In Lunéville, der historischen Wiege der Perlenstickerei, bildet die Kunststickerei-Schule Paul Lapie seit vielen Jahren Studierende aus ganz Frankreich aus. Die Schule wird sich auf der Textile Art Berlin vorstellen. Im Vorfeld konnte ich einige Fragen stellen.
Bitte erzählen Sie uns etwas über das Lycée Paul Lapie.
Das Lycée Paul Lapie de Lunéville ist eine Berufsfachschule mit ca. 450 Schülern. Sie bietet Abschlüsse in den Fächern Handel, Logistik, Betreuung und Pflege sowie Kunststickerei an.
Die Stickerei ist eine alte Kunst in Lothringen, sie ist eng mit dem Hof der Herzöge von Lothringen verbunden. Ab dem 19. Jahrhundert entwickelte sie sich auf Anregung von Kaiserin Josephine, die die Mode bestickter Accessoires einführte, deutlich weiter. Die Lunéviller Stickerei war ein großer Erfolg und ihr Ruf machte sie zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Die Stickerinnen und Sticker stickten von Hand auf Perkal, Tüll oder Musselin und sie arbeiteten nach Maß. Es war vor allem Heimarbeit unter schwierigen Bedingungen (12 bis 14 Stunden Arbeit pro Tag). Immer mehr hatte dieses Kunsthandwerk jedoch unter der zunehmenden Mechanisierung zu leiden.
Um 1865 erfand Louis Ferry, der Besitzer des Maison Ferry-Bonnechaux, die Perlenarbeit von Lunéville, die es ermöglichte, der Handstickerei neues Leben einzuflößen. Diese Technik besteht darin, Perlen auf einen Faden zu fädeln, der dann mit einem Kettstich auf dem Tüll befestigt wird. Hier wird mit großer Geschwindigkeit mit einem Haken von der Rückseite des Stoffes aus gearbeitet. Schnell war diese Technik sehr erfolgreich (1880 verdreifachte sich die Produktion in Lunéville). Der Jugendstil und seine Blumenmotive und später die Mode der wilden Zwanziger Jahre mit ihren Pailletten, Perlen und Fransen inspirierten die Perlenarbeit und sorgten für ihren unvergleichlichen Erfolg und Weltruhm. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeiteten im Bezirk Lunéville 24.000 Stickerinnen, die sogenannten Lunévilleuses. Aber mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und dem Zweiten Weltkrieg begann der Niedergang. In den frühen 1960er Jahren arbeiteten nur noch 2.500 Lunévilleuses im Bezirk, in den frühen 1990er Jahren nur noch 200. Lunéville ist jedoch nach wie vor das Zentrum der lothringischen Perlenherstellung mit Unternehmen wie Villaume und Gouvernel.
In Lunéville, der historischen Wiege der Perlenarbeit, bietet die Kunststickerei-Schule Paul Lapie seit vielen Jahren Studenten und Studentinnen aus ganz Frankreich eine Aus- und Weiterbildung an.
– Man kann am Lycée Paul Lapie einen Abschluss in Stickkunst machen. Wie lange dauert die Ausbildung?
Die Stickereiausbildung konzentriert sich auf den Erwerb von Fachwissen und die Umsetzung kreativer Ansätze, die den Absolventen vielfältige und motivierende Karrieremöglichkeiten bieten. Die Schule fördert die Kunst der Stickerei in all ihren Techniken und ihrer Kreativität. Sie wendet sich an bereits diplomierte Textil- oder Kunststudenten, die sich eine lohnende, vollständige und anerkannte Spezialisierung wünschen. Darüber hinaus richtet sie sich an erwachsene Anfänger oder Fortgeschrittene, die durch eine kurze Ausbildung Sticktechniken erwerben möchten.
Das Lycée Paul Lapie in Lunéville bietet zwei Studiengänge zum Thema Stickerei an:
– Certificat d’aptitude professionnelle (CAP) – Stickkunst: dieses kann in einem Jahr von Personen erworben werden, die bereits einen anderen CAP-Abschluss besitzen. Dieser Kurs bietet die Möglichkeit, die Techniken der Häkelperlenarbeit und der Handarbeit sowie die für die Modellerstellung notwendigen technischen Kenntnisse im Zeichenbereich zu erwerben.
– Brevet des Métiers d’Art (BMA) – Kunst der Stickerei: Es ermöglicht die Vertiefung einer Reihe von Sticktechniken: Nadel- oder Häkelstickerei, Legeperlen, Pailletten, Fäden (Leinen, Baumwolle, Seide, Wolle, Metall), Band und eine Einführung in die Stickmaschine … Die Auszubildenden arbeiten an der Erstellung und Gestaltung von Stickereien in verschiedenen und unterschiedlichen Bereichen.
Das Brevet des Métiers d’Art (BMA) wird nach einer zweijährigen Ausbildung erworben. Voraussetzung hierfür ist das Abitur. Die Inhaber dieses Diploms sind in der Lage, ein Modell unter Berücksichtigung der Ästhetik, Qualität und der spezifischen Techniken der Stickkunst zu erstellen oder anzupassen. Die hochwertige technische Ausbildung wird durch eine praktische künstlerische Ausbildung (Beherrschung von Zeichnungen, Formen, Farben, Materialien usw.) ergänzt und durch den Unterricht in Kunstgeschichte sowie der Geschichte der Stickerei und des Stils erweitert.
Der Erwerb von Know-how und ihre Leidenschaft im Dienste der Kreativität ermöglichen es den Absolventen, vielfältige Karrieremöglichkeiten zu nutzen. Trotz ihrer traditionellen Seite befindet sich die Stickerei in ständiger Entwicklung und passt sich ständig der Welt der Mode, der Unterhaltung, der Textilrestaurierung an. Der Erhalt alter Techniken ist mit einem ständigen Bestreben verbunden, ihnen große Aktualität zu verleihen.
– Wieviele Studierende sind im Stickerei-Kurs?
In der Abteilung Stickerei streben 25 Studenten das BMA (Brevet des Métiers d’Art) und 10 das CAP (Certificat d’aptitude professionnelle) an. Zusätzlich gibt es 3 Auszubildende in der Weiterbildung.
– Sind es in erster Linie junge Frauen?
Die meisten, die sich für diese Kurse anmelden, sind junge Frauen. In diesem Jahr sind nur 2 Jungs angemeldet.
– Was gehört neben den textilen Künsten zur Ausbildung, z.B. Design, Marketing, Sprachen?
In der BMA-Ausbildung werden Design- und Englischkurse mit jeweils 6 Stunden pro Woche angeboten.
– Müssen die Studierenden eine Abschlussarbeit anfertigen?
Das zweite Jahr des BMA-Studiums widmet sich hauptsächlich der Realisierung eines persönlichen Projekts. Diese Arbeit, deren Thema vom Studierenden gewählt wird, soll einen eigenständigen künstlerischen Ansatz haben, von der bibliographischen und künstlerischen Forschung bis zur Zeichnung einer Skizze, von der Erstellung eines Musters bis zur vollständigen Gestaltung des Werks. Dieses Projekt muss auch an einem öffentlichen Ort wie einem Museum oder einer Messe ausgestellt werden oder ausgestellt werden können.
– Finden regelmäßig Ausstellungen mit Arbeiten der Studierenden statt?
Unsere Arbeiten sind regelmäßig in ganz Frankreich und international zu sehen. Wir sind auf vielen Messen vertreten: Paris (Salon Aiguille en fête – Carrousel du Louvre), Lille (Calais-Spitze), Lyon (Partnerschaft mit einer Schule), Straßburg (Parade im Europäischen Parlament, Messe Talents in Straßburg), London (Goldstickereiwerkstatt für die königliche Familie), Mailand (Modedesigner), Portugal, aber auch lokal (Nancy, Metz, Baccarat …).
– Können Sie uns etwas über die Lehrkräfte und deren Ausbildung sagen?
Der Unterricht in Angewandter Kunst und Kunstkultur wird von Dozenten mit einem Diplom auf dem Gebiet der bildenden Künste und Hintergrund in Produkt- und Grafikdesign angeboten. Die Vermittlung von Sticktechniken erfolgt durch Lehrer aus der Welt der Haute Couture oder Textilkunstwerkstätten. Andere Fachleute werden einbezogen, die spezifische Techniken wie Weißstickerei, geknotete Netze oder Goldstickerei anbieten.
– Was machen die Studierenden, wenn sie ihren Abschluss erhalten haben? Wie sind ihre Berufsaussichten?
Die Absolventen dieser prestigeträchtigen und fast einzigartigen Ausbildung in Frankreich (nur 4 Einrichtungen) finden Beschäftigung in der Haute Couture, bei Damenmodeherstellern, bei Möbeldesignern, Haushaltswaren-Herstellern und in Theatern (Bühnenkostüme). Viele Studenten setzen ihr Studium in Bereichen fort, die ähnlich oder ergänzend zur Stickerei sind, wie Plumasserie, Hutmacherei …
– Arbeiten sie beispielsweise in der Modeindustrie?
Einige Studenten arbeiten in Haute Couture-Werkstätten in Paris (Channel, Dior) oder bei Subunternehmen (Bacus, Gouvernel, Vuillaume).
– Versuchen es einige als freie Künstler/innen?
Einige haben ihr eigenes Unternehmen gegründet.
Alle Fotos wurden vom Lycée Paul Lapie zur Verfügung gestellt.
Nähere Informationen finden Sie auf der Website der Schule: http://lycee-paul-lapie.com/