Reportagen

Bericht über das Carrefour Européen du Patchwork im Val d’Argent

Spannend und anstrengend war das Carrefour Européen du Patchwork im Val d’Argent, genauer in den vier Dörfern Ste Marie aux Mines, Ste Marie aux Croix, Lièpvre und Rombach-le-franc, die Füße waren am Abend des Tages sehr müde und der Kopf voll von Eindrücken.

Die Geschichte des Europäischen Patchwork-Treffens begann 1993, als der Französische Verein für anabaptistische und mennonitische Geschichte den 300. Jahrestag der Amisch-Bewegung in Ste Marie-aux-Mines feierte. Anläßlich dieses Treffens wurden erstmals Amish-Quilts ausgestellt. 1995 organisierte das Tourismusbüro dann das erste Carrefour Européen du Patchwork. Ausgestellt wurde vier Tage lang in erster Linie in religiösen Gebäuden. Heute kommen an den vier Tagen Mitte September jedes Jahr über 20 000 Besucher in die vier Dörfer des Val d’Argent. Sporthallen, Theater und Kirchen werden zu Galerien. Hier ein Foto zu Erinnerung daran, dass wir uns im Elsass befinden: eine Dame in der schönen elsässischen Tracht mit der typischen riesigen Schleifenhaube.

Das Centre d’Interprétation de l’Architecture et du patrimoine (CIAP) im 1. Stock der ehemaligen Textilfabrik Edler in Sainte-Marie-aux-Mines bietet Erläuterungen zur Landschaft und architektonischen Entwicklung des Val d’Argent im Laufe der Geschichte. Die Landschaft des Tals wurde geprägt durch den Betrieb von Silberbergwerken, die Land- und Forstwirtschaft und die Textilindustrie. Im Rahmen der Textilkrise in den 1960er Jahren starben im Val d’Argent die letzten Textilfabriken. Im CIAP sind neben Erläuterungen zur Glaubensgemeinschaft der Amischen auch etliche schöne Amish-Quilts zu sehen.

Im 2. Stock des CIAP-Gebäudes war der internationale Wettbewerb des Carrefour „In the Course of the Seasons“ (Im Lauf der Jahreszeiten) ausgestellt. Diese Quilts befassen sich mit Sommer und Herbst.

Zwei Künstler mit einem sehr gegensätzlichen Ansatz sind mir besonders aufgefallen. Danny Amazonas, geboren in Taiwan, lebte lange Jahre in New York und lebt inzwischen wieder in Taiwan. Er hat für sich entwickelt, was er „Freehand Patchwork“ nennt. Er bringt überlappend kleine Stücke farbenfroher Stoffe auf und schafft so riesige Bilder. Tritt man ganz nah heran, löst sich das Bild in bunte Farben auf.

Ein echtes Kontrastprogramm bot James Hunting in der Église de l’Assomption in Lièpvre in seiner Ausstellung mit dem Titel „Gestehen Sie“. Er bestickt Leinenstoffe sparsam von Hand, er will die Sinnlichkeit des Stoffes feiern, gleichzeitig aber auch unsere Gefühle und Wünsche infrage stellen. Der Künstler kam gleich am Eingang auf mich zu, um mir zu sagen, er habe festgestellt, dass der Schatten des Fotografierenden seine Kunstwerke durchaus bereichere. Also habe ich auch gezielt mit meinem Schatten erperimentiert.

In der gleichen Kirche waren die Arbeiten der dänischen Künstlerin Ditte Sorensen zu sehen, die ihrer Kunst den Titel Madstitch gegeben hat. Sie näht ihre Werke mit der Nähmaschine und integriert neue Medien. Viele ihrer entweder auf Stoff oder auf genähten Papiercollagen geschaffenen Arbeiten enthalten versteckte Elemente wie z.B. QR-Codes mit gesprochenen Wörtern oder anderen Überraschungen.  Zu ihrem Fadenbild rechts sagt sie: „Das Mittelmeer hat im Jahr 2015 viel zu viele Menschenleben gefordert, und deshalb nähte ich einen Sturm mit schwarzen Fäden, um dieses Thema zu symbolisieren. Das Schiff besteht aus Garn und ist mit einer Audioinstallation ausgestellt, die Geräusche aus einem stürmischen Ozean, Wellen und knarrende Bretter aus einem Schiff enthält.“

Noch ein dritter Künstler, dessen durchweg sehr große, geometrische Arbeiten geflochten aussehen: Erick Wolfmeyer. Zu sehen waren acht Arbeiten aus der persönlichen Sammlung des Künstlers, die in den letzten acht Jahren entstanden sind. Ich hatte den Eindruck, dass die Quilts handgenäht wurden. Alle Teile wurden von Amish-Frauen handgequiltet.

Die dreidimensionalen Kunstwerke von Sophie Debazac haben mir gut gefallen.  Die Hauptquelle ihrer Inspiration ist die Sahara. Die Begegnung mit der Wüste war für ihren künstlerischen Weg entscheidend.

Die SAQA zeigte im Ausstellungsraum Tisserands in Ste Marie aux Mines ihre Ausstellung „Wide Horizons VI“, die sechste Ausgabe von Wide Horizons. In der Ausstellungsbeschreibung heißt es, dieser Titel wecke oft Gefühle von Offenheit, Erforschung, Experimentieren, neuen Baustellen, neuen Themen und neuen Geschichten. Hier zeige ich einen Quilt der Britin Alicia Merret sowie eine Arbeit von Yemima Lawan aus Israel.

Dorte Jensen präsentierte Portraits, die sie auf der Grundlage von Fotos schafft. Sie schneidet verschiedenfarbige Stoffe aus und näht sie Schicht für Schicht übereinander, bis das Bild fertig ist. Aus der Ferne wirken die Porträts wie Gemälde, erst, wenn man näher herantritt, erkennt man die übereinandergeschichteten Stoffe.

Die Arbeit der Ungarin Eszter Bornemisza habe ich lange mit Bewunderung verfolgt. In ihrer Einzelausstellung gefielen mit besonders diese Arbeit mit dem Titel Requiem, bei der sie drei durchscheinende Schichten anordnet, sowie der Quilt „Technopolis“ mit seinen dreidimensionalen Gebäudewürfeln, Fluss- und Straßenverläufen.

Die „Deutsch-Afghanische Initiative“ präsentierte in der Église Sainte Rosalie in Rombach-le-franc die neue Ausschreibung „Keep your Eye on the Planet“. Die Aufgabe war, mit den gestickten Augen aus Afghanistan einen 60×60 cm großen Quilt zu gestalten. Da mir die Ergebnisse sehr gut gefallen haben, hier eine ganze Reihe von Arbeiten.

„Zwei Jahre lang haben sieben internationale Künstlerinnen für das Projekt  „TEXNET 1“ (TEXTILE NETWORKING) zusammengearbeitet. Die vier Künstlerinnen der Gruppe Textil³ kommen aus Deutschland, ihre Gäste aus Frankreich, Norwegen und Kanada. … Mit ihrer ersten Ausstellung „TEXNET 1″ 2018 beim Carrefour International du Patchwork im Elsass wollten sie zeigen, wie fruchtbar eine Interaktivität auch über das Internet sein kann.“ (https://www.quilters-insel.de/projekte/texnet-1/)

Rundum begeistert hat mich die Ausstellung handgestickter Suzanis aus Usbekistan. Wikipedia sagt dazu: „Als Suzani bezeichnet man großformatige, mit Seiden- oder Wollstickereien verzierte Baumwollstoffe aus dem zentralasiatischen Raum, vorwiegend aus Usbekistan …“ Alle Arbeiten wurden von sehr geschäftstüchtigen jungen Damen zum Verkauf angeboten. Es gab Bettüberwürfe, Kissenhüllen, Läufer und Tücher. Drei Tücher sind natürlich viel preiswerter als zwei!

Im selben Raum saß ein usbekischer Maler und fertigte mit einem hauchfeinen Pinsel aus Eichhörnchenhaar Miniaturen mit Szenen von der Seidenstraße.

Sehr international geht es weiter: Die Kenya Quilt Guild zeigte im Espace des Expositions in Lièpvre farbenfrohe Arbeiten. Dorothy Stockell bot freundlich an, mir eine kleine Führung durch die Ausstellung zu geben. Bei diesen beiden Quilts erklärte sie, die indischstämmige Quilterin habe diese Arbeit nach der Art der indischen Kantha-Quilts genäht: von außen nach innen werden Stoffstücke rechts auf rechts aufgelegt, festgenäht und umgeschlagen.

Quilts aus mexikanischen Stoffen zeigten mexikanische Quilterinnen ebenfalls in Lièpvre. Dieser gepiecte und applizierte Quilt mit dem Titel „The Comadres“ entstand aus einem in Mexiko gestickten Mittelteil und mexikanischen Tischläufern. Die Künstlerin Sonia Flores Ruiz erklärt stolz, bis auf das Vlies stamme alles auf dem Quilt aus Mexiko: handgefärbte Gürtel, kleine handgemachte Püppchen, geschnitzte hölzerne Fischknöpfe und allerhand Bänder. Der Quilt rechts trägt den Titel „Pueblos magicos“, magische Dörfer. Er ist ein Gemeinschaftswerk maxikanischer Quilterinnen.

Die Japanerin Shizuko Kuroha präsentierte großformatige Quilts in Blautönen. Vor dem Quilt „Blink“ standen lange mehrere Damen und versuchten herauszufinden, wo der Punkt wohl ist, von dem sich die Strahlen verbreiten. Für mich funkelt der Quilt geradezu. Der Quilt „Flight“ wirkt dagegen regelrecht dreidimensional.

Schließen möchte ich mit einem Blick auf die Textilkunst-Ausstellung der französischen Gilde, in der ganz besonders schöne Arbeiten zu sehen waren. Ausnehmend gut hat mir dieses Werk gefallen, das sich ausnimmt wie eine riesige Halskette, es stammt von Carole Simard-Laflamme und trägt den Titel „Cueillette de 100 robes semailles“ (Sammlung von 100 Kleider-Saaten).