Portraits & Interviews

Kleidergeschichten Teil 5 – die Geschichte von Karen

Ich wurde 1970 geboren und bin in Warendorf aufgewachsen. Ich habe in Bielefeld studiert und lebe jetzt in Berlin. Ich bin Fotografin.

I. KINDHEIT

Soweit ich mich erinnere, habe ich als Kind und auch heute nie wirklich lange vor dem Kleiderschrank gestanden und überlegt, was ich anziehen soll. Vielleicht weil mir alles gefiel? Weil, ganz egal wird es schon nicht gewesen sein. Es gab viele Kleidungsstücke, die meine Großmutter genäht hat. Teilweise konnten diese Kleidungsstücke mitwachsen. Der Rock aus Stoffresten, der mit der Zeit immer um eine Bahn verlängert wurde. Oder der blaue gestrickte Rock, der ebenfalls alle paar Monate länger wurde. Ich habe eine Schwester, die zwei Jahre älter ist. Mir war nicht bewusst, dass wir einige Klamotten hatten, die gleich waren, wie bei Zwillingen. Das ist mir erst später auf Fotos aufgefallen. Die gleichen gelb gemusterten Westen, gepunkteten Kleider. War vermutlich sehr praktisch für Omi – der Stoff bzw. die Wolle war da und wurde aufgebraucht. Selbst die kleinen Puppen hatten die gleichen Kleider. Welcher Aufwand – und wie schön die waren!

Irgendwann wollte ich unbedingt eine tolle enge Jeans, bei der unten, außen am Knöchel, ein Reißverschluss verlief. Das war so mit das einzige Kleidungsstück, bei dem ich anscheinend Terz machte – ich bekam die Hose wirklich! Natürlich musste ich sie dann unbedingt beim Rollschuhfahren anziehen, hab mich auch prompt hingelegt und hatte seitdem ein Loch in Kniehöhe. Na, geflickt war die vielleicht auch schön … Ob ich Klamotten meiner Schwester auftrug, weiß ich nicht wirklich. Falls ja, war es wohl ok, sonst würde ich mich erinnern. Die Kleidung, die mir dann zu klein wurde, hatte meine Mutter anscheinend an Freunde, die kleinere Kinder hatten, weitergegeben. Das ist mir aber erst wirklich aufgefallen, als sie mir neulich erst, vor vielleicht drei, vier Jahren, einen Mantel zeigte, den sie zurück bekommen hatte. Nach ca. vierzig Jahren hatte ihre Freundin ihren Keller aufgeräumt und den Mantel entdeckt und meiner Mutter gegeben. Der hängt jetzt bei mir, es gibt auch ein tolles Bild von mir, auf dem ich ihn trage. Auf dem Bild war ich vielleicht vier Jahre alt.

Als Teenager wurde mir Kleidung dann wohl wichtiger – nicht, dass ich gewusst hätte, was in der Brigitte oder Vogue so stand, oder was gerade IN war. Das war mir auch nicht so wichtig, auch nicht, ob es anderen Leuten gefiel oder nicht. Das ist noch heute so. Hauptsache, es gefällt mir selber. Mitte der 80er wurde ich großer Depeche Mode-Fan – und lief mit Stehhaaren und schwarzen Klamotten durch die Gegend. Im Textilunterricht hatte ich mir einen schwarzen Mantel selber genäht. Den trug ich, bis er auseinanderfiel. Außerdem durften dazu natürlich die Lederarmbänder und Halsketten nicht fehlen. Und die Schuhe mit den Nieten waren das Highlight!! Die gab es natürlich nicht in der Kleinstadt, in der ich aufwuchs, sondern in Münster bei fifty-fifty. Meine Eltern haben dazu nicht viel gesagt. Meine Mutter meinte nur: Wenn’s dir gefällt …

Second-Hand-Läden gab es leider auch nicht in Warendorf. Dafür aber umso tollere in Münster und Bielefeld. Schon damals mochte ich besonders Schlaghosen und Klamotten aus den 70er Jahren. Das ist noch heute so. Oder wieder?

II. ERWACHSEN

Wie seit Teenager Zeiten trage ich immer noch gern schwarz – und immer noch gern 70er-Jahre- Klamotten. Die sind nur immer schwieriger zu bekommen, weil es immer länger her ist, dass es sie gab und somit die originalen Kleidungsstücke verschwinden oder unter „vintage“ und „retro“ teilweise völlig überteuert sind. Was ich immer besonders mochte, sind Schlaghosen. Als Kind in den 70ern war das ja normal, aber dann wurden die Hosen eng. Mit 16 passt man da ja auch zum Glück rein. Mit 18 habe ich mir dann entzückt meine erste Schlaghose selber gekauft. Bei H&M in London. Danach hab ich immer in Bielefeld geschaut, ob es sie dort auch gab, dem war aber nicht so. Stattdessen Hosen, die fast runterrutschen. Hüfthosen mochte ich nie, da ich meinen Bauch dafür zu dick fand.

Als ich in Bielefeld wohnte, hingen meine Kleidungsstücke auf einer langen Kleiderstange. Da kam es einmal vor, dass eine Bekannte amüsiert rief: „Toll – Kostüme!“ Hmmm, neee, das waren meine Klamotten, die ich immer trug. Klar waren einige „Nicht-Alltags-Stücke“ darunter: ein Rokoko anmutender Hosenanzug, ein Piratenhemd, ein gelbes Pannesamt-Oberteil mit ausgestelltem Arm und Troddeln am Saum etc. Das waren dann die Sachen, die ich in die Oper anzog. Da kannten mich die Garderobieren dann irgendwann schon. Als ich allerdings bei einer Theater-Eröffnung war (in Hof war das, glaube ich) und dort die Angestellten, die den Sekt austeilten, auch aussahen wie Mozart, habe ich danach doch etwas mehr überlegt, was ich anziehe. Aber Kleidung wie ein Kostüm zu tragen, macht eben auch Spaß! Von daher hatte meine Bekannte mit dem Ausruf “Kostüme“ vermutlich nicht so ganz unrecht.

Noch immer lese ich keine Vogue oder checke Influencer. Dass man teilweise dennoch mit der Mode mitgeht, ist aber klar, da in den Läden nun mal hängt, was dort hängt. Das kann ja nun auch sehr schön sein und einem ins Auge springen. Somit ist mein Kleidungsstil sicher nicht ausschließlich auf einen Stil oder eine Zeit begrenzt, sondern ein Misch aus vielen. Was man aber eher selten in meinem Kleiderschrank findet, sind Blue Jeans. Das hab ich alle Jahre immer mal wieder ausprobiert, stand mir vielleicht sogar auch, doch die wurden nie oft getragen und sind dann alle wieder verschwunden. Wenn Jeans, dann schwarz! Als ich mal für kurze Zeit auf Schiffen arbeitete, musste ich Blue Jeans tragen. Dort gab es Arbeitskleidung, was für mir in der Tat erst befremdlich vorkam. Jeans und weiße Bluse! Gute Güte, und Polo-Shirts in allen möglichen Farben. Kurze Hosen gab es auch, von denen ich nicht mal den Namen kenne. Hosen mit Taschen an den Seiten. Auch blau. Erst fand ich das sehr ungewohnt. Ich kam mir gar nicht vor wie ich selbst. Als mir dann mal – ziemlich am ersten Tag des Jobs – ein Passagier blöde kam, fiel mir aber auf, wie wichtig Uniformen eigentlich sein können: der meinte ja gar nicht mich – kennt mich ja auch gar nicht –, sondern moserte die Angestellte an, dass die Bilder und sowieso alles viel zu teuer seien. Ha! Wie ich seitdem die Uniform mochte – sie war wie ein Schutzschild. Das Individuum tritt zurück in den Hintergrund und in den Schutz der Uniform! Auf der anderen Seite fällt mir da der Security Officer ein, der immer mit weißer Uniform und Streifen auf der Schulter zu sehen war. Eines Tages sah ich ihn am Strand von Griechenland in Zivil: in neongemusterten Jogginghosen mit Schlabber-T-Shirt. Ich hab ihn kaum erkannt – und hätte ihn in seiner Privatkleidung wohl auch nur halb so ernst genommen wie in seiner Uniform. Soviel zu Respektspersonen. Vermutlich stehe ich nie lange vor dem Kleiderschrank, um zu überlegen, was ich anziehen sollte, weil irgendwie alles zusammen passt und daher alles kombiniert werden kann. Mittlerweile habe ich Handschuhe, die zu Taschen passen, selbst mit dem passenden Regenschirm dazu. Das hat sich natürlich mit der Zeit angesammelt. Dass ich überhaupt so viele unterschiedliche Handschuhe habe, hängt auch mit dem Motorrollerfahren zusammen. Seitdem ich den „geölten Blitz“ habe, besitze ich auch wieder mehr Jacken und nicht nur Mäntel.

Normalerweise bin ich sehr gut im Aussortieren von Kleidungsstücken, aber es gibt zwei, drei Dringe, die werden mich vermutlich für immer begleiten, auch wenn sie nicht mehr passen. Ein bodenlanger schwarzer Samtrock meiner Mutter und ein schwarzer Mantel, den ich mal in Bochum in einem super-klasse-coolen Laden gekauft habe. Damals war noch ein Freund dabei, der mittlerweile seit über zwanzig Jahren verstorben ist. Vielleicht ist das mit ein Grund, dass ich den Mantel nicht weggebe. Der Mantel ist etwas im Stil von den drei Musketieren, ein Traumteil und noch völlig in Schuss. Nur eben viel zu eng.

Was ich mit den Jahren gelernt habe: Wenn man etwas Schickes hat, soll man es auch oft anziehen und nicht für „gut“ aufbewahren. Plötzlich passen die Dinge dann nicht mehr oder haben sich selbst zerlegt, wie die weinroten Brokatsamt-Stiefel, die ich in Belgien kaufte – zuvor hatte ich sie in Groningen gesehen und mich reinverliebt. Sie waren nur viel zu teuer. In Liège waren sie um 50% reduziert. Zack – gekauft. Und abends direkt in die Oper angezogen (Ich war dort mit meinem Vater auf Opernreise). Dann habe ich sie selten angehabt, damit sie nicht kaputtgehen. Und was war? Der Stoff wurde brüchig und rissig. Die Luft in der Kleiderkammer war wohl zu trocken und ich habe nicht gedacht, sie voher einzusprühen. Sie sind also quasi vom „Nicht-Tragen“ kaputtgegangen.

III. HIER UND JETZT

Ich mache auch zu Corona-Zeiten im Grunde weiter wie bisher: Habe mal wieder den Kleiderschrank ausgemistet, das mache ich aber eh die letzten Jahre immer im November.
Ende Oktober ist meine Arbeit für die Saison beendet und ich bringe alles mit, was sich dort in der „Comtesse“ – meinem 70er-Jahre-Wohnwagen und Zweitwohnsitz – im Sommer ansammelte. Dann habe ich endlich wieder einen Überblick und weiß, was fehlt und was man eigentlich alles auch zu viel hat. Die aussortierten Sachen werden dann gespendet. Zum Shoppen losgezogen bin ich eh selten. Wenn ich sowieso unterwegs war, habe ich vielleicht etwas Schönes im Schaufenster gesehen und schwupp – schon war ich im Laden. Das mag ich besonders in anderen Städten und Ländern, denn jedes Mal, wenn ich dann die Sachen anziehe, denke ich an den Ort, wo ich es gekauft habe. Das fällt nun leider aus, aber umso schöner ist es, dass ich es so in der Vergangenheit gemacht habe. Somit kann ich jetzt auch mit und in meinen Kleidern reisen.

Wie bereits erwähnt: Ich habe kein Ahnung, was die Modewelt so „vorschreibt“. Aber so toll kann es ja nicht sein, dafür sehen doch alle Leute irgendwie gleich aus. Besonders die Männer: Jeans, T-Shirt und Sneaker. Ach, Mann, dabei gibt es so tolle Anzüge, geht auch mit T-Shirt und Sneaker. Oder Westen. Und Manschettenknöpfe. Geht auch im Alltag – selbst schon probiert! Kleidung sollte bequem sein, das ist für mich wichtig. Was sollte man sich heute wieder einschnüren? Außerdem gibt es so tolle Materialien, die nicht knittern und die man im Sitzen und Stehen tragen kann. Das kann also gern so bleiben. Man sollte sich von dem Gedanken trennen, dass es praktische und schöne Kleidungsstücke gibt. Geht ja beides zusammen.

Es fällt mir im Fotoatelier sehr häufig auf, wenn Leute ankommen und sagen: „Ich seh’ heute wieder so oll aus.“ „Hmm, sie haben sich aber schon selber angezogen?“ ist dann manches Mal meine Antwort. „Ja, aber es sollte doch praktisch sein“ … dazu bring ich dann immer das Film-Zitat: „Ich bin ja gern bekleidet und nicht nur bedeckt.“