessante, wundersame und manchmal humorvolle Umsetzungen in die näherische Kunst ergeben. So sind beispielsweise die Darstellung der alten schwedischen Streichholzschachteln (Safety Matches), der Mondlandung der Apollo 13 oder die Darstellung der Arche Noah aus der christlichen Glaubenswelt exzellente Stücke in der Sammlung unserer Mutter.

Diese textilen Kunstwerke hat sie lange in einer Galerie gezeigt?

Unsere Mutter begann mit Ausstellungen ihrer Molakana-Sammlung im Jahr 1985 im Rahmen der Kunst- und Kultur-Arbeit der Petrus-Gemeinde in Berlin und führte die letzte im Jahr 2013 im Textilmuseum „Die Scheune“ in Nettetal durch. In den ersten Jahren waren es ausschließlich Ausstellungen der textilen Arbeiten – ab Ende der 90er Jahre wurden die Ausstellungen umfangreicher und umfassten auch weitere Gegenstände aus dem Leben der Kuna-Indianer inklusive einer kleinen Sammlung von Uchus. Das sind kleine, mittelgroße bis mannshohe geschnitzte und bemalte Holzfiguren, die der Medizinmann der Kuna zur Behandlung von Krankheiten verwendet. Nach ihrer Pensionierung eröffneten unsere Eltern eine eigene Kunstgalerie, in der von 1990 bis 2007 fast einhundert Ausstellungen stattfanden. Die fantastischen Textil-Arbeiten der Kuna stellten sie dort jedoch nur ein einziges Mal aus. Schwerpunkt der Galerie waren Glas, Keramik und Malerei, mit einem Schwerpunkt auf Europa und Südamerika.

Was ist aus der Galerie geworden?

Unsere Eltern betrieben die Galerie in ihren eigenen Räumen in Berlin-Lichterfelde-Ost. Im November 2007 führten sie die letzte Ausstellung der Galerie Painen mit den Künstlern Alberto Flores und Heiner Norberg durch. Ausstellungen ihrer eigenen Kunst-Sammlungen an anderen Standorten führten sie noch bis zum Jahr 2013 durch.

Ihre Sammlungen und die umfangreichen Archive der Galerie haben wir nach dem Tod unserer Eltern ab 2020 nach und nach behutsam aufgelöst. Einige Restbestände gibt es noch. Die Beschäftigung mit Kunst und die Unterstützung von Kunstschaffenden war das Herzensprojekt unserer Eltern. Das Eingangschild der Galerie Painen hat daher einen besonderen Platz gefunden.

Was ist aus den Molas geworden, machen Sie selbst Ausstellungen?

Die Sammlung der Molakana und der anderen Objekte der Kuna-Indianer ist die einzige Sammlung, die wir vollständig bewahrt haben. Zu der Textile-Art im Jahr 2020 hatte ich mich angemeldet. Die Sammlung an geeigneter Stelle persönlich zeigen zu können, ist mir ein wichtiges Anliegen. Für weitere Ausstellungen fehlt mir derzeit die Zeit. Aber der Plan ist definitiv vorhanden, die Sammlung mal wieder auszustellen oder sie in anderer Form zugänglich zu machen.

Sind Sie inzwischen selbst zum Experten und Liebhaber dieser textilen Kunstwerke geworden?

Ein Liebhaber dieser Kunstwerke wird man sehr schnell, wenn man sie gesehen hat und noch besser, wenn man sie in den Händen halten kann. Die Fröhlichkeit, die Schönheit und die Faszination der Molakana wird aus der Kombination von einfachen einfarbigen Baumwollstoffen mittels der unglaublichen handwerklichen Fähigkeiten der Kuna-Frauen geschaffen.

Experte bin ich jedoch nicht in den letzten Jahren geworden, sondern ich habe meine Kenntnisse vor 30 und 40 Jahren erworben. Ich habe einen guten Blick für die Schönheit jedes einzelnen Stücks, kann eine Zuordnung der Textilien zu den westlichen Inseln und zu den südöstlichen Inseln in der Comarca San Blas treffen. Aber während der letzten 30 Jahre habe ich mich wenig mit den Kunstwerken beschäftigt. Die intensive Auseinandersetzung mit den Molakana, wie dies unserem Vater und unserer Mutter möglich war, habe ich bisher nicht führen können. Die Beschäftigung mit der Sammlung bleibt ein traumhaftes Vorhaben für die nächsten Jahre.

Ursula Hartmann, „Molakana erzählen ….“, 1986
Günther Hartmann und Ursula Hartmann, „Lebenskreise der Kuna“, 1993
Günther Hartmann, „Vom Camino Real zur Panamericana“, 1993
In diesen drei Büchern wird die Geschichte, die Kultur und die bedeutende Nähkunst der Kuna beschrieben.
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