Portraits & Interviews

Interview mit der Kostümbildnerin, Designerin und Textilkünstlerin Agnieszka Dutkiewicz

Sie haben Volkswirtschaft studiert. Wie verlief der Weg von dort zum Kostümdesign?

Nicht besonders geradlinig, wie man sich vorstellen kann. Wobei ich da etwas ausholen muss: Bereits als Kind hat mich die Welt der Mode und der Kleidung in einem besonderen Maße fasziniert. Dieser Faszination wollte ich durch eigenes Tun Ausdruck verleihen und habe mir als Teenager das Nähen selbst beigebracht. Naheliegend war ein Design-Studium, das ich ins Auge fasste. Und doch nach Fertigstellung der Kunstmappe verwarf. Der Mut ins kalte Wasser zu springen, fehlte mir. Und dann wurde es die Volkswirtschaftslehre, um die großen Zusammenhänge der Weltwirtschaft zu begreifen. Das Künstlerische, das in mir schlummerte, ließ sich aber nicht vertreiben und begleitete mich auch weiterhin. Parallel zum Studium arbeitete ich im Kostümbereich eines Theaters in Köln, habe anschließend ein Upcycling-Label gegründet und einen Ausstellungsraum für textile Kunst eröffnet. Nach vielen Jahren war es dann so weit und der Sprung ins kalte Wasser gelang. Seit 2019 nun arbeite ich ausschließlich im Bereich Kostümdesign und Textilkunst. Mit meiner Vita möchte ich gerne allen jungen Menschen Mut machen: Traut euch. Wenn euch etwas fasziniert: Es sollte der Welt gezeigt werden. Tut nur, was ihr liebt, und macht es mit großer Leidenschaft!

Sie arbeiten als Kostümdesignerin, unter anderem für Kurzfilme. Worauf kommt es da an und inwieweit können Sie Ihre eigenen Ideen umsetzen?

Ich würde mich als Kostüm-Spezialistin für Independent Filme bezeichnen. Häufig gehen da große Gestaltungsspielräume einher mit einem knapp bemessenen Budget, aber auch einem Team von großartigen, extravaganten und besonderen Persönlichkeiten, die einem schnell ans Herz wachsen. Bei meiner Arbeit kommt es im Besonderen darauf an, durch Kostüme eine Bildsprache zu kreieren, die sich harmonisch einfügt in das Gesamtkunstwerk Film mit allen seinen Facetten, wie Location, Musik, Farbgebung, historischer Kontext. Es sollte ein roter Faden erkennbar sein. Das Kostüm bietet dem Zuschauer einen Orientierungsrahmen, nimmt ihn bestenfalls an die Hand und führt ihn durch den Film. Mein besonderes Glück besteht darin, dass ich hauptsächlich Filmprojekte mit meinem Mann Ömer Pekyürek realisiere, der als Regisseur die letzte Entscheidungsinstanz ist.

Und da wir sehr ähnliche visuelle und ästhetische Bilderwelten realisieren möchten, habe ich einen besonders großen Gestaltungsspielraum in der Umsetzung. Dreh- und Angelpunkt ist aber eine umfangreiche Kommunikation vorab, die durchaus auch die Erstellung von Mood Boards beinhalten kann. Jedes Filmprojekt ist anders und bringt seine eigenen Herausforderungen mit. Relevante Faktoren für mein Projektmanagement sind die zeitliche Einordnung des Filmstoffs, die Anzahl der benötigten Kostüme inklusive aller Accessoires und die Fragestellung, ob ich Kostüme selbst kreiere und nähe; oder ob Kostüme ausgeliehen werden, z.B. an Theaterhäusern oder gekauft und ggf. geändert werden. Pauschal kann man aber sagen, dass ich bereits mehrere Monate vor dem Dreh arbeite, bevor es ans Filmset geht. Es ist dann besonders spannend zu erleben, wie all das, was meine Vision ist, plötzlich Wirklichkeit wird. Und dann noch einmal spannend, wie der Film am Ende wirkt und „meine“ Kostümwelt zum Leben erweckt.

Für eine Kunstausstellung haben Sie textile Drucke hergestellt. Erzählen Sie uns mehr über Ihre Arbeiten und die Ausstellung.

Sehr gerne. Für diese Ausstellung wollte ich das Thema „Familie“ mit textilen Kunstwerken darstellen, aber Familie ist ein ausladend weiter Begriff für ein Konglomerat an unterschiedlichen Facetten. Vor diesem Hintergrund habe ich ergänzend Acrylfarben hinzugenommen. Die Stoffmusterproben, die ich verwendet habe, wurden als Drucke auf Papier übertragen, um ihre textilen Strukturen zum Vorschein kommen zu lassen. Der Druck auf Papier und der Stoff bildeten hierbei zwei sich ergänzende Paare, die nicht losgelöst voneinander zu betrachten sind. So ähnlich wie familiäre Konstellationen, von denen wir uns nur vermeintlich abgrenzen können.

Ihr textiler Kommentar zu Fast Fashion gefällt mir gut. Upcycling scheint Ihnen am Herzen zu liegen. Ihre Einzelausstellung im vergangenen Jahr befasste sich mit diesem Thema?

Vielen Dank. Auch hier erlaube ich mir ein wenig auszuholen. Das Thema der Wiederverwertbarkeit und Aufwertung von Kleidungsstücken beschäftigt mich seit mindestens 20 Jahren, lange bevor sich der Begriff Upcycling etabliert hat. Nun ist man des Begriffs wieder ein wenig überdrüssig, so scheint mir. Ich bevorzuge von Re-Design und Re-Art zu sprechen. Ich werte Kleidungsstücke, die für die Altkleidertonne bestimmt waren, bewusst auf, bearbeite sie auf eine extravagante Art zu etwas Neuem und zu einem Unikat. In einem kleinen Maßstab möchte ich somit ein Zeichen setzen. Dennoch werden die textilen Müllberge leider immer größer und größer. Bereits 2018 habe ich ein großformatiges Werk ausgestellt, bei dem auf endlos vielen Wäscheleinen die endlos gleichen Kleidungsstücke aufgehängt waren. Ganz bewusst habe ich hierbei eine kindlich-naive Darstellungsart gewählt, um niederschwellig neugierig zu machen. Gesellschaftskritisches Engagement finde ich wichtig, aber nicht unbedingt moralisierend belehrend. Im letzten Jahr wiederum habe ich re-designte Kleidungsstücke ausgestellt, ergänzt um Fotos und ein Video. Hier haben wir im Vorfeld mit einem Model gearbeitet und „Die Geschichte einer Frau“ erzählt. So steht Re-Fashion und Re-Design nicht ausschließlich im Mittelpunkt meiner künstlerischen Arbeiten, sondern kann ebenso ein Mittel sein, um andere, ebenfalls gesellschaftlich relevante Themen darzustellen. Als nächstes möchte ich mich übrigens mit meinen Arbeiten dem Mann zuwenden und der Fragestellung, ob ihm futuristisch-dekonstruierte Kleidung als Schutz in der Apokalypse dienen kann. Aber an dieser Stelle möchte ich noch nicht zu viel verraten.

Sie haben 2023 einen Workshop „Textile Kunst“ für Grundschüler gegeben. Schildern Sie uns bitte Ihre Erfahrungen.

Ich habe über mehrere Wochen mit Kindern im Alter zwischen 6 und 10 Jahren „Die Schule der Träume“ gestaltet, wobei wir einzelne Räume kreiert und auch mit textilen Hilfsmaterialien (Stoffresten) gestaltet haben. Jeder Raum entstand aus einer alten Obstkiste. Es war sehr bereichernd zu sehen, wie unvoreingenommen junge Menschen einfach loslegen und im Prozess ihr eigentliches Ziel herausarbeiten. Das geht uns Erwachsenen leider verloren. Der Schulleiter lobte besonders, dass viele Jungs mit großem Eifer täglich etwas Neues erschaffen haben und nicht mehr zu bremsen waren. Jungs, die sich sonst nie in kreativen Workshops blicken lassen. Darauf bin ich besonders stolz. Ich erinnere mich an einen Schneemann, der auf einer Schaukel saß, an einen Raum mit Süßigkeiten-Automaten, eine Skaterhalle und und und. Alle Räume haben wir am Ende zu einem Gebäude mit ziemlich verrückter Architektur zusammengestellt. Sie war knappe 2 Meter hoch und füllte fast den gesamten Klassenraum aus. Die Schule soll mehr Spaß machen. Das war die Kernaussage der Schüler, denke ich.

Was wünschen Sie sich für Ihren weiteren künstlerischen Weg?

Ich würde gerne eine Zeitlang wieder im Ausland leben und arbeiten. Neue, vermeintlich fremde Lebenswelten sind für mich sehr inspirierend und eröffnen mir stets neue künstlerische Ausdrucksweisen. Darüber hinaus möchte ich gerne Zugang zu einem noch größeren Publikum finden, weiterhin sowohl im Bereich Kostümdesign als auch in der Textilkunst. Kurzfristig würde ich gerne großformatig arbeiten und hierbei eine Kollaboration mit anderen Künstlern initiieren, damit ein Thema als Collage möglichst facettenreich dargestellt werden kann. Auf die Liste würde ich noch ein Filmprojekt in Nigeria, einen Ausstellungsraum in Delhi und Ruhm und Ehre und Geld setzen. Nein, wir wollen nicht abschweifen. Mein weiterer künstlerischer Weg muss kein geradliniger sein. Ein höher, schneller, weiter ist banal. Mich interessieren Persönlichkeiten mit einer interessanten, kritischen Sichtweise, sei es als Kooperationspartner oder als Publikum. Kunst ist es, wenn wir darüber streiten können.