Projektgruppe GIARDINO GIOCOSO
Ulrike Stelzig-Schaufert, Kostüm- und Textilbildnerin
Unsere Projektgruppe besteht seit 2017, im Vorfeld waren wir bereits in unterschiedlichen Besetzungen in verschiedenen Kulturprojekten involviert. Unsere gemeinsamen Projekte greifen Themen aus der Kulturhistorie auf mit dem Ziel, Geschichte und Geschichten auf unterhaltsame und zum Teil auch theatrale Weise zu vermitteln. So realisierten wir im Oktober 2018 „Die Geschichte der Hortensie“ im Fürst-Pückler-Park Bad Muskau anläßlich der Einweihung der Excedra Bank im Badepark. Im Dezember 2018/Januar 2019 präsentierten wir die neuen Arbeiten zu unserem Langzeit-Projekt „Die perfekte Silhouette“ in einer Ausstellung in der Galerie „Kronenboden“ Berlin. Eine Erweiterung dieses Projekts ist in Planung: „modern times“ (Silhouetten von 1920-2020). Im Frühjahr/Sommer 2020 entstand „Eine Brauttracht für Anna Rosina“. Im Januar 2021 begannen die Arbeiten für das Projekt „Kleidergeschichten“.
Karen Hilde Fries, Kostüm- und Bühnenbildnerin
Statements
Wir finden es großartig, unser Projekt im Textile Art Magazine vorstellen zu dürfen, da die TAB ein einzigartiges Podium für textile Kunst und textiles Können bietet. Die „Kleidergeschichten“ liegen uns besonders am Herzen, weil sie einerseits ein Stück Kulturgeschichte festhalten und andererseits den Aspekt der „Wert-Schätzung“ in den Vordergrund rücken. Bei der Beschäftigung mit der Kostümgeschichte wird immer wieder deutlich, dass Textilien und Kleidung über viele Jahrhunderte ein äußerst wertvolles Gut waren. Gebrauchte Kleidung wurde weitervererbt, weiterverarbeitet oder gar gestiftet, um liturgische Gewänder daraus zu fertigen. Nichts wurde weggeworfen oder verschwendet, so lange es noch einen Zweck erfüllen konnte. Die Menschen entwickelten im Laufe der Zeit virtuose Fertigkeiten und Techniken, um Textilien zu erzeugen, zu verzieren, zu veredeln, weiterzuverarbeiten oder zu neuem Leben zu erwecken. Angesichts unserer schnelllebigen Zeit, in der schneller Konsum, Massenproduktion und somit auch die so genannte „Fast Fashion“ zum Alltag gehören, fanden und finden wir es hochinteressant zu erfahren, wie sich Menschen gegenwärtig mit den Themen Kleidung, (Textil)-Handwerk und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Unser Projekt ist zur Zeit „work in progress“ und wir sind gespannt auf jede neue Geschichte, die hinzukommt. Im Mittelpunkt unseres Projekts stehen die Geschichten und die Menschen, die sie erzählen. Es ist noch nicht abzusehen, wie umfangreich unsere Kleidergeschichten im Endeffekt sein werden. Daher gibt es bisher auch noch keine Verbindlichkeiten hinsichtlich eines Ausstellungsortes und Zeitpunkts.
Susanne Richter, Garten- und Landschaftsarchitektin
KLEIDERGESCHICHTEN
Eine Spurensuche
Kleidung prägt uns seit frühester Kindheit, umgibt uns wie eine ,,zweite Haut“. Sie kann uns Schutz sein oder auch Schmuck, uns aus der Masse herausstechen oder in ihr untertauchen lassen. Sie spiegelt, trotz Demokratisierung und Massenproduktion, unseren sozialen Status wider, ist Ausdruck gesellschaftlicher Zustände und Befindlichkeiten. Menschen bedienen sich ihrer Kleider, um Zugehörigkeit, Individualität, Emotionen wie Freude oder Trauer aber auch Protest auszudrücken. So ist das scheinbar banale Thema ,,Kleidung“ verbunden mit unzähligen persönlichen Geschichten und setzt Erinnerungen frei, die, wenn sie nicht festgehalten werden, bald verloren sind. Unser Projekt ,,Kleidergeschichten“ will diese Erinnerungen bewahren und zum besseren Verständnis der Geschichte an nachfolgende Generationen weitergeben.
Zum Beispiel:
Die Erinnerungen der (Nach)-Kriegsgeneration, deren Mütter es bewerkstelligten, unter schwierigsten Bedingungen Kleidung aus jedem verfügbaren Material zu erschaffen.
Die Rebellion insbesondere der Töchter der Wirtschaftswunderzeit, die sich auch äußerlich von der Hausfrauenrolle zu distanzieren begannen.
Die Entschlossenheit vieler in Ostdeutschland aufgewachsenen Menschen, mit Einfallsreichtum und Witz dem grauen Alltag etwas Farbe zu verleihen.
Und nicht zuletzt die Befindlichkeit der jungen Generation, die den Spagat zwischen Wertschätzung und Fast-Fashion meistern muss.
Wirtschaftswunder, Mangelwirtschaft, Frauen- und Studentenbewegung, Hippielook oder FDJ-Hemd, Anpassung oder Provokation: Erinnerungen, die unterschiedlicher nicht sein können. Was trennt uns, was eint uns, wie gehen die nachfolgenden Generationen damit um?
Die Idee zu diesem Projekt entstand bereits 2017 bei einer Textilausstellung im Rahmen der ,,Südwestpassage Kultour“ Berlin. Angesichts der textilen Objekte entwickelte sich ein reger Dialog mit den Besucherlnnen und im Handumdrehen war der Raum voller Geschichten … Und wir dachten, diese Geschichten sollten aufgeschrieben und bewahrt werden! Haben uns mit dem Thema beschäftigt, Ansätze gesucht gefunden, wieder verworfen, neue Ansätze gesucht … Bemerkt, dass es Veröffentlichungen in ähnlicher ,,Denkrichtung“ gibt, recherchiert und festgestellt, dass unser Projekt dann doch wieder anders ist … Ende letzten Jahres, aufgrund der Corona-Situation mit wenig ,,Brotarbeit“, aber relativ viel freier Zeit ausgestattet, haben wir das Projekt gestartet. Seit Anfang Januar 2021 laden wir Menschen unterschiedlicher Altersgruppen und Herkunft dazu ein, ihre Kleidergeschichten zu erzählen beziehungsweise aufzuschreiben. Später sind auch Video-Interviews geplant. Wir begannen im Familien- und Freundeskreis, mittlerweile erweitert sich der Radius immer mehr. Seit Mitte Januar kommen nun die ersten Geschichten zu uns zurück: Erstaunliche, witzige, sehr berührende … und jede einzelne von ihnen ist unglaublich spannend. Ein kleines Patchwork-Teilchen in einem farbenfrohen (Textil-) Mosaik.
Wir wollen diese Geschichten mit den dazu gehörigen Fotos, Skizzen und Objekten im Rahmen einer Ausstellung präsentieren und dies auch mit Lesungen und Gesprächsrunden verbinden. Zudem planen wir, das Material in Form eines (Ausstellungs-) Katalogs oder einer Broschüre zu publizieren.
Die erste Kleidergeschichte folgt hier, weitere Geschichten werde ich in loser Folge im Textile Art Magazine veröffentlichen.
Willi, Jahrgang 1936, Architekt
Die ersten Kindheitsjahre lebte ich umsorgt in einer Kleinstadt im Sudetenland. Wie ich zu dieser Zeit angezogen war, ist mir nur durch Fotos in Erinnerung geblieben:
Willi mit seinen Eltern
Auffallend lange, selbstgestrickte Strümpfe in Verbindung mit kurzer Hose, ergänzt durch einen Pullunder mit abgesetztem Brustband. Ich erinnere mich nicht, an der Auswahl meiner Kleidung beteiligt gewesen zu sein. Ich wurde schlichtweg „angezogen“ und hatte damit überhaupt keine Probleme. Meine Abneigung gegenüber Rollkragenpullovern, die sich bis heute erhalten hat, fand zum Glück die Akzeptanz meiner Familie.
Die eigentlichen „modischen“ Probleme haben sich nach Kriegsende und der Umsiedlung 1946 in die damalige sowjetische Besatzungszone ergeben. Nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Lebensbedingungen waren „gewöhnungsbedürftig“. Das Wohnen spielte sich auf engstem Raum ab. Um Lebensmittel oder Konsumgüter zu erwerben, benötigte man bis Ende der 40er Jahre Lebensmittelkarten bzw. Bezugsscheine.
Willi in kurzer Hose und Pullunder
Eine angemessene Bekleidung, insbesondere für mich als Heranwachsenden, zu organisieren, war daher eine besondere Herausforderung. Als hilfreich erwies sich dabei der Umstand, dass wir bei der Umsiedlung einen kleinen Teil unseres Hausstands mitnehmen durften. So auch die Kleidung meines im Kriege gefallenen Vaters. Diese kam nach und nach zum Einsatz, indem auch alles, was mir zur Zeit nicht passte, passend gemacht wurde. So waren Hosenträger und Strumpfhalter geeignete Mittel, die entsprechenden Kleidungsstücke dort zu halten, wo sie hingehören. Ich hatte zwar inzwischen die Länge meines Vaters erreicht, aber an der Körperfülle fehlte noch einiges. Je nach Abnutzungszustand unterlagen zum Beispiel die langen Hosen einem „Umformungsprozess“, der über Kniehosen (Knickebockers) zu kurzen Hosen führte. Löcher in den Knien waren damals noch mit einem Makel behaftet.
Willi im Anzug vom Vater
Die „Vielfalt“ der Bekleidung in dieser Zeit zeigt ein Gruppenfoto meiner Fußballmannschaft. Bei Spiel trugen wir allerdings auch damals schon vom Verein bereitgestellte Trikots und Schuhe.
Willi und seine Fussballmannschaft
Für Furore sorgten die Nylon- bzw. Dederon-Hemden Ende der 50er Jahre. Sie waren pflegeleicht, formstabil, bügelfrei, trockneten schnell und leuchteten im ultravioletten Licht sternengleich: ein Highlight beim wöchentlichen Tanzvergnügen. Dass man darin fürchterlich schwitzte, ertrugen die meisten, ohne zu jammern. Auftretende Gerüche wurden von Parfüm und gutem Willen kompensiert.
Ein Accessoire ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, der Campingschlips (Kordelschlips). Getragen habe ich ihn zum Campinghemd (Hemd mit offenem Kragen ohne Knopfverschluss), die Freizeitbekleidung schlechthin!
Willi mit Campinghemd
Zu meiner Hochzeit erhielt ich den ersten eigenen Anzug, der von einem Schneider gefertigt wurde. Dieser war ebenfalls Aussiedler und ein alter Freund der Familie. Zuvor hatte ich einen Anzug meines Vaters abgetragen. Bei diesen Anzügen blieb es bislang.
Willis Hochzeitsbild
Im reiferen Alter bevorzugte ich, den Jahreszeiten angepasst, Rundhals-Pullover über Hemden getragen, ergänzt durch Sakko oder Blazer. Dazu trug ich eine Cordhose (vor dem Mauerfall) und Jeans danach. Diese Kombination hat mich bis jetzt durchs Leben begleitet und ist gewissermaßen zum Wohlfühlfaktor und Erkennungsmerkmal geworden. Damit war die gesamte Bandbreite der privaten und beruflichen Anforderungen abgedeckt. Die Farbkombination hält sich bis heute in blau, grau und beige. Mit zunehmendem Alter bevorzugte ich Naturmaterialien. Am Anfang meiner beruflichen Laufbahn wurde noch mit Bleistiften, Buntstiften, Kreiden und Aquarellfarben und viel am Reißbrett gearbeitet. Daher trug man, um die Kleidung zu schonen, im Büro einen „standesgemäßen“ weißen Kittel. Dieser verschwand allmählich in den 80er Jahren, als die Druck- und Computertechnik in den Büros Einzug hielt.
Willi im Architekturbüro
Nach Beendigung meines Berufslebens änderten sich die Anforderungen an die Kleidung. Freizeitaktivitäten standen nun im Vordergrund. Es galt daher, die neuen Bedürfnisse mit dem nach dem Mauerfall gewachsenen Warenangebot abzugleichen und gleichzeitig Ballast abzuwerfen. Als absolut entbehrlich erwiesen sich die zahlreichen Krawatten, von denen ich mich, bis auf eine Ausnahme, als Akt der Befreiung sofort trennte. Unentbehrlich sind dagegen meine Küchenschürzen geworden, besonders die mit dem Fahrrad-Design – ein Geschenk meiner Tochter. Schon zu Lebzeiten meiner Frau durfte ich in der Küche mitmischen. Mit den dabei gewonnenen Erfahrungen konnte ich mich mittlerweile zu einem leidlich guten Selbstversorger entwickeln.
Auf der Suche nach einer fahrradtauglichen Bekleidung erfüllte ich mir einen lange gehegten Wunsch und erwarb eine Lederjacke. Es ist nicht die einzige geblieben, weil die Gebrauchseigenschaften (atmungsaktiv, winddicht, wasserabweisend und strapazierfähig) voll überzeugen konnten. Durch die schlechten Erfahrungen in den Jugendjahren mit Igelit- Schuhen, Klapperlatschen (Holzsohle aus einzelnen Leisten, zusammengehalten durch Segeltuchstreifen) und so genannten Tennisschuhen trage ich seit langer Zeit nur noch Lederschuhwerk.
Sympathisch finde ich am Leder, dass es sich um eines der ältesten Naturprodukte handelt und, umweltschonend verarbeitet, ökologisch nachhaltig ist.
In meinem „überreifen“ Lebensalter hat sich ein davor wenig beachtetes Kleidungsstück dazugesellt: die sportliche Weste. Diese läßt sich auf vielfältige Weise kombinieren, „darüber“ und „darunter“ anziehen, je nach Jahreszeit und Wetterlage und zeigt ihre Präsenz nicht nur in den eigenen „vier Wänden“. Damit schließt sich auch der Kreis, der mit dem Pullunder der Kindheitsjahre beginnt und mit der wärmenden Weste „fürs Alter“ endet.
Die Corona-Einschränkungen waren für mich ein Weckruf, die Kaufgewohnheiten zu überdenken beziehungsweise eine Bestandsaufnahme einzuleiten. Im Ergebnis erweist sich die Mehrzahl der in einem langen Leben erworbenen Kleidungsstücke noch gesellschaftsfähig und braucht daher nicht erneuert zu werden. Der Online-Handel wird auf meine Aufträge verzichten müssen.