Bei meiner Reise nach Polen habe ich in einer Galerie einen Katalog in die Hände bekommen, in dem ein Gemälde von Karolina Matyjaszkowicz abgebildet war. Mich hat so fasziniert, wie sie Stoffe malt, dass ich sie per E-Mail gefragt habe, ob sie mir ein Interview gibt. Sie antwortete, es sei ja lustig, dass mir gerade ihre gemalten Stoffe mir so gut gefallen, sie habe unter anderem Textildesign studiert. Gerne werde sie meine Fragen beantworten.
Bitte schildern Sie Ihre künstlerische Ausbildung.
Ich habe die Tadeusz-Makowski-Kunsthochschule absolviert. Im Anschluss daran habe ich mich an der Fakultät für Malerei und Grafik an der Akademie der Schönen Künste von Łódź beworben, wurde aber zum Glück nicht angenommen. Ich habe mich zum einen ein bisschen deswegen beworben, weil die meisten meiner Freunde das taten und zum anderen ein wenig, weil ich Angst hatte, an der Fakultät für Textilkunst, von der ich träumte, nicht angenommen zu werden. Letztendlich wurde ich an der Nicolaus-Copernicus-Universität in Torun angenommen. Die Ausbildung dort war ausgezeichnet und es gab fantastische Vorlesungen zur Kunstgeschichte und viele wirklich interessante theoretische Veranstaltungen. Die Absolventen der Nicolaus-Copernicus-Universität sind hochgeachtete und gut ausgebildete Konservatoren und Restauratoren. Mit fehlte da aber der Praxisbezug. Nach dem ersten Jahr bin ich an die Akademie der bildenden Künste in Łódź und dort zur Fakultät für Textildesign und Mode gewechselt, von der ich geträumt hatte.
Haben Sie auch Malerei studiert?
Ich hatte in allen Semestern auch Malunterricht, ich habe also Textildesign und Malerei gleichzeitig studiert. Ich habe mich auf Stoffdruck spezialisiert. Zu meinem Diplom kam dann noch die Zusatzqualifikation in Malerei.
Welche Maler haben Sie vor allem beeinflusst?
Oh, da gab es so viele! Die Malerei ist meine Leidenschaft. Ich lerne in einem fort Neues und entdecke neue Künstler. Was mich fasziniert, verändert und entwickelt sich im Laufe der Zeit. Ich schätze die Werke der alten Meister ebenso wie die heutigen Künstler. Seit vielen Jahren bewundere ich die Primitivisten, die naiven Maler und Amateure. Ich fühle mich angezogen von ihrer grenzenlosen Fantasie. Sie verdienen Respekt für die Leidenschaft, mit der sie malten. Die Gemälde von Teofil Ociepka, Nikifor und die Skulpturen des Autodidakten Stanisław Zagajewski liebe ich besonders … Typisch für ihre Kunst ist die große Sensitivität. Da sie ihre Werke mit einer gewissen Distanz von der offiziellen Kultur schufen, hatten sie Kontakt mit dem kollektiven Unterbewussten, das in Träumen, Legenden und Mythen zum Ausdruck kommt. Die naiven Künstler hatten eine Mission. Durch ihre Werke erzählen sie von den Problemen der modernen Zeiten, sie sehen vielleicht die Zukunft voraus. Es ist auch etwas sehr Anrührendes an ihren Arbeiten …
Ich schätze auch die Kunstwerke von Henryk Płóciennik, der ohne jede akademische Ausbildung außerordentliches künstlerisches Talent besitzt und zweifellos einer der herausragendsten Grafiker Polens ist. Ich liebe die Gemälde von Henri Rousseau, Frida Kahlo, Augustin Lesage … Vor kurzem habe ich die Arbeiten von Nick Cave entdeckt, einem amerikanischen Künstler, Bildhauer, Tänzer und Darsteller. Er kombiniert seine Faszination für den Tanz mit afrikanischer Kunst und schafft unglaubliche textile Skulpturen-Kostüme und sehr fein bestickte Installationen. Nicht nur Gemälde regen also meine Fantasie an, Musik, Theater und Kino beeinflussen mich ebenso intensiv. Beispielsweise die Arbeiten eines meiner liebsten Regisseure: Sergei Paradschanow. Sein Film „Die Farbe des Granatapfels“ hat mich bewogen, mich an der Fakultät für Textildesign und Mode zu bewerben. Paradschanow stammte ursprünglich aus Armenien und in dieser Kultur sind die Stoffe und Teppiche viel mehr als Alltagsgegenstände. Sie haben auch spirituelle Bedeutung.
Mit welchen Farben arbeiten Sie?
Mit jeder Art von Farben auf Wasserbasis: Akryl, Emaillelack, Pigmenten. Ich kombiniere sie oft. Ich habe früher mit Tuschen auf Wasserbasis gearbeitet, wie sie beim Stoffdruck verwendet werden und die habe ich mit Pigmenten kombiniert. Die Farben werden dadurch flexibler und haltbarer. Ich habe früher viel experimentiert und meine Farben selbst hergestellt. Leider wird es immer schwieriger, einige der Grundstoffe zu bekommen … Zurzeit verwendet ich Farben, die sich in der Praxis bewährt haben.
Ich sehe Volkskunsteinflüsse und -symbole in Ihren Bildern. Sind das Bezüge auf Volksmärchen und Traditionen?
Ich wurde in Łowicz geboren, in einer Region, die berühmt ist für ihre reichen alten Traditionen, ihre Handwerker, ihre Papierkunst, ihre farbenfrohen Volkstrachten, ihre berühmten „Spinnen“ (Dekorationen, die von der Decke hängen) und die gestreiften Stoffe in den Trachten. Als ich 15 war, bin ich nach Łódź umgezogen. Die beiden Städte sind sehr unterschiedlich. Während meiner Jugendjahre in Łowicz wusste ich die lokale Volkskunst nicht zu schätzen, das war normal und natürlich für mich. Erst als ich meine Heimatstadt verlassen habe, habe ich nach einer Weile gelernt, die Volkskunst auf meine Weise zu sehen. Ich begann die Volkskunst meiner Heimat zu schätzen. Zwar mag ich den industriellen Charakter von Łódź, als ich mich aber immer mehr mit Malerei beschäftigt habe, fing der Lärm der Großstadt an mich zu stören. Die Rückkehr nach Łowicz war der richtige Schritt. Als ich in Łódź lebte, habe ich Bilder gemalt, deren Inspiration die Landschaften von Łowicz und die Mythologie waren.
Die Rückkehr in meine Heimat hat meine Leidenschaft für die einheimische Kunst, die Kunsthandwerke und die besondere Landschaft verstärkt. Der Volksglauben meiner Vorfahren hat mich immer fasziniert. Meine Großmutter Hania hat mir oft die Legenden über den ungehorsamen Klobuczek, Smetek und die Geschichten aus dem Ermland, Masuren und Schlesien vorgelesen. Die Welt unserer Vorfahren war von außergewöhnlichen, fantastischen Kreaturen und Gottheiten bevölkert. Die Slawen behandelten die Natur mit bemerkenswertem Respekt. In meinen Gemälden portraitiere ich geheimnisvolle Kreaturen und Ereignisse aus der slawischen Mythologie. Ich nehme gern Bezug auf die einheimische Folklore, die manchmal hypnotischen Effekt auf mich hat. Ich brauche den Kontakt mit der Volkskunst, sie inspiriert mich, hilft mir, in Kontakt mit meinen Wurzeln zu kommen und hebt meine Stimmung. Indem sie all diese schönen und reich verzierten Gegenstände, Papierkunstwerke und „Spinnen“ schufen, haben meine Vorfahren die oft graue Welt schöner gemacht.
Ich habe den Eindruck, dass Sie in Ihren Gemälden traditionelle und surrealistische Elemente kombinieren. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
An der Akademie habe ich mich in erster Linie für Abstraktion interessiert, dann für figurative Malerei. Eine Weile war der Expressionismus mir nah, dann der magische Realismus und dann der Surrealismus, den Sie ansprechen. Ich denke, die Ideen der Surrealisten sind mir am nächsten. Sie dachten, dass der Mensch von Kräften geleitet wird, die unabhängig von seinem bewussten „Ich“ sind. Sie waren fasziniert von dem, was ihr Unterbewusstes verbarg. Darum achteten sie die naive Künstler, die Volkskünstler und die psychisch kranken Künstler. Sie befassten sich mit den Schöpfern der Psychoanalyse. Ich interessiere mich auch für Carl Gustav Jung und seine Ideen, besonders seine Vorstellung in Bezug auf das kollektive Unterbewusste. Wenn ich male, nehme ich Bezug auf meine Wurzeln, auf diese Weise schaffe ich eine natürliche Beziehung zu den Menschen, die mir sehr nahe stehen, die gestorben sind. Wenn ich male, versuche ich, mich nicht einzuschränken. Versuche, die eigene Arbeit zu klassifizieren, können einschränkend sein. Manchmal nehme ich ganz bewusst Bezug auf einen Trend in der Kunst und manchmal handle ich instinktiv. Ich denke, es ist wichtig, dass im Gemälde ein Geheimnis verborgen ist. Wenn ich es zulasse, dass meine Fantasie mich leitet, dann sagen meine Gemälde mir, was sie von mir benötigen.
Sie haben ihren Abschluss an der Fakultät für Textildesign und Mode an der Akademie der Schönen Künste von Łódź erworben. Sie malen wunderbare Stoffe. Entwerfen Sie auch Stoffe?
An der Akademie habe ich Stoffe entworfen, und zwar sowohl Druckstoffe als auch Jacquard-Stoffe. Seit einigen Jahren male ich vorrangig, aber ich möchte einen Zeit lang wieder einzigartige Stoffe machen. Hoffentlich kann ich das ganz bald. Ich bereite mich nach und nach auf eine große Einzelausstellung vor, die für 2018 geplant ist. Bis dahin möchte ich Installationen und gewebte Objekte fertig stellen, in denen ich auf Volkskunststoffe und -Kunsthandwerke Bezug nehme. Auf eine Weise nehmen auch meine Gemälde Bezug auf Stoffe. Studien im Workshop zum Bedrucken von Stoffen haben meine malerischen Fähigkeiten wirklich bereichert. Ich nutze noch immer gelegentlich Drucktechniken wie beim Färben und Beizen von Stoffen, ich nutze Farben, die für das Bemalen von Stoff gedacht sind. Manchmal nutze ich Siebdruck und Transferdruck. Ich denke über die Muster nach. Ich versuche zu erreichen, dass die einzelnen Elemente der Malerei so angeordnet werden, dass ein durchgehendes, sich wiederholendes Muster entsteht.
Auf Ihrer Website habe ich gesehen, dass Sie auch Schmuck entwerfen. Aus welchem Material ist dieser Schmuck?
In der Akademie habe ich auch einige Zeit in der Werkstatt für Schmuckherstellung verbracht. Nach einigen Jahren habe ich beschlossen, mich wieder meiner alten Leidenschaft zuzuwenden. Manchmal gestalte ich heute noch Schmuck, aber meist für mich selbst und sehr selten. Ich kann dafür nicht so viel Zeit aufwenden, wie ich gern würde. Die Arbeiten auf meiner Website sind aus Plexiglas.
Kann man von Malerei eher leben als von Textildesign?
Das kommt darauf an. Textildesign umfasst sehr vieles. Man kann gewerblich arbeiten und Muster für ein Unternehmen entwerfen, man kann dekorative Wandteppich weben oder Industriegewebe herstellen, oder man kann typische künstlerische Textilarbeiten schaffen wie Einzelstücke oder Textilkunst. Während meines Studiums wurden wir auf all diese Alternativen vorbereitet, der Schwerpunkt lag aber auf dem Design. Beruflich habe ich die erste Alternative ausprobiert und nach drei Jahren hatte ich genug davon. Unmittelbar nach meinem Abschluss hatte ich eine Stelle in einem Unternehmen gefunden, wo ich dann Druckstoffe für Bekleidung entworfen habe. Ich hatte dort aber keinerlei Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung, deshalb habe ich weiter gemalt. Nach ein paar Jahren in der Industrie wurde die Arbeit dort sehr langweilig und ich fing an, mich ausgebrannt zu fühlen. Mit der Zeit nahm das Malen immer mehrZeit in Anspruch und ist schließlich zu meiner Hauptbeschäftigung geworden. Ich machte mir damals Sorgen und tue das immer noch, ob ich davon leben kann, aber ich bleibe konsequent auf dem eingeschlagenen Weg. Malen macht mich glücklich.
Ich denke, die Textilkunst ist sehr unterbewertet. Was denken Sie? Was könnte der Grund dafür sein?
Ich stimme Ihnen zu, ich denke auch, dass der Textilkunst nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Textilkunst ist keiner der wesentlichen Trends in der Kunst. Ich war immer überrascht festzustellen, dass man selbst an meiner Akademie spüren konnte, dass die Textilkunst-Studentinnen und -Studenten ein wenig wie Außerirdische betrachtet werden. Und das an der ältesten und traditionsreichsten Fakultät! Die Geschichte von Łódź ist eng verwoben mit der Textilgeschichte. Lange Jahre war Łódź das Zentrum der Textilerzeugung in Polen und eines der wichtigsten Zentren der Textilproduktion in Europa. Im 19. Jahrhundert erlebte die Textilindustrie hier einen Boom und Polen wurde zu einem der wichtigsten Exporteure qualitativ hochwertigen Leinens, von Wollgarnen und Stoffen. Das war noch bis zur Mitte der 1990er Jahre so.
Das Zentrale Textilmuseum in Łódź organisiert seit 1972 die größte und älteste Ausstellung/Ausschreibung zeitgenössischer Textilkunst der Welt: die Internationale Triennale der Tapisserie. Ich habe aber das Gefühl, dass die Stadt nicht das ganze Potenzial einer derartigen Veranstaltung ausschöpft. Dazu tragen mehrere Faktoren bei. Erstens denkt der normale Mensch bei Textilkunst meist an etwas Veraltetes, Überholtes. Zweitens wird Textilkunst assoziiert mit Stoff, der wiederum zu Frauen zu gehören scheint. Ich habe den Eindruck, dass Textiles oft übersehen und diskriminiert wird, genauso wie Frauen diskriminiert werden. An der Fakultät für Textildesign studieren fast nur Frauen. In meinem Jahrgang gab es nur wenige Männer. Nur zwei davon haben sich für die Fachrichtung Textildesign entschieden. Die übrigen Männer, die sich für diese Fakultät entschieden hatten, wollten alle Modedesigner werden. Die Professoren sind zumeist Frauen. Als ich dort studiert habe, wurde nur einer der Studiengänge zu Stoff- und Modedesign von einem Mann geleitet, Professor Andrzej Raijch. Die Männer haben sich meist für Malerei, Bilderhauerei, Grafik oder Design entschieden. Die Studenten der anderen Fakultäten haben manchmal zu mir gesagt, ich studierte ja an der „Fakultät für Fetzen“. Ein scheinbar ganz unschuldiger Scherz, aber etwas daran schmerzt und ist chauvinistisch.
Stoff ist ein ganz einzigartiges Medium, das viel Zeit, Geduld und Liebe fordert. Die Kunst des Webens steht im krassen Gegensatz zu dem, was die heutige Popkultur bietet. Die Welt dreht sich immer schneller, sucht frenetisch nach neuen Technologien und vergisst dabei die alten. Gleichzeitig werden handgemachte Dinge und Handwerkskünste immer wertvoller. Ich hoffe deshalb, dass das Interesse an allem, was mit dem breiten Begriff Textilkunst assoziiert wird, zunimmt. Umso mehr als es Beispiele dafür gibt, dass Stoff auf fantastische Weise den Anforderungen der modernen Welt entspricht. Es ist ein sehr flexibles und schönes Medium, eine Herausforderung für Künstler und Designer. Es erfüllt die Anforderungen der neusten Technologien. Für mich persönlich ist der fesselndste Aspekt die symbolische Dimension des Textilen. Die Wiederholung bestimmter Bewegungen beim Weben oder Drucken hat einen eigenen Rhythmus, dem man sich anpassen muss. Wenn man Stoff macht, kommt man in einen der Meditation sehr ähnlichen Zustand.
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Alle Fotos von Karolina Matyjaszkowicz.