Erzählen Sie uns von Ihrem Projekt für geflüchtete Frauen.
Wo ist das Projekt angesiedelt, was wird im Rahmen des Projekts genäht?
Die Näh- und Sprachwerkstatt „Naomi Berlin“ ist die „kleine Schwester“ der ökumenischen Nähwerkstatt Naomi in Thessaloniki. Mein kürzlich verstorbener Mann und ich gehörten zu den Unterstützern der ersten Stunde und haben auch den Verein Naomi Thessaloniki mitgegründet und -aufgebaut. Wir lebten auch nach der Pensionierung meines Mannes einen Teil des Jahres in Thessaloniki.
Als ausgebildete Textildesignerin habe ich u.a. ein Rucksack- und Taschenprojekt initiiert und diese Produkte auch in Berlin angeboten. Sie kamen sehr gut an, und so entstand im Rahmen von ehrenamtlicher Flüchtlingsarbeit die Idee, ein vergleichbares Projekt in Berlin aufzubauen. Die ästhetisch und handwerklich hochwertigen Produkte, denen man den „guten Zweck“ nicht ansieht, rufen Anerkennung hervor und eröffnen interessante Verkaufsgespräche über unsere Arbeit.
In Berlin haben wir es uns zum Ziel gesetzt, die Frauen, die zu uns kommen, sprachlich und handwerklich so gut zu qualifizieren, dass sie hochwertige Produkte herstellen und diese auch selber zum Verkauf anbieten können. Auf diese Weise möchten wir nicht nur Unterstützung und Aufgeschlossenheit gegenüber unserem Projekt lebendig halten, sondern wir möchten „unseren Frauen“ , die mehrheitlich kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, auch eine kleine legale Zuverdienstmöglichkeit eröffnen – für sie ist es das erste selbstverdiente Geld ihres Lebens – das ist etwas sehr, sehr Wichtiges und Motivierendes und ein riesiger Schritt in Richtung Selbstermächtigung und Integration.
Woher stammen die Frauen? Wie sind sie zu uns gestoßen?
Die Frauen sind über persönliche Kontakte aus der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit bzw. über Mundpropaganda zu uns gestoßen. Sie stammen aus Afghanistan, dem Iran und dem Irak – oft können sie wegen ihrer kleinen Kinder nicht an einem offiziellen Sprachkurs teilnehmen. Ihre Kinder können sie mitbringen – wir betreuen sie, wenn ihre Mama an der Nähmaschine sitzt. Vor einiger Zeit haben wir die Gruppe auch für Migrantinnen geöffnet, die schon länger in Berlin leben und ebenfalls keinen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Auch für sie ist die Nähgruppe sehr wichtig.
Wie finanziert sich das Projekt?
Inzwischen sind wir ein kleiner eingetragener, gemeinnütziger Verein, der auch Spenden entgegen nehmen, auf Märkten und Veranstaltungen verkaufen und den Frauen eine geringe Beteiligung am Verkaufserlös auszahlen darf. Vom Geld zweier freundlicher Spenden (ein Schulfest und eine private Geburtstagsfeier) haben wir funktionsfähige Maschinen, Verbrauchsmaterial und die Kosten der Vereinsgründung finanziert.
Aber wenn wir unsere oben skizzierten Ansprüche verwirklichen wollen, müssen wir unseren Verkauf verstetigen und uns einen halbwegs sicheren und kalkulierbaren „Absatz“ unserer Produkte sichern. Derzeit versuchen wir in einem „Pilotprojekt“ an einem Kreuzberger Gymnasium zusammen mit engagierten Schülerinnen und Schülern Rucksäcke in den Schulfarben und mit dem Schullogo zu verkaufen und gleichzeitig über das Projekt in Thessaloniki und in Berlin zu informieren. Wir hoffen, dass das so gut läuft, dass wir das auch an anderen Schulen, in Kitas und Vereinen anbieten können. Wenn es klappt, dann ist das ein win-win Projekt mit hochwertigen und „mitdesignten“ Produkten mit fairen Löhnen und Preisen.
Wie soll sich das Projekt weiter entwickeln?
Die Möglichkeit eines kleinen legalen Zuverdienstes zu den Transferleistungen motiviert die Frauen sehr. Ich glaube, dass es gar nicht unbedingt die etwa 100 Euro sind, die sie im Monat verdienen dürfen – es geht darum, dass sie dieses Geld selber verdient haben. Bislang trauen sich noch nicht alle, mit auf einen Markt oder eine Veranstaltung zu gehen und zu verkaufen – dazu ist oft das Deutsch auch noch zu holperig – aber wenn sie diesen Schritt gehen, dann ist das ein wichtiger Schritt in ein selbstbestimmteres Leben in diesem Land.
Ja, und wenn es so gut läuft, wie wir es kaum zu träumen wagen, dann entsteht aus diesem kleinen Projekt „Naomi Berlin“ vielleicht ein kleiner Qualifizierungskurs für diese „formal geringqualifizierten“ Frauen. Nicht unbedingt mit einem Zertifikat, das ihnen auf dem ersten Arbeitsmarkt nützt – aber vielleicht mit dem Selbstvertrauen, in diesem Projekt nicht nur angeleitet zu werden, sondern es mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung mitzutragen.
Das ist, wie gesagt, noch ein Traum – aber wir haben ein paar Ideen, wie das langfristig klappen könnte.
Planen Sie, in Berlin ein eigenes Büro zu eröffnen?
Das können wir uns natürlich nicht leisten. Wir können derzeit ja nicht einmal das bezahlen, was unsere Näherinnen gern produzieren würden …
Auch eine eigene Werkstatt ist leider Zukunftsmusik. Wir sind sehr dankbar, dass das Nachbarschaftsheim Schöneberg uns vormittags Räumlichkeiten anbietet, die wir mietfrei nutzen können und wo wir auch unsere Maschinen und Nähutensilien deponieren können.
Das ist ungeheuer hilfreich! Vielleicht haben wir ja Glück und es weiß jemand einen noch geeigneteren Raum. Und da die Attraktivität unserer Produkte natürlich auch von der Schönheit und Qualität der verwendeten Stoffe abhängt, freuen wir uns natürlich auch über Sachspenden jedweder Art. Aber am wichtigsten ist eigentlich, dass wir unsere Produkte und die damit verbundene Geschichte verkaufen und verbreiten können. Auch hier sind wir für Hinweise mehr als dankbar.
Natürlich kann unser Projekt in der hier skizzierten Form nur leben, wenn auch die finanzielle Seite stimmt – darum auch die Vereinsgründung. Insgesamt aber sind wir froh und stolz, dass sich über das praktische Miteinander im Laufe der Zeit freundliche, verlässliche und vertrauensvolle Gespräche und Beziehungen entwickelt haben, die z.T. weit über das Nähen hinausgehen. Das macht uns Mut!
Haben Sie selbst einen textilen Hintergrund?
Ich komme aus den Niederlanden und habe dort studiert. Den Studiengang gibt es schon seit 40 Jahren nicht mehr; man durchlief alles, was mit textilem Arbeiten zu tun hatte wie Nähen, das Herstellen von Schnitten, Modezeichung usw. Nach dem Abschluss ging ich damit in die Pädagogik und lehrte an verschiedenen Schulen. Vom Nähen und Stricken über Batiken habe ich später meine eigenen Nähkurse gegeben in der Werkstatt unter unserem Dach im Berliner Süden. Nach unserem Umzug nach Griechenland in den 1990er Jahren wurde ich dort Mitbegründerin der kleinen Volkshochschule Thessaloniki, natürlich mit dem Schwerpunkt Nähen. Es macht mir immer viel Freude, mein Wissen an meine Schüler weiterzugeben. Und ich liebe Stoffe …
Die Fotos wurden von Anne-Marie Sellin zur Verfügung gestellt.