Portraits & Interviews

Interview mit der Künstlerin Elsbet Wiens

Nachdem Elsbet Wiens einige Jahre kreative Nadelspitzen aus Seide genäht hatte, suchte sie nach einer Weiterentwicklung. Seit 1997 arbeitet sie deshalb mit Draht. Ich habe sie gefragt:

Sie bearbeiten Draht mit einer textilen Technik. Haben Sie eine textile Ausbildung?

Die Möglichkeit, Textiles Gestalten mit dem Ziel des Lehramtes für dieses Fach zu studieren, hatte ich zu Beginn meines Studiums ausgeschlagen, denn ich war durch den damaligen Unterricht in diesem Fach, die Themen ließen keinen Raum für kreative Aspekte, außerordentlich frustriert. Während des Studiums spielten bei mir neben dem Hauptfach Deutsch auch Kunst-, Musik- und Theaterseminare eine große Rolle.

Erzählen Sie uns etwas über Ihren künstlerischen Werdegang.

Nach dem Studium arbeitete ich als Volksschullehrerin in Schleswig-Holstein. Ich begann, mich gelegentlich in meiner knappen Freizeit mit Sticken oder mit Makramee zu beschäftigen. Damals erschienen im Verlag Ravensburger zahlreiche Bücher mit dem Obertitel: „Spiel mit den bildnerischen Mitteln“. In diesen Büchern fand ich zum ersten Mal andere Ideen zum künstlerischen Gestalten. Mein Lebensweg führte mich nach meiner Hochzeit zu meinem Ehemann nach Hessen. Dort arbeite ich, wie auch schon in Schleswig-Holstein, an einer Schule für Lernbehinderte. Außer, dass ich in Frankfurt die großen Museen und viele Ausstellungen besuchen konnte, gab es nichts, was auf meinen Weg zur Kunst hindeutete. Die Änderung kam durch eine Lebenskrise. Nach der komplizierten Geburt unseres zweiten Sohnes lag ich wochenlang auf der Intensivstation. Ich brauchte Monate, um mich davon zu erholen. Kurz nachdem ich wieder an meiner Schule arbeiten konnte, stürzte ich dort und kam mit einem komplizierten Beinbruch ins Krankenhaus. Als ich dann nach Wochen wieder nach Hause durfte, musste ich lange Zeit an Krücken gehen. Mein älterer Sohn ging schon in den Kindergarten, der jüngere wurde vormittags von einer Kinderfrau betreut. So blieb mir zu viel Zeit. Ich fand in dem Buch „Kreative Freizeit“ eine Anleitung zur Fertigung von Nadelspitze. Das wenige Material dafür fand ich in meinem Haushalt: Baumwollgarn, eine passende Nadel und dickes Papier als Unterlage. Nach meinem eigenen Entwurf entstand die Spitze „Nummer Eins“.

Nummer 1
1979

Die Spitzentechniken werden überwiegend nach dem Werkzeug benannt, mit dem sie angefertigt werden. Für die Nadelspitze benötigt man eine Nadel und einen Faden. Auf einen Karton oder auf festen Stoff wird das Muster gezeichnet. Die entlang dieser Kontur aufgehefteten Fäden bilden das Gerüst für mit Spitzenstichen ausgefüllte Flächen. Danach werden die Konturfäden durch besondere Wicklungen oder Knopflochstiche betont. Nach der Fertigstellung kann, nachdem die Heftfäden durchtrennt worden sind, die fertige Spitze von der Unterlage gehoben werden.

Im Jahr 2010 wurde die Nadelspitze von Alençon im Süden der Normandie zum „Immateriellen Welterbe der UNESCO“ erhoben. In der Stadt wird seit 1665 feine Nadelspitze, die „Point d’Alençon“, hergestellt. Mit der Hilfe von angeworbenen italienischen Arbeiterinnen kopierte man zunächst die venezianische Spitze und verhängte dann ein Einfuhrverbot für Spitzen. Geschützt durch das staatliche Monopol, eroberte die normannische Nadelspitze die europäischen Höfe.

In den Achtzigerjahren beschäftigte ich mich intensiv mit dieser Spitzenart, kaufte mir zahlreiche Bücher zum Thema und trat dem Verein „Deutsche Spitzengilde“ bei. Außer dem Nähen von Nadelspitze begann ich auch wieder zu sticken. Meine Arbeitsergebnisse versah ich mit Rahmen und hängte sie an unsere Wände.

Bild
1980

Für meine Spitzennäherei benutzte ich nur noch weiße Seidengarne. In der Zeit entstanden jedes Jahr nur wenige Werke, denn mein Beruf als Lehrerin und meine Familie standen im Vordergrund meines Interesses. Nach meiner Teilnahme am Wettbewerb zum 10-jährigen Bestehen der Zeitschrift Textilkunst war ich 1983 mit meinem Bild „Strandgut“ an den Ausstellungen in Hannover und in Tilburg in den Niederlanden beteiligt.

Strandgut
1983

Ich kaufte gern verschiedene textile Materialien und wartete auf den richtigen Einfall für ein neues Werk. Der rote Seidenstoff faszinierte mich und ich nähte dieses Bild. Fast alle meine Arbeiten waren kleinformatig.

Rote Wellen
1987

Bei Urlauben an den Stränden Skandinaviens hatte ich auch immer Steine gesammelt. In Veranstaltungen der Deutschen Spitzengilde zeigte ich meine neuen Spitzen. Ein kleiner Junge sagte spontan zu seiner Mutter: „Die Frau zieht die Steine an!“ So ergab sich der Titel für die Steine. Ich hatte zunächst große Probleme, Titel für meine Arbeiten zu finden, denn in unserem Haus brauchte es für die ausgestellten Werke keine Bezeichnung.

Angezogene Steine
1987

Mit diesen auf die Steine gearbeiteten Nadelspitzen suchte ich nach der dritten Dimension. Im Jahr darauf begann ich, Jutegarn als neues textiles Material zu entdecken. Einen Kern aus Jutefäden umwickelte ich mit dem Jutegarn. Damit entstanden zum ersten Mal dreidimensionale Objekte. Mit den unten abgebildeten ineinander gearbeiteten Ringen können immer neue Formen kreiert werden.

Ringe
1989

Gleichzeitig mit den vielen anderen textilen Bildern, die unsere Wände zierten, nähte ich immer noch Spitze. Diese Schnecke ist mit 40 x 26 Zentimetern das größte Spitzenbild, das ich genäht habe.

Große Schnecke
1990

Entscheidend für meine weitere Entwicklung war meine Teilnahme an Keramikkursen. Hier begann ich, den Ton frei zu gestalten. Das unten abgebildete Objekt wurde glasiert, in einem mit Holz befeuerten Ofen gebrannt, rot glühend mit einer langen Zange aus dem Ofen genommen und in einem hitzebeständigen Behälter mit Sägespäne gelegt. Dadurch entstand das gewünschte Craquelé. Diese spezielle Brenntechnik, das Raku, wurde in Japan im 16. Jahrhundert entwickelt.

Grünes Objekt
1991

Für die Deutsche Spitzengilde organisierte ich 1993 in Polch und 1996 auf der Creuzburg bei Eisenach Sonderausstellungen. Außerdem gab es seit 1993 einen kleinen Ausstellungsraum im Werkstattmuseum in Obertshausen im Landkreis Offenbach, in dem der Verein Ausstellungen präsentieren konnte. Drei große Ausstellungen in einem Wechselausstellungsbereich wurden von mir allein eingerichtet, darunter die Ausstellung der Klöpplerin Ulrike Voelker. Nachdem ich einige Jahre kreative Spitzen aus Seide genäht hatte, suchte ich nach einer Weiterentwicklung. Ich begann deshalb 1997, mit Draht zu arbeiten. Unten abgebildet ist das erste Objekt, bei dem mir eine Dreidimensionalität bei der Herstellung gelang. Das Material war Eisendraht, den ich rosten ließ und mit einer Kupferdrahtwicklung versah.

In Bewegung
1999

Nachdem ich jahrelang mit jüngeren Schülern gearbeitet hatte, beschloss ich in Absprache mit meinem Schulleiter, meine damalige Klasse bis zum neunten Schuljahr zu behalten. Mit diesen Schülerinnen und Schülern konnte ich in Frankfurt am Main Kunstprojekte verwirklichen, die in einem Café in der Nähe, im Amt für multikulturelle Angelegenheiten und einem Jugendtreffpunkt ausgestellt wurden. Außerdem spielten wir mehrfach während der Frankfurter Schultheatertage eigene Produktionen im Theater im Mousonturm. Als einen weiteren Höhepunkt erhielt diese Klasse beim Wettbewerb „Stadt am Fluss“ den ersten Preis.

Im Jahr 2000 stellte ich im Wechselausstellungsbereich des Museums in der Stadt Obertshausen unter dem Titel „Bilder und Objekte“ über fünfzig meiner Werke aus. Darunter waren auch meine ersten Objekte aus Draht. Durch meine Technik der Nadelspitze hatte ich eine Möglichkeit gefunden, aus der Begrenzung der Ebene zur dritten Dimension zu gelangen.

2005 nahm ich an der ersten Textile Art Berlin teil und ab 2007 an jeder der folgenden Veranstaltungen. Erst nach meiner Pensionierung 2011 hatte ich Zeit, mich für internationale Ausstellungen der Textilkunst zu bewerben. So waren jeweils einzelne Objekte von mir 2012 auf der Miniartextil in Como (IT) und in Mondrouge (F), 2013 innerhalb 9th International Baltic Minitextile Triennial in Gdynia (PL) und in Lódźl (PL) und 2016 während 10th Baltic Mini Textile in Gdynia (PL) zu sehen.

Grand Prix
2013

Da ich 2013 in Gdynia in Polen mit dem „Grand Prix“ ausgezeichnet worden war, konnte ich dort 2016 von März bis Mai im Museum der Stadt meine eigenen textilen Arbeiten im Ausstellungsbereich des Museums zeigen. 2018 wurde ich gebeten, mich mit drei Arbeiten an der Ausstellung Asia-Europe Fiber Art IV zu beteiligen. Sie eröffnete 2019 in Tournai (B) und wurde dann 2020 in Krefeld (D), in Dronninglund (DK) und in Kedainiai (LT) gezeigt.

Mit was für einem Material arbeiten Sie?

Meine Objekte arbeite ich aus sogenanntem Blumendraht mit der Stärke von 0,35 Millimetern, für meine Kupferdrahtwicklungen verwende ich Drähte aus dem Elektrohandel von 0,15 mm.

Können Sie uns beschreiben, wie eines Ihrer Objekte entsteht?

Ich skizziere erst einmal viele kleine Entwürfe und suche mir daraus die interessanteste Idee aus. Dann zeichne ich den Entwurf in der geplanten Größe. Bevor ich mit den Objekten anfange, ist eine ziemliche Fleißarbeit notwendig. Danach nähe ich diese Teile aus der freien Hand mit Draht zum geplanten Objekt. Nachdem das Objekt so weit fertig ist, kommt es mehrere Stunden in ein Essigbad. Dadurch lasse ich es rosten. Durch Kupferdrahtwicklungen um Eisendraht kann ich, der Nadelspitze folgend, den Objekten eine Kontur geben.

Haben Sie künstlerische Vorbilder?

Nein, eigentlich nicht. Ich hatte nur immer Interesse an eigenem kreativen Gestaltern. Seit 1978 gab es in Frankfurt die Ausstellung „Zeitgenössisches deutsches Kunsthandwerk“, die später als Triennale oft auch in Verbindung zu einem Gastland durchgeführt wurde. Ab 1997 hieß die Ausstellung Triennale für Form und Inhalte. Sie war bis 1999 die weltweit einzige Ausstellungsreihe zum zeitgenössischen Kunsthandwerk. In diesen Ausstellungen sah ich zum Beispiel beeindruckende textile Werke von Sofie Dawo, Anka Kröhnke, Dorothea Reese-Heim, Hilla Seelig und Beatrijs Sterk. 2011 gab es leider die letzte Triennale.

Was inspiriert Sie?

Die Gestaltung meiner Objekte lehnt sich an die Formensprache der Natur an. Durch die Beteiligung an dem internen Wettbewerb „Jahressampler“ der Textilen Art Berlin habe ich mich auch immer wieder mit dem Sticken beschäftigt.

Wie erleben Sie die Zeit der Pandemie? Hat sie für sie künstlerische Freiräume geschaffen oder vermissen Sie die Interaktion mit anderen Künstlerinnen?

Da ich seit 2011 im „Ruhestand“ lebe, hat sich für mich nicht so viel geändert. Jede „Corona-Lücke“ habe ich bisher genutzt, um mich mit Freundinnen und Freunden zu treffen, um gemeinsam Museen zu besuchen. Die angemeldeten Besuche bei den Ausstellungen hatten den Vorteil, dass man sich durch kein Gedränge in den Museen bewegen musste.

Good News
2020

Den Sommer 2020 verbrachte ich damit, mein bisher arbeitsaufwendigstes Objekt zu gestalten. Nach grob gerechnet 180 Stunden war das Objekt mit dem Titel „Good News“ fertig. In diesem Jahr habe ich mich mit kleineren Arbeiten beschäftigt. Im Oktober stelle ich die neuen Werke auf dem Webermarkt im „Museum Tuch+Technik“ in meiner Geburtsstadt Neumünster und im November in meinem Wohnort in Offenbach auf dem „Markt für Mode, Kunst und Handwerk“ aus.

Alle Bilder wurden von Elsbet Wiens zur Verfügung gestellt.