Reportagen

Bericht über einen Besuch bei der Abegg-Stiftung in Riggisberg, Schweiz

Stiftung, Museum, Ausbildungsstätte für Restauratorinnen, Restaurierungsatelier, Studiensammlung, Bibliothek, Herausgeberin von Fachbüchern, das alles ist die Abegg-Stiftung in der Schweiz.

Sie stand schon lange auf meiner Wunschliste, spätestens seitdem ich 2009 die beiden Restauratorinnen im Dahlemer Museum für Europäische Kulturen, Frau Joram und Frau Binroth, interviewt habe und ständig dieser Name fiel. Ich erhielt über die Jahre auch immer wieder Hinweise auf bemerkenswerte Ausstellungen. Bei meinem Besuch wurde ich sehr liebenswürdig von der Kunsthistorikerin Frau Depierraz durchs Haus geführt. Die Kuratorin der noch nicht eröffneten neuen Sonderausstellung „Der Hang zur Exotik – Europäische Seiden des 18. Jahrhunderts“, Frau Jolly, konnte mir schon zahlreiche Ausstellungsstücke zeigen.

Die ca. 7.000 Stücke umfassende Sammlung entstand aus der Privatsammlung von Werner und Margret Abegg. Das Ehepaar gründeten 1961 die Stiftung, 1967 öffnete das Museum.
Frau Depierraz erzählte: „Werner Abegg entstammte einer Züricher Textilindustriellen-Familie. Er war sehr kunstaffin. Schon die Eltern hatten Kunstsammlungen, aber er war der erste, der sich auch für Textilien interessiert und zu sammeln begonnen hat. In den 1920er Jahren waren die ersten Ankäufe. Er hat im Piemont Textilfabriken übernommen. Weil sein Onkel unerwartet gestorben war, ist er als ganz junger Mann eingestiegen und hat auch in Italien viele italienische Samte des 15. Jahrhunderts erworben. 1939 ist er in die USA ausgewandert. … Dort hat er seine spätere Frau Margaret Harrington-Daniels kennen gelernt, die am Metropolitan Museum arbeitete. … Sie haben die Textilsammlung erweitert und auch andere Kunstwerke erworben. Sie haben sich früh Gedanken gemacht, was mit der Sammlung passieren soll, wenn sie mal nicht mehr da sind. Sie haben beschlossen, in die Schweiz zurückzukehren, Rückkehr für ihn, für sie nicht. Sie wollten die Sammlung eigentlich dem historischen Museum in Bern übergeben, weil das damals, Ende der 1950er Jahre, das erste Museum in der Schweiz war, das eine Textilrestauratorin hatte. Es war eine Deutsche aus Hamburg: Mechthild Flury-Lemberg. Sie war eine Pionierin. Sie hat sich im historischen Museum Bern vor allem um diese großen Tapisserien aus dem 14. und 15. Jahrhundert gekümmert. Sie wollte eigentlich zwei Jahre in Bern bleiben, dann kam aber die Abegg-Stiftung dazwischen. Abeggs hatten mittlerweile beschlossen, doch ein eigenes Museum zu bauen und ihre Sammlung nicht dem historischen Museum zu übergeben, weil sie gesehen haben, sie passt nicht wirklich da hinein und man hätte nur einen Teil zeigen können. So haben sie dann beschlossen, sich einen Alterssitz bauen zu lassen, das ist die Villa Abegg, ein schlösschenartiger Bau aus den 1960er Jahren. … Und nebendran haben sie ein auf historische Textilien spezialisiertes Institut bauen lassen, wo sie ihre Sammlung zeigen wollten und wo sie von Anfang an auch ein spezialisiertes Restaurierungsatelier einrichten ließen – mit Hilfe von Frau Flury-Lemberg.“

Die Dauerausstellung der Stiftung wird in einer ca. 1.600 m2 großen Halle präsentiert, die durch Raumteiler strukturiert wird. Im hinteren Bereich der Halle ist die jeweilige Sonderausstellung zu sehen. In der Dauerausstellung soll der Besucher zwischen den Epochen flanieren können. Auf der rechten Seite sind eher die Textilien des Westens, aus dem Mittelmeerraum, Byzanz und Europa zu sehen, auf der linken Seite Textilien des Ostens und der Seidenstraße. Der Besucher soll Quervergleiche anstellen können und schauen, was in etwa derselben Zeit in der anderen Region entstanden ist.

In der Halle soll das Klima immer gleich bleiben, die Luftfeuchtigkeit bei etwa 55% liegen und die Temperatur bei 18 bis 20 Grad. Die Ausstellung ist dank zahlreicher LED-Leuchten in der Decke recht hell, es fällt aber trotzdem nicht zu viel Licht auf die Textilien. Es ist nicht notwendig, regelmäßig Stücke aus der Dauerausstellung ins Depot zu legen, zwar wird manchmal gewechselt, die meisten aber bleiben. Alle Stücke sind hinter Glas. Die kleineren Stücke sind oft auf einem bezogenen Brett ausgelegt und werden durch ein leicht angepresstes Glas fixiert. Das ist allerdings nur bei kleineren Teilen möglich, größere wie Tapisserien werden punktuell auf Stoff aufgenäht.

Das Stück mit den Hirschen stammt aus dem 7. oder 8. Jahrhundert. Ich frage, wie dieses feine, sich wiederholende Muster denn gewebt wurde, es gab doch damals noch keinen Jacquard-Webstuhl. Frau Depierraz erklärt, das Stück sei gewebt worden, als die Technik der Speicherung der Muster entstand. Der Webstuhl ist eigentlich ähnlich wie der Jacquard-Webstuhl, nur wird das Musterprogramm nicht mit Lochkarten festgehalten, sondern mit einem Zugsystem von Fadenverknüpfungen. An der Seite des Webstuhls stand ein Gehilfe und arbeitete das Programm durch Zugbefehle ab.

Ich bleibe staunend vor einem kräftig blauen Rock aus Nordchina stehen. Er stammt aus dem 11. Jahrhundert, der Liao-Dynastie. Nur so liegend kann man die aufgestickten Drachen gut sehen, wurde er getragen, verschwand das Muster größtenteils in den Falten. Am Taillenbund gab es wahrscheinlich Bänder, mit denen er geschnürt wurde. Frau Depierraz erläutert dazu: „Das Besondere ist hier: es sind mehrere Lagen von Seidenstoffen, das Blau ist eine Seidengaze, dann gibt es ein Zwischenfutter, dann kommt eine Seidenwattierung und dann das Futter. Also vier Schichten.“

Ein prächtiges Messgewand hängt in einem Glaskasten. Frau Dupierraz sagt mir dazu: „Das ist ein wichtiges Stück in der Sammlung, ein Messgewand aus dem 11. Jahrhundert. Es gibt nicht viele aus der Zeit, die so gut erhalten sind, wie dieses Stück hier. Es war jahrhundertelang in Salzburg in der Abtei Sankt Peter. Seit dem 15. Jahrhundert ist es dort dokumentiert in den Archiven und es wurde dem heiligen Vitalis zugeschrieben. Vitalis war Bischof von Salzburg, er lebte im 8. Jahrhundert, der Stoff ist aus dem 11. Jahrhundert. Also falsche Zuschreibung! Aber es war sicher auch ein Grund, wehalb man so Sorge getragen hat für dieses Gewand. … Es ist ein Seidengewebe, monochrom gemustert. Rein durch die Bindungsart hat man hier ein kleines Medaillonmuster. Das Gewebe ist wahrscheinlich in Syrien hergestellt worden, das gehörte damals zum byzantinischen Reich. Und hier hat es eine kostbare Borte. Es sind drei Brettchenborten übereinander. “

In dem Bereich für die Sonderausstellung wurde noch gearbeitet, viele Stück hingen schon, andere wurde noch im Atelier vorbereitet. Frau Jolly erklärte mir:
„Das Thema der Ausstellung ist Exotismus, das heißt Seidengewebe mit exotischen Motiven oder exotischen Kompositionen, die alle im frühen 18. Jahrhundert entstanden sind. Das war die Zeit, als mit den neuen Handelsbeziehungen zum Nahen und Fernen Osten auch exotische Waren nach Europa kamen. Zum Beispiel bemalte und bestickte Seidengewebe aus China oder auch bedruckte Baumwollgewebe aus Indien, neben natürlich dem größeren Handelsvolumen von Tee, Gewürzen und solchen Dingen, die sehr gefragt waren in Europa in der Zeit. Und wir stellen in der Textilproduktion fest, dass die Textildesigner sehr empfänglich waren für exotische Einflüsse. Und diese Einflüsse wurden dann in den Entwürfen für die Seidengewebe aufgriffen, und die Mode fand in der Zeit vor allem in den Mustern der Seidengewebe statt. Die Schnitte der Damen- und Herrengewänder änderten sich eigentlich wenig im Laufe des 18. Jahrhunderts, aber in den Mustern der Seiden sieht man wechselnde Moden. Alle 15 bis 20 Jahre änderte sich der Stil der Muster in den Seidengeweben. So kann man sagen, dass die Mode in den Mustern stattfindet und weniger in den Schnitten der Zeit. Wir zeigen in der Ausstellung verschiedene Stilrichtungen, die alle exotische Motive aufweisen und verschiedene Stilausprägung.“

Die Muster auf manchen dieser Seidenstoffe kann man gar nicht beschreiben. Die Phantasie scheint mit den Designern durchgegangen zu sein! Ich denke spontan an Op Art oder psychedelische Muster, dabei stammen diese Stücke aus dem frühen 18. Jahrhundert! Mit fiel beim genaueren Hinsehen, das heißt mit der Nase fast am Glas, auf, dass Seidenstücke zusammengesetzt worden sind.

Dazu erklärt Frau Jolly:
„In diesem Stück … haben wir mehrere Bahnen, die im Kunsthandel irgendwann mustergerecht aneinander gesetzt worden sind, um das ursprüngliche Muster der Seide zu rekonstruieren. So große Bahnen, bei diesem Stück sind vier Bahnen nebeneinander genäht worden, stammen üblicherweise aus Damengewändern. Für ein großes Damengewand der damaligen Zeit brauchte man mindestens vier lange Gewebebahnen. Die wurden mustergemäß zugeschnitten und verarbeitet. Und im späten 19. Jahrhundert hat man dann im Kunsthandel häufig die Kleider wieder auseinander genommen und für potenzielle Sammler so mustergerecht wieder zusammengesetzt. Die Sammler im frühen 20. Jahrhundert interessierten sich eher für dekorative Decken, so im Quadrat, als für Kleider. Kleider sind schwierig aufzubewahren.“

Nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung und die Sonderausstellung zeigt mir Frau Depierraz das Restaurierungsatelier, wo letzte Hand an einen Figurine mit einem prächtigen grünen Kleid für die Sonderausstellung gelegt wird.

Die Abegg-Stiftung bildet Textilrestauratorinnen aus. „Die Ausbildung ist der Fachhochschule Bern angegliedert. Alles was Textil betrifft, passiert hier im Haus. Grundlagenfächer wie Kunstgeschichte, Chemie, Physik, präventive Konservierungen, moderne Materialien, das wird in Bern unterrichtet. Diese Fächer haben sie zusammen mit denen, die Gemälderestaurierung studieren. Es ist mittlerweile ein fünf Jahre dauernder Studiengang mit dem Abschluss als Master in Textilkonservierung“, erklärt mir Frau Depierraz. Jedes Jahr nimmt eine Studentin die Ausbildung auf, zur Zeit sind acht Studentinnen und eine Praktikantin im Haus.

Ich schaue eine Weile der Praktikantin zu, die mit einer winzigen gebogenen Chirurgennadel und noch feineren Stecknadeln arbeitet. Der Seidenfaden, mit dem sie näht, ist hauchdünn.

Sehr beeindruckt bin ich vom Depot, in das wir dann kommen. Das Mobiliar stammt noch aus den 1960er Jahren. Die damalige Restauratorin Frau Flury-Lemberg konnte die Ausstattung mitplanen. Ziel war, eine leicht zugängliche Studiensammlung zu haben, die in großen Schubladen aufbewahrt wird. Die Schubladen kann man herausziehen und auf den Korpus stellen. So muss man die alten Stoffe nicht anfassen. Bei einer anderen Form der Schubladen klappt man zunächst einen Staubschutz herunter, dann erst zieht man sie heraus. Die Schubladen sind 2,5 m tief und von zwei Seiten zugänglich. Noch mehr staune ich über den Spezialschrank für Chormäntel mit halbrundem Zuschnitt. Solche Möbel gab es schon in mittelalterlichen Sakristeien.

Die Stiftung hat einen fest angestellten Fotografen mit einem eigenen Atelier. Es gibt eine Färbeküche, wo die neuen Stoffe und die Nähfäden gefärbt werden, damit sie möglichst gut zum Original passen. Die Waschküche wird nicht mehr so oft genutzt wie früher. „Ab und zu wird etwas gewaschen, aber selten, früher hat man das häufiger gemacht. Natürlich hat man früher auch schon getestet, ob die Farben bluten. Schon früher wurde das sehr vorsichtig gemacht. Und heute denkt man, dass man mit dem Waschen Informationen verliert, z.B. gewisse Falten. Waschen ist heute eher die Ausnahme“, so Frau Depierraz.

Zu guter Letzt erfahre ich von Frau Depierraz: „Es gibt die Bestandskataloge und die Riggisberger Berichte. Wir haben in der Regel einmal im Jahr Tagungen mit internationalem Publikum zu einem bestimmten Thema und diese Beiträge werden dann publiziert. … Wir haben auch eine Bibliothek, die ist öffentlich zugänglich. Man darf hier forschen, man kann die Bücher allerdings nicht ausleihen. Es ist eine Präsenzbibliothek. Wir haben teilweise Forscher aus aller Welt, die hierher kommen.“

Bleibt mir nur, noch einmal auf diesem Wege für die Zeit und die ausführlichen und hochinteressanten Erläuterungen der beiden Damen zu danken.

Alle Fotos vom Inneren des Gebäudes sowie von den einzelnen Kunstwerken wurden freundlicherweise von der Abegg-Stiftung zur Verfügung gestellt.

Sonderausstellung: Der Hang zur Exotik – Europäische Seiden des 18. Jahrhunderts, 29. April bis 11. November 2018

Der Hang zur Exotik – Europäische Seiden des 18. Jahrhunderts 29. April bis 11. November 2018