Elke Hahn hat mit ihren Häkeln-Figuren internationale Bekanntheit erlangt und hat auch schon einen Weltrekord damit errungen. Ich habe sie interviewt.
Haben Sie sich schon in Ihrer Kindheit für textiles Arbeiten interessiert und Handarbeiten gelernt? War Handarbeiten auch ein Thema in Ihrer Schule?
Ich hatte das große Glück, in meiner Kindheit Häkeln und Stricken in der Schule gelernt zu haben. Mein Interesse jedoch hielt sich damals in Grenzen. Ich erinnere mich, dass wir für uns selbst kurze Hosen (damals Hot Pants genannt) häkelten. Ich war ungefähr 10 Jahre alt. Meine Hot Pants waren knallrot und ich liebte sie. Das war das einzige Projekt, das ich mir selbst gemacht hatte und das ich auch voller Stolz trug. Ansonsten aber fand ich Handarbeiten eher langweilig.
Als Jugendliche interessierte ich mich wieder dafür. Ich häkelte mir Bikinis, Westen, strickte Pullis. Auch das Nähen lernte ich zu dieser Zeit. Die Mutter meiner besten Freundin war Schneiderin. In ihrem Atelier und unter ihrer Anleitung erstellten wir Schnittmuster, nähten uns die damals so modernen gesmogten Blusen und auch eine Jeans mit Schlag durfte nicht fehlen.
Für welchen Beruf haben Sie sich nach Abschluss der Schule entschieden?
Ich war 16 Jahre alt, als ich die Mittlere Reife machte. Ich ging zur Berufsberatung des Arbeitsamtes. Ich wollte etwas mit Sprachen machen. Man empfahl mir damals den Beruf der Industriekauffrau mit dem Ziel, nach der Ausbildung im Export zu arbeiten. Ich folgte dieser Empfehlung und bin Industriekauffrau geworden.
Wann sind Sie erstmals in Berührung mit „yarn bombing“ gekommen. Woher kommt das, was auch „guerilla knitting“ genannt wird?
Über Yarnbombing bin ich erstmals 2015 im Internet gestolpert. Vom ersten Moment an war ich fasziniert. Ich sah umhäkelte Panzer, gehäkelte Transparente mit Appellen, umstrickte Bäume, … Das war eine ganz andere Art, diese alte Tradition, dieses alte Handwerk einzusetzen. Schon lange davor suchte ich nach einer Möglichkeit, das mir bis dahin so liebgewonnene Hobby in einem anderen, attraktiven und innovativen Licht zu zeigen. Dass man damit gleichzeitig seiner Kreativität freien Lauf lassen, auf Missstände aufmerksam machen, politische Aussagen treffen, an historische Ereignisse erinnern oder einfach nur die Welt ein bisschen bunter gestalten kann, sind bis heute die Gründe, warum mir Yarnbombing oder auch guerilla knitting genannt, bis heute so am Herzen liegt.
Guerilla knitting ist eine Abwandlung des bekannten Graffiti sprayens. Eine Unterart dieser Straßenkunst. Man nannte es auch etwas belächelnd die „Kunst der Hausfrauen“. Seit den Anfängen ist es eine Art Widerstand gegen die Massenproduktion. Es werden handgearbeitete Stücke im öffentlichen Raum als eine Form der Anarchie zurück gelassen. Gleichzeitig wird damit die Handarbeit aus ihrem häuslichen Kontext befreit. Oft ist es eine feministische Motivation, mit diesen Arbeiten für die Anerkennung der Frauen und ihrer (Hand-)Arbeiten einzutreten. Daduch wurde eine Kunstform entwickelt, die auf der ganzen Welt praktiziert wird.
Gab es Vorbilder in dieser Kunstrichtung für Sie?
Selbstverständlich nenne ich hier Magda Sayeg, die Erfinderin des Yarnbombings. 2005 gründete sie die Gruppe „Knitta Please“ und begann ganz klein mit dem Umhäkeln von Türgriffen. Daraus entstand diese weltweite Bewegung.
Ich persönlich habe meine eigene Art von Yarnbombing entwickelt. Ich umhäkele weniger bereits vorhandene Objekte im öffentlichen Raum, sondern stelle häklerisch Personen oder Szenen dar, auf die ich aufmerksam machen möchte. Diese installiere ich dann im öffentlichen Raum an einer eigens dafür ausgesuchten Stelle und versuche oftmals mit einem Foto ein Gesamtkunstwerk zu schaffen.
Wann wurden Sie selber aktiv?
Ich begann 2015 erstmals in Dresden mit einem kleinen Yarnbombing am Postplatz.
Erzählen Sie von einigen Ihrer Aktionen.
2016 umhäkelte ich einen Teil der unzähligen Pfosten auf dem Messegelände der Landesmesse Stuttgart. Das kam so gut an, dass ich das 2017 wieder tat und es mit einem Weltrekord verband. Ich umhäkelte 111 Pfosten, setzte ihnen gehäkelte Köpfe von bekannten Comicfiguren, aber auch Persönlichkeiten auf. Bis heute hat mir diesen Weltrekord keiner streitig gemacht.
2018 gründete ich das weltweite Häkelkollektiv „Yarngang“. 2019 erschuf die Yarngang das Projekt „Wollkenkratzer“ in der Frankfurter Neuen Altstadt, das großes Aufsehen erregte.
2020 begann ich mit der Reihe „Randgruppen“. Ich mache damit auf Gruppen unserer Gesellschaft aufmerksam, die keine oder nur eine kleine Lobby haben.
2021 iniziierte ich die bundesweite Bewegung „Hotspot against Corona“. Der Schmetterling wurde zum Symbol für Veränderung, Leichtigkeit und Freiheit, alles Dinge, die wir während der Lockdowns schmerzlich vermissten. Die Yarngang und ich häkelten tausende von bunten Schmetterlingen, die wir im Januar 2021 mitten im Lockdown in Stuttgart in eine uralte wunderschöne Kastanie hängten. Das fand Nachahmer von München bis Norden. Mehr als 20 Hotspots entstanden in ganz Deutschland.
Im April 2022 eröffnete ich meine Wanderausstellung „Die Maschen der Autor:innen“. Ich häkelte Autor:innen und stelle sie in verschiedenen Stadtbibliotheken in ganz Deutschland aus. Damit möchte ich die Menschen hinter den Büchern und Geschichten sichtbar machen.
2023 veranstalte ich in Zusammenarbeit mit der Messe h+h in Köln Deutschlands erstes Internationales Yarnbombing Festival, die „Woolinale“. Yarnbombing Künstler aus aller Welt werden während der h+h vo 31. März bis 2. April 2023 ihre Kunstwerke auf dem Messegelände ausstellen.
Würden Sie uns einige Ihrer textilen Arbeiten zeigen und erläutern?
Sehr gerne. Beginnen möchte ich mit der Reihe „Randgruppen“, mit der ich Randgruppen unserer Gesellschaft eine wollene Lobby gebe. Ich häkelte u.a. einen Punk mit seinem Hund und installierte beide vor eine Kirche. Damit möchte ich die Kirche auffordern, sich auch um diese Menschen zu kümmern.
2020 wurde George Floyd durch einen Polizeibeamten ermordet. Das berührte mich so. Ich wr sprachlos ob diesem abscheulichen Verbrechen. Ich konnte das nicht unkommentiert lassen und häkelte zwei Buddies unterschiedlicher Hautfarbe, die ihre Meinung auf je einem Schild kund tun.
Im gleichen Jahr feierte Deutschland zum 30. Mal die Deutsche Einheit. Diese setzte ich am 3.Oktober 2020 zusammen mit Ina Werner häklerisch vor dem Brandenburger Tor in Szene.
Stellvertretend für meine Autorenausstellung zeige ich hier Colson Whitehead, der „The Underground Railroad“ geschrieben hat. Ein wichiges Buch mit großer Aussagekraft.
Sie sind nicht nur in Deutschland aktiv?
Ja. Ich habe außer in Deutschland auch in der Schweiz, in Italien und in Mexiko ausgestellt.
Wo haben Sie zuletzt Ihre Arbeiten ausgestellt?
Derzeit läuft meine Häkelausstellung „Die Maschen der Autor:innen“ im Großraum Stuttgart. Ich habe Anfragen von München bis Husum. Es ist eine Wanderausstellung, die sicher noch in anderen Bundesländern zu sehen sein wird.
Hat die Corona-Pandemie Sie in Ihrer Aktivität eingeschränkt? Wie war die Zeit der Lockdowns für Sie als Künstlerin?
Das Gute am Häkeln und Stricken ist, dass man es immer und überall machen kann. Corona hat mich daher in meinen Yarnbombing Aktivitäten nicht eingeschänkt, eigentlich ist fast das Gegenteil passiert. Da man ja nicht viel unternehmen konnte/durfte, war ich wie wir alle die meiste Zeit zuhause. Ich nutzte diese Zeit für meine laufenden Projekte und entwickelte weitere für die Zukunft, wie z.B. die Woolinale 2023.