Reportagen

Textilrestaurierung und -erhalt, ein Gespräch mit den zwei Restauratorinnen vom Museum Europäischer Kulturen in Berlin/Dahlem

Mitte Februar konnte ich mich mit den beiden Restauratorinnen des Museums Europäischer Kulturen in Berlin/Dahlem, Christine Binroth und Salwa Joram, über Textilrestaurierung und -erhalt unterhalten.

Bis Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre seien die Stücke häufig wieder „schön“ gemacht worden, so seien z.B. bei Wirkereien Fäden wieder eingearbeitet worden. „Allerdings altert das Restaurierungsmaterial auch, die Zeit geht weiter, das Licht wirkt weiter ein und das Restaurierungsmaterial altert anders das Original. Und dann hat man zum Beispiel unschöne Flecken,“ erklärte mir Frau Binroth.

Frau Joram erzählte: „Als der Kunststoff aufkam, dachte man, das ist jetzt das Allheilmittel. Wir haben Kleider, bei denen das Material brüchig ist, die wurden mit Kunststoff eingestrichen und jetzt sind sie steif wie ein Brett.“ Kunststoffe bekomme man nie wieder aus der Faser heraus.

Heute wird zumeist so vorgegangen, dass das Stück zuerst fotografiert wird. Es wird eine kurze Beschreibung von diesem Stück gemacht, vor allem durch ein Gesamtfoto. Dann werden Fotos von bestimmten Schadstellen gemacht. Dann wird der Zustand vor der Restaurierung festgestellt, es wird eine Zustandsbeschreibung und eine Schadenskartierung gemacht. Man forscht dann etwas in der Geschichte, man versucht, über die Herkunft und Vorbesitzer einiges zu erfahren.

Bei einer Fehlstelle, einem Loch, wird ein Gewebe mit einer ähnlichen Struktur und einer passenden Farbe gesucht und untergelegt. Und dann wird es mit Spannstichen oder Klosterstichen befestigt. Mit diesem Stich kann man einerseits die Fehlstelle ganz gut sichern, aber vor allem kann man damit die losen Fäden, die es in dem Originalgewebe immer gibt,  überfangen. Man sieht den Unterlegstoff, der weitgehend dieselbe Farbe und Struktur haben soll. So sichert man das Original.

Heute, so Frau Joram, gehe es in erster Linie um Authentizität und Originalität. Ferner müsse jedes Stück für sich betrachtet und behandelt werden. Es werde der Standpunkt vertreten, dass eine Restaurierung reversibel sein müsse. Das Restaurierungsmaterial solle schneller kaputtgehen als das Original. Wenn man also nähe, sollte der Nähfaden instabiler sein als das Original, denn wenn irgendwelche Kräfte auf ein Stück einwirkten, dann gehe erst die Restaurierung kaputt und danach erst das Original. Ein anderer Grundsatz bei Textilien sei, Originalnähte so lange wie möglich zu erhalten. Es würden also nicht um der Restaurierung willen Originalnähte aufgetrennt, um an bestimmte Stellen heran zu kommen.

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Das Museum Europäischer Kulturen ist ein kulturhistorisches Museum. Daher sei ganz wichtig, dass zum Beispiel Gebrauchsspuren erhalten blieben, denn jedes Stück habe eine bestimmte Biografie und die müsse ablesbar bleiben. Wenn beispielsweise bei einem Trümmerfrauenkleid, das aus Bettwäschestoffen genäht worden sei, Risse und Abnutzungsstellen seien, die notdürftig geflickt worden seien, dann würde man die niemals entfernen und neu unterlegen. Die Knöpfe seien aus Dame-Steinen. Es sei alles genommen worden, was man hatte. Man würde das immer als Biografie des Objektes stehen lassen.

Frau Binroth wies darauf hin, dass das Museum Europäischer Kulturen viel Wert auf die  präventive Konservierung lege, das heißt die Objekte so zu lagern, dass sie lange Zeit im Depot überstünden. Heute liege auf einem stabilen Klima im Depot ganz großes Augenmerk, es müsse eine bestimmte Luftfeuchtigkeit und eine niedrige Temperatur herrschen, dann seien die Reaktionen eingeschränkt.  Es werde zudem mit besonderen Archivmaterialien gearbeitet, also Kartons, die säurefrei und alterungsbeständig seien. Bei Textilien bedeute präventive Konservierung natürlich: kein Licht, damit die chemischen Reaktionen nicht gefördert werden.  Licht zerstöre die polymeren Ketten in den Textilien ganz schnell. Natürlich gehöre auch Schädlingskontrolle dazu.

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Ein anderes Problem sei das Waschen. Man wasche die Textilien heute wirklich nur noch im Notfall. Früher sei gar nicht darauf geachtet worden, welche Faserverluste durch Waschen entstünden. Aber die Textilien hätten eben schön ausgesehen, die Farben seien leuchtender gewesen. Gerade bei archäologischen Textilien würden damit aber Spuren verwaschen. Manchmal seien in den Fasern Samen zu finden, die andere Wissenschaftler interessieren würden. Die Interdisziplinarität sei inzwischen bei Ausstellungsprojekten ganz wichtig geworden.

Frau Joram ergänzt, man wisse, dass Waschen ein irreversibler Eingriff sei, deshalb überlege man sich das sehr gut. Es gebe inzwischen Niederdrucktische oder Dampfsysteme. Die Technik habe sich verfeinert. Der Eingriff sei vielleicht ein bisschen schonender. Es  gebe unter anderem ein Wickelsystem mit Goretex. Da lege man auf das Textil eine Goretex-Lage und bringe darauf Nässe, dann dringe die Feuchtigkeit ein und nicht die Nässe.

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Wichtig sei auch die Frage, ob ein Stück für den musealen Gebrauch bestimmt sei oder ein Privatsammler es schön und mit leuchtenden Farben an der Wand haben wolle. Dem Sammler sei vielleicht Waschen lieber, aber im Museum heiße es, nein wir wollen das nicht, weil wir den Wert erhalten wollen.

Frau Joram berichtete, im Juli präsentiere das Museum eine Ausstellung über den Dithmarscher Wandteppich von 1667. Der Wandteppich sei zum 150. Jahrestag der Reformation gewebt worden, er habe ein tiefreligiöses Programm. Es handele sich eigentlich um einen Bibelcomic. Es würden lauter Bibelstellen zitiert und grafisch dargestellt. Der Wandteppich sei ein Beispiel für das „Schönmachen“, denn bei diesem Stück sei im Rahmen einer 40 Jahre zurückliegenden Restaurierung viel eingewebt worden. Man sei aber heute ganz glücklich damit, dass das damals so gemacht worden sei.

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Der Wandteppich sei vor dieser Restaurierung schlecht gestopft worden, das Gewebe habe sich teilweise so eng zusammengezogen, dass es eine mechanische Belastung für das Stück gewesen sei. Der in fünf Felder gegliederte lange Wandteppich sei aus irgendeinem Zweck einmal in drei Teile geschnitten worden. Das mittlere Teil sei herausgenommen, der Teppich dann aber wieder zusammengesetzt worden. Die Nähte seien aber nicht befriedigend gewesen, weil sich das Gewebe zusammenzog. Das hätten die Restauratorinnen alles wieder rückgängig gemacht.

Ich frage, wo der Teppich seit dem 17. Jahrhundert gewesen sein. Frau Binroth berichtete, der Teppich habe eine große Reise gemacht. Er sei von Dithmarschen über New York und Jerusalem nach Berlin gekommen. Darüber werde in der Ausstellung mehr zu erfahren sein. Es werde ein Katalog vorbereitet, in dem es unter anderem auch einen Artikel über die Analyse der Farben gehe, die in dem Wandteppich verwendet worden seien.

Die beiden Damen zeigen mir zwei Vergleichsstücke: eine Leihgabe für die Ausstellung, ein Kissen, das aus dem Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf stamme. Es stelle entweder David und Ahasver oder Salomon und die Königin von Saba dar.

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Ebenfalls aus Meldof stamme dieses Rücklaken, das wahrscheinlich in den nördlichen Niederlanden hergestellt worden sei. Das Stück spiegele den Handel mit den neuen Kolonien. Damals hätten in den nördlichen Niederlanden die neu eingeführten Pflanzen die so genannte Tulpomania ausgelöst. In diesen Haustextilien fänden sich zahlreiche exotische Motive: Pfauen, Lilien, Tulpen und Papageien.

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Die Ausstellung Anna webt Reformation. Ein Teppich und seine Geschichten   findet vom 14.07.2017 bis 28.01.2018 im Museum Europäischer Kulturen statt.

Mehr:  http://www.smb.museum/museums-institutions/museum-europaeischer-kulturen/exhibitions/detail/anna-webt-reformation-ein-teppich-und-seine-geschichten.html