Reportagen

Bericht über die Ausstellung „Wert und Wandel der Korallen“ im Museum Frieder Burda in Baden-Baden

„Das ist natürlich kein realistisches Korallenriff, sondern die Cartoon-Version eines Korallenriffs“, so eine der Wertheim-Schwestern in der Audioführung durch die Ausstellung. Da hat sie natürlich recht, so farbig ist kein Korallenriff, davon konnte ich mich noch vor wenigen Wochen beim Schnorcheln überzeugen.

Am 29. Januar 2022 öffnete im Museum Frieder Burda in Baden-Baden die von den Zwillingsschwestern Margaret und Christine Wertheim kuratierte Ausstellung „Wert und Wandel der Korallen“.

„Im gehäkelten Korallenriff verknüpft sich die traditionsreiche Handarbeitstechnik Häkeln mit der bedrohten Schönheit maritimer Ökosysteme und komplexen mathematischen Strukturen zu einem partizipativen Kunstwerk“, so formulierte etwas pompös das Museum der Westküste auf der Insel Föhr anlässlich derselben Ausstellung im Jahr 2012.

Margaret und Christine Wertheim sind Zwillingsschwestern. Sie wurden 1958 in Australien geboren. Heute leben und arbeiten sie in Los Angeles. Margaret Wertheim ist eine international bekannte Schriftstellerin, Künstlerin und Kuratorin. Sie arbeitet jedoch nicht nur als Künstlerin, sondern ist auch eine international anerkannte Wissenschaftsautorin und hat Bücher über die Kulturgeschichte der Physik verfasst. Christine ist Dichterin, ehemalige Malerin und Literaturkritikerin. Sie unterrichtet Literaturwissenschaften seit vielen Jahren am Goldsmith’s College in London und am California Institute of the Arts in Los Angeles.

2003 gründeten die Schwestern Margaret und Christine in Los Angeles das Institute For Figuring, das das öffentliche Verständnis für die poetischen und ästhetischen Dimensionen von Wissenschaft und Mathematik fördert. An dem Projekt des hyperbolisch gehäkelten Korallenriffs nahmen mehr als Tausende von Freiwilligen unter anderem aus New York, London, Riga, Kapstadt und der deutschen Nordseeinsel Föhr teil, die Korallen gehäkelt haben. Das hyperbolisch gehäkelte Korallenriff ist eine Schnittmenge aus Mathematik, Wissenschaft, Handarbeit und Umweltschutz.

Der Begriff hyperbolisch erschließt sich nicht von selbst. In der Geometrie ist der hyperbolische Raum ein Raum mit konstanter negativer Krümmung. Margaret Wertheim erklärte 2009 in einer Rede bei einer Innovationskonferenz, Häkeln sei die einzige Methode, einen hyperbolischen Raum darzustellen. Diese Rede ist im Übrigen unbedingt hörens- und sehenswert: https://www.ted.com/talks/margaret_wertheim_the_beautiful_math_of_coral

Zum Häkeln einer hyperbolischen Struktur werden einfach in jeder Reihe regelmäßig Maschen zugenommen. Je höher die Frequenz der Maschenzunahme, desto stärker kräuselt sich das entsprechende Modell.

Das Museum in Baden-Baden veröffentlichte unter anderem folgenden Aufruf: „Margaret und Christine Wertheim werden im Museum Frieder Burda die eingesandten Stücke in ein neues raumgreifendes Korallenriff verwandeln. Die Baden-Badener Häkelfreunde sind herzlich eingeladen, beim Aufbau des Riffs im Museum als Co-Kuratoren mitzuarbeiten.“
https://www.museum-frieder-burda.de/pdf/ProjektSatelliteReef.pdf

Die Teilnehmerinnen erhielten eine ausführliche Anleitung zum Häkeln der verschiedenen Grundformen. Gehäkelt werden sollten Korallen in ungefähr allen Farben außer Waldgrün. Neben hyperbolischen Formen wünschten sich die Schwestern auch andere Gebilde wie Hirschhornkorallen mit verzweigten Strukturen, wie See-Anemonen und flache, tellerähnliche Plattenkorallen. Als Garntypen konnten Wolle, Seide, Baumwolle, Sojagarn, handgesponnene oder merzerisierte Baumwolle, Polyacryl, synthetische und viele andere Fasern und sogar feiner Draht genutzt werden.

Der Aufruf zog weite Kreise, so schrieb mir Sandra Stadler von der Seite Strickliesl24.de: „Die schriftliche Info mit Häkelanleitungen und Werbeplakat vom Frieder Burda Museum ging bei mir am 24.06.2021 ein. Habe dann am darauf folgendem Tag meine Stricktreffdamen über Whatsapp kontaktiert und über Facebook und Instagram die Werbetrommel dafür gerührt. Es kamen auch direkt Anfragen und Zusagen, und somit haben wir bis zum Abgabetermin ca. 100 Korallen (ca. 3 kg) kreiert, die ich dann gesammelt ans Museum versendet habe.“

Am Baden Baden satellite reef haben 4.000 Frauen mitgearbeitet. Die Korallen kamen täglich kistenweise im Museum an. Manche wurden auch persönlich vorbeigebracht. Alle Namen der Mitwirkenden sind im Museum auf einer riesigen Wand zu lesen.

Auf die Ausstellung aufmerksam wurde ich durch einen Beitrag im SWR-Fernsehen mit dem Titel „Häkeln für die Weltmeere“. https://www.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/haekeln-fuer-die-weltmeere-wert-und-wandel-der-korallen-im-museum-frieder-burda-100.html

Auf drei Etagen sind kleinere Korallengebilde und größere Korallenriffe installiert. Im Erdgeschoss sind unter anderem kleine Vitrinen mit filigranen Korallen zu sehen, die aus feinstem Draht oder mit kleinen Perlen gehäkelt wurden.

Dort hängt auch von der Decke die „Hyperbolic Sea Snake“, eine lange gehäkelte bunte Kreatur, die von der australischen Programmiererin und Schafzüchterin Helen Bernasconi aus handgesponnenem und handgefärbtem Garn hergestellt wurde.

Beeindruckend fand ich das „toxic reef“. Durch die menschengemachte globale Erwärmung kommt es auch zu einer ständigen Erwärmung der Meere weltweit. Dadurch können ganze Riffe durch die Korallenbleiche großflächig absterben, die Korallen werden weiß. Überall in den Weltmeeren findet sich inzwischen Müll, vor allem Plastikmüll. Die Installation zeigt weiße Korallen inmitten von Aufreißlaschen von Getränkedosen, blauen Plastikhütchen und Plastikpailletten.

In der dritten Etage des Museums steht schließlich das Baden Baden satellite reef. Die Wertheim-Schwestern haben sich bei ihrem Entwurf für das Baden Baden satellite reef von der Entdeckung eines uralten freistehenden „Säulenriffs“ leiten lassen, das vor kurzem im nördlichen Teil des „Great Barrier Reef“ im pazifischen Ozean entdeckt wurde. Margaret und Christine Wertheim haben im Museum Frieder Burda die eingesandten Stücke in ein neues raumgreifendes Korallenriff verwandelt. Das daraus entstandene Satellitenriff ist mit mehr als 40.000 Korallen das bisher größte.

Zur Ausstellung gibt es eine sehr gute Audioführung, in der auch die Wertheim-Schwestern immer wieder zu Wort kommen. Die Texte hätte ich gern noch einmal zum Nachlesen gehabt. Leider sind sie aus Copyright-Gründen nicht erhältlich. Ein Katalog soll in den kommenden Wochen veröffentlicht werden.

Alle Bilder wurden vom Museum Frieder Burda zur Verfügung gestellt.

Ausstellung vom 29.01. – 26.06.2022
Museum Frieder Burda
Lichtentaler Allee 8B
76530 Baden-Baden
www.museum-frieder-burda.de
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag, 10 – 18 Uhr
an allen Feiertagen geöffnet