Geertje Jacobs leitet das TextielMuseum in Tilburg in den Niederlanden. Anlässlich meines Besuchs der Ausstellung mit Arbeiten der amerikanischen Textilkünstlerin Sheila Hicks habe ich sie interviewt. Gleichzeitig läuft im Museum die Ausstellung „Switch / Dutch Design on the Move“, von der ich im Laufe des Interviews Bilder zeige.
Würden Sie mir erzählen, wie das Museum entstanden ist?
Das Museum an seinem heutigen Ort ist noch gar nicht so alt. Es stammt aus den 80ern. Es befand sich zunächst an einem anderen Ort, der Villa eines großen Textilfabrikanten. Das Museum sollte aber wachsen und es sollten mehr Ausstellungsstücke zusammengebracht werden. Dann aber wurde auch klar, dass eine andere Art von Museum benötigt wurde, nicht so sehr ein Museum aus der Sicht der Unternehmer, sondern der Arbeiter. Es arbeiteten so viele Menschen in den Fabriken. Das ist ein so wichtiger Teil der Stadt. In den 70er Jahren schloss die letzte Fabrik in Tilburg. Dabei verloren sehr viele Menschen ihre Arbeit. Im Übrigen waren die Arbeitsbedingungen in den Fabriken teilweise sehr schlecht. Als es dann darum ging, wo das neue Museum hin sollte, war klar, dass es in eine der alten Textilfabriken kommt. Im heutigen Museum wurden früher Wolldecken herstellt. Die Gebäude wurden renoviert und 1987 wurde das Museum eröffnet. Zum damaligen Zeitpunkt lebten noch einige Menschen, die hier einmal gearbeitet hatten. Sie wollten die Gebäude eigentlich nicht wieder betreten, weil sie keine guten Erinnerungen daran hatten. Es gibt heute keine Textilindustrie in den Niederlanden mehr. Textilien werden fast ausschließlich in Südostasien produziert. Heute sind die Niederlande für Innovationen in der Textilindustrie bekannt, wie man die alten Techniken noch immer nutzen und verbessern kann, wie man sie auf neue Weise, mit neuem Wissen nutzen kann, jedes Mal mit einer neuen Sichtweise eines neuen Designers. Es hat also ein Verschiebung von der Geschichte hin zur Innovation stattgefunden.
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Es ist also nicht nur ein Museum, das alte Webstühle zeigt, sondern ein „arbeitendes“ Museum.
Von Anfang an dachten wir, dass ein Museum, das nur Webstühle zeigt, ein bisschen langweilig wäre. Wenn wir schon einen Webstuhl haben, dann sollte daran gearbeitet werden können. Das war von Anfang an das Konzept und das haben wir professionalisiert. Wir haben neue Maschinen gekauft, um sie zu zeigen und Interessierte zu lehren, wie man mit textilen Materialien arbeiten kann. Das tun wir heute noch. Jetzt denken wir über den nächsten Schritt nach: Was sollten wir in unseren unterschiedlichen Bereichen tun: im Bereich für die Designer und Künstler, in den Ausstellungen, auf den Präsentationsflächen für die Öffentlichkeit? Wie sollten wir die Zukunft der textilen Stoffe gestalten?
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Die einzige Weise, wie die Textilindustrie in Europa überleben kann, ist durch Innovation.
Davon bin ich überzeugt! Wenn es den innovativen Teil in unserer Institution nicht gäbe, kämen nicht so viele Besucher. Für das Museum ist es sehr wichtig, dass wir das TextielLab im Gebäude haben, und umgekehrt ist es für das TextielLab sehr wichtig, das Museum zu haben. Das gehört einfach zusammen, und das Museum wäre ohne das TextielLab sehr langweilig, es könnte ohne das TextielLab nicht überleben. Ohne das Lab können wir die Handwerke nicht am Leben halten.
Im TextielLab arbeiten junge Designer und Textilkünstler?
Es kommen nicht nur junge Designer und Künstler, auch schon bekannte und erfolgreiche kommen zu uns, da wir über ganz spezielle Expertise verfügen. Es kommen aber auch immer mehr Architekten und Innenarchitekten.
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Warum gerade Architekten?
Textilien sind ein neuer Werkstoff beim Bauen: Sie sind billig, sie sind flexibel, sie haben in vielfacher Hinsicht Vorteile. Die Architekten suchen nach neuen Werkstoffen und finden textile Materialien hochinteressant. Wir haben ein paar Projekte mit Innenarchitekten gemacht, zum Beispiel Petra Blaisse und Rem Koolhaas, die mit uns experimentiert haben, um herauszufinden, wie man 3-D-Objekte aus textilen Materialien schaffen kann, z.B. für Wandbehänge, textile Wände, Deckenbehänge, große Vorhänge. Wir haben zurzeit einen Bereich, der nennt sich Co-Creation, da geht es um derartige Dinge. Es ist eher ein Forschungsprojekt. Einige Forschungsergebnisse sind bereits in Gebäuden eingesetzt worden, in anderen Fälle ist weitere Arbeit bis zur Einsatzreife nötig.
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Hier geht es also nicht in erster Linie um Textilkunst, es geht um angewandte Technik und Kunst?
Kunst und Design! Wir decken heute ein ziemlich großes Spektrum ab. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist auch der Bildungsauftrag. Neben unseren „Kunden“, den Architekten oder Designern, die ihre Produkte oder Kunstwerke weben oder stricken, gibt es bei uns auch viele Kurse für Studenten, die von ihren Hochschulen kommen. Es gibt z.B. eine Design-Hochschule in Eindhoven, dort gibt es einen Masterabschluss in Design, es gibt Kunsthochschulen, deren Schwerpunkt Textilkunst ist. Die Studenten belegen hier Kurse, mit ihren Dozenten oder ohne sie und lernen hier die Grundlagen von Weben oder Stricken. Auch für Schulen aus der Nachbarschaft gibt es Workshops oder Besichtigungen. Diesen Bereich erweitern wir gerade, wir wollen bessere und engere Beziehungen mit einer größeren Anzahl von Schulen.
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Diese Ausstellung mit Sheila Hicks ist wirklich etwas ganz Besonderes. Wie haben Sie sie dazu bewegt, hier auszustellen?
Das war wirklich eine Herausforderung! Sheila ist eine sehr beschäftigte Dame und viele wollen eine Ausstellung mit ihr machen. Vor anderthalb Jahren haben wir sie mehrfach in Paris besucht und haben mir ihr besprochen, was wir uns vorstellen. Sie war dann ganz begeistert von unseren Ideen und Plänen. Irgendwann haben wir einfach angefangen, mir ihr eine Ausstellung zu kreieren. Für Künstlerinnen wie Sheila Hicks ist es manchmal nicht ganz einfach, ihre Werke in einem Textilmuseum und nicht in einem künstlerischen Umfeld auszustellen. Irgendwann hat sie sich wirklich für unsere Konzepte erwärmt. Sie findet, was wir im Bildungsbereich tun, sehr gut. Sie hat unser Museum in Kontakt mit einer Weberei in Guatemala gebracht. Das Ergebnis ist in der Ausstellung zu sehen. In Guatemala wurde nach ihren Vorgaben ein riesiger Teppich gewebt, der hier im Museum gezeigt wird. Sie wollte keine Ausstellung, die ihre Arbeiten wie in einem Mausoleum zeigt. Sie überlegt bei jeder neuen Ausstellung, was kann ich Neues bieten. Sie wird so oft gebeten, Ausstellungen zu zeigen und immer noch schaut sie, was sie Neues bieten kann. Sie ist inzwischen 82 Jahre alt, aber nach wie vor sehr aktiv. Es laufen so viele Ausstellungen mit Arbeiten von ihr. Sie ist eine ganz einzigartige Person, so engagiert für ihre Arbeit. Sie probiert immer wieder Neues aus, greift auf Techniken oder Formen zurück, die sie schon einmal verwendet hat und versucht, sie zu verbessern, in Zusammenarbeit mit Produktionsstätten mit neuen Werkstoffen.
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Mit was für Materialien arbeitet Sheila Hicks?
Sie arbeitet mit dem großen amerikanischen Unternehmen Sunbrella zusammen, das unter anderem Markisenstoffe in Leuchtfarben wie orange, grün und rot fertigt. Dieses Material verwendet sie zu Füllung oder für neue Arbeiten, vor allem, weil es sich farblich überhaupt nicht verändert. Es ist kein Segeltuch. Es sieht aus wie aus Wolle oder Baumwolle, ist aber eine qualitative sehr hochwertige Kunstfaser, die sich nicht zersetzt und die Farbe behält.
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Welche anderen interessanten Ausstellungen gab es vor der Ausstellung mit Sheila Hicks?
Wir hatten eine Ausstellung mit dem berühmten niederländischen Modedesigner Jan Taminiau. 2009 haben wir die Ausstellung „Minä Perhonen – Fashion and Design“ gezeigt. Wir hatten eine Ausstellung über die Zero-Bewegung. Wir haben Künstlertextilien gezeigt z.B. von Picasso. Wir wollten dem Publikum zeigen, dass viele berühmte Künstler in einem gewissen Zeitpunkt in ihrer Künstlerkarriere begonnen haben, Stoffe für die kommerzielle Verwendung zu entwerfen. Nach der Ausstellung mit Arbeiten von Sheila Hicks werden wir eine Ausstellung über Pop-Stoffe in der Mode zeigen, ich nenne nur Andy Warhol und die Anzüge der Beatles. Das ist dann etwas ganz anderes. Wir wechseln immer wieder zwischen Mode-, Design- und Kunst-Ausstellungen. Wir hatten auch eine große Ausstellung zum Bauen mit textilen Materialien. In diese Ausstellung haben wir auch Kunstwerke und Auftragsarbeiten integriert. Als Museum werben wir auch Mittel ein und geben Künstlern oder Designern Aufträge. Sie sollen in unserem TextielLab ein Kunstwerk schaffen, das dann in unsere Sammlung kommt. Wir haben in diesem Zusammenhang auch Architekten aus aller Welt eingeladen, die sich zum aktuellen Wissensstand beim Bauen mit textilen Stoffen austauschen konnten.
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Sie haben eine große Sammlung?
Ja, wir haben 20.000 Objekte aus dem 20. Jahrhundert bis heute. Wir haben zum Beispiel eine recht große Sammlung an Art-Nouveau-Damast-Stoffen. Wir haben Bauhaus-Textilien. Unser Fokus liegt auf Kunst und Design vom 20. Jahrhundert bis heute. Da wir seit fast 20 Jahren auch Aufträge vergeben, haben wir ziemlich viele Objekte, die es sonst nirgends gibt. Da die Sammlung weiter wächst, müssen wir uns um eine Vergrößerung der Depots kümmern.
Wie bewahren Sie Ihre Objekte auf?
Das ist eine echte Herausforderung. Wir haben klimakontrollierte Depots und wir beauftragen Konservatoren. Wir sehen aber, dass sich vor allem bei Arbeiten, die in den 70er oder 80er Jahren aus neuen Materialien hergestellt wurden, die Fasern zersetzen. Es liegt nicht an Licht oder Staub, sondern an der Alterung der Stoffe. Wolle und Baumwolle sind nicht das Problem. Es gibt aber neuere Materialien, Kunstfasern, die sich nach einigen Jahren zersetzen. Wir forschen jetzt intensiv, was wir tun können, um das zu verhindern. Es ist sehr schwierig, diesen Prozess aufzuhalten.
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Verfügt das Museum auch über Restauratoren?
Wir hatten früher welche, aber inzwischen nicht mehr. Wenn erforderlich, beschäftigen wir kurzzeitig Restauratoren.
Das Restaurieren von Textilien ist eine schwierige Aufgabe?
Ja, sehr schwierig. Wir zeigen unsere Stücke nicht ständig und wechseln stets. Aber unser größtes Problem ist, wie ich schon sagte, die Zersetzung dieser Kunstfaserstoffe. Als die synthetischen Fasern entwickelt wurden, da wusste noch keiner, wie sie sich verhalten würden. Dann wurde damit experimentiert und heute sehen wir, dass die Kunstfasern von immer besserer Qualität sind. Tilburg ist inzwischen in der Textilszene recht bekannt. Zu uns kommen Leute aus Chicago, aus Japan, aus den USA. Viele Leute wissen, was wir hier machen. Es gibt keine zweite Einrichtung auf der Welt, in die sie kommen können, wenn sie etwas Neues oder Einzigartiges mit textilen Materialien machen und experimentieren wollen.
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Vielen Dank für das Interview!
(Das Interview wurde in englischer Sprache geführt.)