Portraits & Interviews

Interview mit Veronika Urban

„Grafik, Design und Textil“ sind die Schlagwörter auf der Website der Künstlerin Veronika Urban. Ich habe sie gefragt, welche Rolle diese Dinge in ihrem Leben spielen.

Können Sie sich erinnern, wann Sie erstmals mit Textilem in Berührung gekommen sind?

Gerne nähte mein Vater meiner Mutter Kleider nach selbst gefertigten Schnitten.
Als Kind, ca. 5jährig, saß ich fasziniert dabei und durfte, nach Bitten, meiner Puppe auch Kleidungsstücke aus den Resten mit der Hand, nach meinen kindlichen Vorstellungen, nähen. Das weiche Material von Stoffen und die Druck- oder Webtechniken hatten mich begeistert. Der Umwandlungsprozess von Stoff (zweidimensional) zur Verhüllung (dreidimensional) war damals wundersam für mich.
Im selben Alter war ich mit meinen Eltern auf der Documenta in Dortmund. Dort fanden Präsentationen des Knüpfens von Teppichen am Webstuhl statt. Ich schaute begeistert zu und drängte darauf das Knüpfen selbst auszuprobieren und der erste Knoten klappte wie selbstverständlich.
Meine Begeisterung für Textiles hält bis heute an und hat mein Leben ständig begleitet.

Welche Ausbildung haben Sie?

1. Studium an der UDK Berlin, Fachbereich Design 1972-1977 – Mode- und Textildesign
Abschluss Diplom-Design
2. Gobelinweberei bei Professor Gerda Loehning
3. Design Praktika in Rom bei Pino Lancetti
4. Multi-Media-Design 1995-1996 – Cim-Data Berlin

Mit welchem Material drücken Sie sich am liebsten künstlerisch aus?

Das Material ist abhängig von der Umsetzung der Projekte.
Voraussetzung sind in der Regel jedoch Naturmaterialien wie Wolle, Seide, Baumwolle.
Farben und zwar alle Farben und Nuancen sind mir von großer Bedeutung.

Was inspiriert Sie zu einem neuen Kunstwerk?

Es sind Begegnungen im Alltag wie Materialien, Farben, Besuche von Ausstellungen, Musik, Konzerte oder auch Auftragsarbeiten; diese sind jedes Mal eine neue Herausforderung

Könnten Sie ein oder zwei Ihrer Kunstwerke und deren Entstehungsprozess exemplarisch beschreiben?

1. „Buntdromedar“ – Gobelinwandteppich 150 x 90 cm, Material, Wolle, Knopflochseide, Leinen, 1984.
Der Entwurf entstand beim gemeinsamen spielerischen Arbeiten mit meinem Sohn Cyrill mit Buntpapier. Es war mir ein Anliegen dieses Bild in Gobelintechnik umzusetzen.

2. „Sich finden und wieder verlieren“ –  90 x 150 cm, Triptychon, Organza, die Seide ist mit Indigo gefärbt.
Nichts in der Welt hat Bestand. Man begegnet sich, geht ein Stück gemeinsam des Weges. Der tiefere Sinn, warum man sich verbindet, ist selten erkennbar, bleibt meistens ein Geheimnis. Man befruchtet sich gegenseitig und die Gemeinsamkeit löst sich auch oftmals wieder auf.

Sie unterrichten an der Victor-Gollancz-Volkshochschule. Würden Sie uns darüber etwas erzählen?

1. „Wie bereite ich mich auf die Aufnahmeprüfung im Bereich Mode – oder Textildesign vor?“
In einem Einführungskurs unterstütze ich gerne junge Menschen für ihre Aufnahmeprüfungen im Bereich Mode- oder Textildesign für verschiedenen Schulen, Hochschulen oder sonstigen Ausbildungsstätten.
Ziel des Kurses ist es, eine aussagekräftige Bewerbungsmappe für Aufnahmeprüfungen fertigzustellen und gut gerüstet für die Aufnahmeprüfung zu sein.
Kursinhalt:
• Grundlagen des Zeichnens und des Kolorierens
• Zeichnen und Kolorieren von Figurinen
• Erstellen einer kleinen modischen Kollektion
• Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen
• Informationen über die zukünftige Ausbildung und die verschiedenen Modeschulen.
Eine ausführliche Beschreibung finden Sie unter www.modeprojekt.de

Sie arbeiten mit jungen unbegleiteten Flüchtlingen, wie kam es dazu? Arbeiten Sie mit den jungen Menschen an künstlerischen Projekten? 
Über ihre Arbeit gibt es in Kürze auch einen Dokumentarfilm?

Ab November 2015 bot die VHS Steglitz-Zehlendorf als verantwortlicher Projektträger das Integrationsprojekt talentCAMPus plus im Rahmen des bundesweiten Programms „Bündnisse für Bildung“ an. Es wurde und wird finanziert vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF und durchgeführt vom Deutschen Volkshochschulverband DVV e.V. unter dem Namen „Kultur macht stark“. Unbegleitete, minderjährige Geflüchtete waren damals die Zielgruppe.
Als langjährige Mitarbeiterin an der VHS wurde ich gefragt, ob ich mir eine Mitarbeit vorstellen könnte – und habe zugesagt, so dass ich den Part des Kreativunterichts übernahm.
(Das didaktische Konzept beinhaltete niederschwellige Sprachförderung in Kombination mit Kreativunterricht und sozialem Training)
Am 2.11. 2015 startete der erste talent CAMPus plus – seitdem haben wir erfolgreiche viele Jugendliche dabei begleitet, sich in dem neuen Lebensraum sowohl sprachlich als auch sozial zu orientieren durch gemeinsames Lernen und kreatives Arbeiten in einem Projekt.
Inzwischen wurden zwölf Projekte, jeweils sechs Wochen mit täglichem Unterricht durchgeführt. Es entstanden Arbeiten wie z. B. unser Buddy-Bär mit dem Titel „Wir in Berlin“, mit freundlicher Unterstützung der buddy bear Berlin GmbH.

Der Film „Die Unbegleiteten“ von Hanna Schygulla hatte am 10.12.17 im Adria seine Premiere.
Im Anschluss an die Vorführung fand ein Gespräch mit Hanna Schygulla im Adria Filmtheater, Schloßstraße 48, 12165 Berlin, statt.
Die international bekannte Schauspielerin und Sängerin Hanna Schygulla hat den Film auf Basis ihrer Begegnungen und Gespräche mit jugendlichen Geflüchteten im Herbst 2017 produziert. Der Film erzählt eindrucksvoll von schmerzvollen Erlebnissen, von zerstörter Heimat, einer entbehrungsreichen Flucht ohne Eltern, dem Ankommen in Deutschland und dem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit.

Hanna Schygulla lernte die zehn Jungen aus zehn verschiedenen Herkunftsländern am Rande eines Bildungsprojekts der Victor-Gollancz-Volkshochschule Steglitz-Zehlendorf kennen. Den Anstoß gaben die ausdrucksstarken Figuren, die die 10 bis 17-Jährigen kreiert hatten, welche Hanna Schygulla während eines Besuchs in der Schwartzschen Villa entdeckte. Der Film „Die Unbegleiteten“ fängt deren Lebenswirklichkeit ein und auch ihr Potenzial.
Mit ihrem Film „Die Unbegleiteten“ wirbt Hanna Schygulla, die 1945 als Kind mit ihrer Mutter aus Schlesien floh, um menschliches Mitgefühl und Integrationsbereitschaft gegenüber Geflüchteten.
Zu sehen ist der Film unter  https://youtu.be/nnnoUa1E6mk
und auf der textile art 2018

Im September 2017 wurden unsere vier im Projekt gefertigten Flaggen zu den Themen
1.    Frieden, 2. Freiheit, 3. Bildung, 4. Fluchtwege
im deutschen Generalkonsulat in New York in Manhatten für fünf Wochen ausgestellt.

Auf Ihrer Website bieten Sie unter anderem auch Leistungen in Bezug auf Websites. Was reizt Sie daran?

Wie schon im Vorfeld bei der Antwort zur Frage nach Insprirationsquellen erwähnt reizen mich Auftragsarbeiten. Es ist spannend, unterschiedlichsten Menschen zu begegnen und sie kennen zu lernen. Auf den Menschen einzugehen und zu erforschen, was ihn bewegt und was er benötigt. Wenn ich mein Gegenüber erkunde und ich ertasten kann, wie die Ausführung dargestellt werden soll, so macht mich dies glücklich, wenn der/die Auftraggeber/in mit dem Ergebnis zufrieden ist. Eine Auftragsarbeit ist ein gemeinsames Tun.

Sie haben schon in Deutschland, Europa und Asien ausgestellt, wann und wo kann man Arbeiten von Ihnen wieder in Deutschland sehen?

Auf der textile art 2018 in Berlin-Mitte.
Zwei Flaggen, mit den Maßen 90 x 300 cm, die ich mit Frauen der JVA Lichtenberg in einer Projektarbeit gefertigt hatte, wurden präsentiert.
Wie auch mehrere Arbeiten mit den Maßen 20 x 20 cm zum Thema „grün“ wurden ausgestellt.
Zwei weitere Flaggen, gestaltet mit unbegleiteten Flüchtlingen des talent CAMPus plus, s.o. zum Thema „Fluchtweg“ und zum Thema „Frieden“ wurden ebenfalls vorgestellt.
So lernte ich auf der letzten textile art Frau Wolters näher kennen. Es war eine sehr schöne Begegnung in ihrer Galerie Viktoriastadt. Ich schätze Frau Wolters sehr, wie auch ihre Arbeit der Förderung des Textilen.

So freue ich mich sehr, dass Frau Wolters meiner Installation „Poems for the Seasons“ genügend Platz für die Präsentation einräumt.
Außerdem wird der Film „Die Unbegleiteten“ auf der textile art am Sonntag während der Messe, mit anschließendem Gespräch Hanna Schygulla, zu sehen sein.

Was planen Sie künstlerisch für die nächste Zukunft?

Es wird sich einiges bewegen:
Zunächst beginnt ein neues, verändertes talent CAMPus plus Projekt.
Es werden jugendliche, erwachsene Flüchtlinge im Alter von 18-26 Jahren gefördert werden.
In Zusammenarbeit mit Poetry Project, ein Projekt von Susanne Koelbl (unter der Leitung von Steffi Eisenschenk) werden wir Besuche von Werkstätten, Museen, Kunstveranstaltungen reflektieren und diese Erlebnisse in Bild und Videodarstellung und Gedichten und Texte zusammenfassen.
http://thepoetryproject.de

Durch meine Erlebnisse und Erfahrungen mit Jugendlichen aus allen Erdteilen der Welt und durch die vielen momentan sehr negativen Veränderungen in der Welt, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass Kunst und gerade die soziale Kunst einen großen Stellenwert in unserem Leben immer mehr einnimmt und diese soziale Kunst unglaublich wertvolle Dienste den Menschen zukommen lässt. Wer sein Herz und seinen Verstand öffnet, kann den Problemen entgegentreten und in der Entwicklung der Menschen miteinander sehr viel Positives bewirken.
So bin ich dankbar, dass mir die Möglichkeit und das Vertrauen entgegengebracht wird, meine Liebe zur Kunst und die Kunst in Verbindung mit Menschen, die der Unterstützung bedürfen, hilfreich umsetzen zu können.

Veronika Urban, im Januar 2018

Alle Fotos wurden von Veronika Urban zur Verfügung gestellt.