Portraits & Interviews

Interview mit der Sammlerin Waltraud Schönebeck

Interessieren Sie sich schon seit Ihrer Kindheit für Textiles?

Interessieren kann man so nicht sagen. Ich habe aber schon immer schöne Stoffe geliebt. Es waren aber nicht nur Farbe und Muster, sondern es war auch die Berührung von Stoffen. Wenn ich über einen schönen Stoff mit der Hand strich, habe ich das körperlich gespürt. Ebenso fasziniert haben mich Stickereien. Ich erinnere mich z.B. an eine wunderschöne Bluse aus Dupontseide, die meine Mutter mit aufwändiger Richelieu-Stickerei verziert hatte.

Haben Sie schon als Kind textile Techniken gelernt und üben Sie heute ein textiles Kunsthandwerk aus?

Als ganz kleines Mädchen habe ich zuerst mit einer sogenannten Strickliesel geübt, die mein Opa aus einer Garnrolle und Nägeln gefertigt hatte. Dann kamen Perlfädel-Arbeiten für Muttis Geburtstag, z.B. Untersetzer mit Blumen oder einem Haus. Nach der Einschulung kamen die ersten unbeholfenen Häkelversuche dazu. Ebenso kleine Deckchen in Durchzugtechnik. Gehasst habe ich später das Stopfen von Strümpfen, was in der Nachkriegszeit einen Großteil meiner Freizeit wegnahm. Ich konnte an dieser Arbeit nichts Schönes oder Kreatives erkennen. Toll fand ich, dass ich einmal aus neuer hellblauer Wolle eine Jacke für mich stricken durfte – damals war ich wohl 9 oder 10 Jahre alt. In der Volksschule, wie sie damals hieß, kam später auch der Handarbeitsunterricht dazu.

Ab dem 13. Lebensjahr besuchte ich ein Internat bei katholischen Nonnen. Hier wurde sehr viel Wert auf Handarbeiten gelegt. Einige Techniken mochte ich nicht so gern, wie z.B. Filetieren oder Kunststricken. Hier habe ich nur meine Pflichtstücke gearbeitet. Manchmal habe ich die vielen Handarbeiten auch gehasst, da ich eine absolute Leseratte war und so oft Schwierigkeiten mit dem Abgabetermin hatte. Ich habe mir damals geschworen: Sobald ich das Internat hinter mir und die elterliche Wohnung verlassen habe, rühre ich nie wieder eine Nadel an. Dies war aber bis heute mein einziger Meineid.

Sie besitzen eine alte Schaumburger Tracht. Würden Sie sie ausführlich beschreiben?

Mein Interesse für Textiles begann beim ersten Besuch bei meiner Schwiegermama in spe in Schaumburg-Lippe. Ich fuhr vom frühlingshaften Karlsruhe über Ostern in den eisigen Norden. Im Ostergottesdienst fiel mir auf, dass die älteren Frauen hochrote lange Röcke trugen, dazu Schürzen, Mieder, Schulter- und Kopftücher. Beim Mittagessen stellte ich natürlich gleich eine Menge Fragen und erfuhr dabei, dass die Tracht früher viel aufwändiger war. Ich durfte dann wunderschöne gestickte Tücher sowie Fragmente der großen Flügelhaube bewundern, die auf dem Dachboden verstaut waren. Fragmente der Hauben deshalb, weil sie nach dem Krieg aus Platzmangel sorgsam auseinandergenommen worden waren. Für die einquartierten Flüchtlinge aus Schlesien mussten Räume freigemacht werden, und Großmutter konnte sich, obwohl längst aus der Mode, nicht von den Kostbarkeiten trennen. Ich fand die Stickereien sowie die mit Perlen gestickten und gestrickten Teile faszinierend und versuchte, alles über die Tracht in Erfahrung zu bringen.

Im Schaumburger Land existieren drei unterschiedliche Trachten: die Bückeburger, die Lindhorster und die Friller Tracht. Ich beschränkte mich zuerst nur auf die Bückeburger Tracht und versuchte, alle noch vorhandenen Trachtenteile in der Verwandtschaft aufzutreiben. Eine komplette Tracht zusammenzustellen ist eigentlich unmöglich, da es zu jedem Anlass unterschiedliche Teile gibt. Am seltensten dürften wohl Kindertrachten sein, da diese immer weitergereicht wurden. Bei den Erwachsenen unterscheiden wir Arbeitstracht, Sonntags-, Festtags-, Abendmahls- und Trauertracht. Dazu kommen dann noch besonders kostbar ausgestattete Varianten für die Braut, die Patin oder den Täufling. Nicht jeder konnte sich solch eine Ausstattung leisten und so wurde z.B. die Brautkrone meist von der Kirchengemeinde gegen eine Gebühr ausgeliehen. Auch hat sich das modische Erscheinungsbild im Laufe der Jahre verändert. Aus einem kleinen Häubchen entwickelte sich in der 2. Hälfte das 19. Jahrhunderts die Flügelhaube, die sich allein schon wegen ihrer Größe nicht lange durchsetzen konnte. Für junge Mädchen gab es noch eine blaue Flügelhaube, die zur Konfirmation getragen wurde.

Die wenigsten Veränderungen erfuhr die Abendmahlstracht. Sie war ganz in schwarz und weiß gehalten, bis auf die Stickerei mit Goldperlen auf Schleife und Bändern. Diese wurde auch von der Braut getragen, wirkte dann aber durch den Putz, eine Art Brautkrone, dem gestickten „Böstgen“, und den breiten kostbaren, mit kleinen Spiegeln versehenen Bändern, sehr viel prunkvoller.

Schaumburger Tracht

Der rote Rock war der Sonntags-bzw. Festtagstracht vorbehalten. Er ist am Saum mit einem breiten Samtband besetzt. Dieses kann blau, grün oder bordeaux sein, für Trauer schwarz, allerdings immer abgestimmt zur Farbe der Seidenschürze. Die Grundausstattung besteht aus Hemd, Strümpfen, weit ausgeschnittenen Schuhen, Unterrock, meist mit angeschnittenem Leibchen. Dazu kamen Rock, Wams, Schürze, Schultertuch, Haube, ein großer weißer gefältelter Kragen, ebensolche Vorärmel, die an den Halbärmeln befestigt werden. Schließlich noch Gürtel und fingerlose Handschuhe, Schlips, sowie Bernsteinkette und Ohrringe. Für die kalte Jahreszeit trug man entweder ein großes Umschlagtuch oder einen gefütterten Seidenmantel.

Aufwändig gearbeitet waren die Stickereien an der Haube mit Gold und Glasperlen, Pailletten und Seidengarn. Für Trauer waren diese in schwarz ausgeführt. Die sogenannten „Handschen“ waren kunstvoll gestrickt, für die Sonn- und Festtagstracht mit Glasperlen, wie auch der Ziergürtel. Die gestickten Schultertücher harmonierten farblich mit den Seidenschürzen und Rockbesätzen. Alle Varianten aufzuzeigen würde ein Buch füllen und die Sammlung zu komplettieren, ist ein leider nicht erfüllbarer Wunsch.

Sie sammeln Textilien aus vielen Ländern, erzählen Sie uns etwas über ein paar besonders schöne Stücke.

Einige Jahre später bekam ich in Arizona eine alte Mantilla in Teneriffa- bzw. Solspitze als Abschiedsgeschenk von einer Freundin. Ich hatte ihr meine kleine Sammlung gezeigt, und sie hat mir mit diesem Geschenk eine riesige Freude gemacht.
Diese erste Spitze war der Grundstock für viele weitere, die ich dann in der Zeit unseres Aufenthaltes in Frankreich zusammengetragen habe. Auf Floh- und Antikmärkten fand ich wunderschöne Häubchen und Taschentücher mit Weißstickerei und Spitze. Nun wollte ich unbedingt mehr über die verschiedenen Spitzenarten und deren Geschichte in Erfahrung bringen. Literatur gab es dazu kaum. Internetsuche war in den 70ern auch noch nicht möglich. Wie sich später nach vielen Besuchen in Museen, Schulen und Gesprächen mit Fachleuten herausstellte, habe ich in dieser Zeit die besten Teile zu Superpreisen erstanden. Das lag wohl daran, dass diese Trödler überhaupt keine Ahnung von ihren Schätzen hatten. Diese antiken Spitzen sind allesamt aus dem Europäischen Raum.

Spitzen

Durch die Beschäftigung mit dem Material interessiert man sich automatisch auch für andere Gewebe und Herstellungstechniken. So befinden sich in meiner Sammlung natürlich auch Ikat-Gewebe, Blaudrucke, Cashmir-Schals, chinesische Stickereien, aber auch koptische und peruanischeTextilien.

Andere Länder

Zurück in Deutschland habe ich einen Klöppelkurs organisiert. Ich wusste immer, dass ich keine großen Kunstwerke herstellen würde, aber es war mir wichtig, eine Ahnung von der Technik zu haben. Ebenso habe ich bei uns zu Hause über einige Wochen einen Nadelspitzenkurs organisiert. Ich hatte hierzu eine begnadete Nadelspitzenkünstlerin gewinnen können. Bei den Landfrauen in Wiesbaden-Kloppenheim besuchte ich zwei Winter hindurch einen Kurs für Schwälmer Stickerei.

Haben Sie auch andere Trachten?

Das Thema Tracht beschäftigte mich natürlich weiterhin. Vergleichsweise häufig waren Kopfbedeckungen zu finden. Das lag wohl daran, dass Röcke, Jacken, Blusen und Wäsche in der Nachkriegszeit durch Umarbeitung eine Wiederverwendung fanden. Ebenso waren Strümpfe und Schuhe sehr selten zu finden. Mittlerweile ist es mir aber doch gelungen, einige Trachten aus Hessen, Franken und den Vierlanden zusammen zu tragen. Ganz besonders habe ich mich über eine Kindertracht aus Betzingen gefreut. Ich bin immer wieder erstaunt, welche Vielfalt es gibt, obwohl schon immer Stickereien und
Bänder in Manufakturen oder in Heimarbeit entstanden sind und von Hausierern vertrieben wurden.

Andere Trachten

Sie sagten mir, Sie interessieren sich besonders für Mode, würden Sie mehr darüber erzählen?

Zur Mode kam ich dann eher zufällig. Spitzen und Stickereien waren ja auch an Hauben, Fächern, Handschuhen, Strümpfen oder Tüchern. Daraus entstand dann der Wunsch, das passende Kleidungsstück dazu zu ergattern. Nach dem Kleid kommt dann der Wunsch nach den passenden Accessoires, also Hüten, Handschuhen, Schals, Taschen und Schuhen, es ist eine regelrechte Sucht.

Mode

Sie fragen nach ein paar besonders schönen Stücken:
Diese Frage ist für mich schwierig zu beantworten. Dazu gehören in jedem Fall Kleider aus der Renaissance, der Biedermeierzeit oder dem Art-Deco, ebenso wie kostbar bestickte und handgenähte Wäsche oder Taufkleider. Jede Epoche, jedes Land, jede Region hat besonders schöne Stücke, und so suche ich exemplarisch nur ein Teil heraus. Es ist weder das älteste, noch das wertvollste, aber es ist eine kuriose Geschichte. Sie zeigt, wie man auch allein mit etwas Glück ein besonderes Stück erwerben kann.

Kurz vor unserem Umzug aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Berlin hatte ich beim Frühstück das Gefühl, noch unbedingt mal nach Frankreich zu müssen. Wir entschlossen uns ganz schnell zu einer Stippvisite nach Straßburg. Natürlich war der
kleine Straßenflohmarkt ein Muss. Ein Händler bot in einem alten Weidenkorb Waffeleisen, Kaffeeröster und Bügeleisen an. Ich hob eines der Teile an, und er glaubte, ich sei daran interessiert. Ich wollte aber nur wissen, was er unter all diesen Dingen hatte. „Ach, das ist nur Stoff, damit das Zeug nicht so im Auto klappert.“ Ich wollte aber unbedingt dieses „Stück Stoff“ sehen und auch selbst herausnehmen, um eventuelle Beschädigungen zu vermeiden. Es kam ein wunderschönes champagnerfarbenes Seidenkleid mit langer Schleppe zum Vorschein. Nach einigem Verhandeln hat er es mir dann für umgerechnet 10 DM überlassen, davon wollte er dann bei einem anderen Trödler wieder ein Stück Stoff kaufen. Leider hatten einige der 48 bezogenen Knöpfe kleine Roststellen. Ich habe danach 18 Jahre lang nach einem passenden Stoff gesucht und mir für ein Vielfaches des Kaufpreises 50 Knöpfe beziehen lassen.

Straßburger Kleid

Haben Sie Ihre Sammlung schon gelegentlich ausgestellt?

Als Gesamtes wäre dies wohl nicht möglich, aber immer wieder Teile. Am häufigsten waren es wohl Teile der Spitzensammlung. Mode ist schwierig auszustellen, da es hierfür wichtig ist, geeignete Figurinen und Vitrinen zu haben, ebenso müssen die Lichtverhältnisse stimmen. Eine größere Ausstellung mit dem Titel „Modische Accessoires aus 3 Jahrhunderten“ lief über 5 Monate und war, wie ich denke, ein großer Erfolg. Die letzte Ausstellung hatte ich 2016 mit dem Titel „Rund um die Braut“. Ausgestellt waren städtische und ländliche Kleider, aber auch Zubehör wie Strümpfe, Strumpfbänder, Schuhe, Taschentücher, Kränze und Brautkronen. Sicherlich wären auch kleinere Ausstellungen interessant und einfacher zu organisieren. Ich denke hierbei an Taschen, Taschentücher, Handschuhe, Strümpfe, Knöpfe, Wäsche oder Bademode.

Ausstellungen

Was soll aus Ihrer Sammlung werden?

Hier haben Sie einen wunden Punkt angesprochen, und diese Frage hat mir schon manche schlaflose Nacht beschert. Der Traum eines Museums ist eben nur ein Traum.
Ideal wäre es, eine Stadt mit einer textilen Tradition zu finden und sie für eine Übernahme der Sammlung zu interessieren. Auch eine Aufteilung nach verschiedenen Sammlungsgebieten wäre sicherlich denkbar. Ziel sollte es dabei immer sein, die Sammlungsstücke nicht nur ins Depot zu bringen, sondern sie in Ausstellungen zu zeigen.

Sammlung