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Structuring Fashion – Foundation Garments through History

Welchen Köper sehen wir, wenn wir einem anderen Menschen begegnen? Sehen wir einen von der Natur geformten Körper oder einen, der durch die jeweilige Kultur der Zeit gestaltet wird? Da sich die europäischen Moden über die Zeit hinweg gewandelt haben, verwundert es kaum, dass auch die Körpersilhouette diesem Wandel unterworfen war. Sichtbar wird das zum Teil auf historischen Gemälden und überlieferten Kostümen. Bei der Gestaltung der Körperformen kam der Unterkleidung eine grundlegende Aufgabe zu. Die unter den Kleidern, Mänteln und Jacken getragenen Elemente gaben Halt und Form.

Auf einer 2018 im Bayerischen Nationalmuseum in München veranstalteten internationalen Tagung haben sich Fachleute der Kostüm- und Textilforschung eindringlich mit der Geschichte dieses formenden Unterkleides beschäftigt. In der Tat ist es vom Mittelalter bis in unsere heutige Zeit ausschlaggebend, dass das „Darunter“ sitzt, damit sich ein Körper in der gewünschten und zeitgemäßen Silhouette und Körperhaltungen präsentieren kann.
Im Hirmer Verlag ist der reichhaltig bebilderte 168 Seiten umfassender Tagungsband in englischer Sprache erschienen. Er beinhaltet zum einen zahlreiche Essays führender Wissenschaftler*innen aus internationalen Institutionen, Universitäten und Museen, die sich seit Längerem mit Fragen nach den formenden und gestalterischen Aspekten der Unterkleidung beschäftigen. Illustriert werden die Beiträge durch zahlreiche, oft großformatige Farbabbildungen, wobei historische Originalkleidungsstücke durch detailgenaue Fotografien in hervorragender Weise in Szene gesetzt werden.

Vom Mittelalter bis in unsere Tage wurden weibliche (manchmal auch männliche) Körper durch unterschiedliche Arten von Korsetts, Schnürmieder, Büstenhalter bis hin zu Reifröcken so geformt, dass diese dem herrschenden Schönheitsideal entsprachen. Woraus wurden sie hergestellt? Wer nähte oder konstruierte Reifröcke? Was trugen Frauen der unterschiedlichen sozialen Schichten unter ihren Wollkleidern? Obwohl über viele Jahrhunderte hinweg immer wieder Kleiderordnungen herausgegeben wurden, um die Verwendung von Stoffen, Schnitten und Farben so zu reglementieren, dass die Standeszugehörigkeit auf den ersten Blick erkennbar war, belegen schriftliche wie grafische Quellen deren Übertretungen.

Da die formende Unterkleidung meist verborgen dicht am Körper anlag, ist es umso spannender herauszufinden, welche Stoffe, Schnitte und Materialien zu ihrer Herstellung verwendet wurden. Die Autorinnen und Autoren widmen sich derartigen Fragen und beleuchten die unterschiedlichen Aspekte, sodass Erkenntnisse zu materialtechnischen wie technologischen Prozessen ebenso wie eine Einordung in die Kulturgeschichte des Körpers erfolgt. Zugleich werden durch vergleichende Betrachtungen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der europäischen Länder sichtbar. Die Beiträge des Bandes liefern somit interessante Einblicke in die aktuelle Forschung und dokumentieren an ausgewählten Exponaten verschiedener textiler Sammlungen die Vielfalt der Schneiderkunst, den europäischen Technologietransfer und nicht zuletzt die Macht der Mode als sozio-ökonomischer Idee von Herrschaft. Das verdeutlicht etwa der Beitrag der schwedischen Modeforscherin Pernilla Rasmussen (S. 85-97). Am Beispiel von vier, am schwedischen Königshof im 18. Jahrhundert getragenen Robe de Cour kann sie deren Herstellungsverfahren sowie ihre Bedeutung als Herrschaftssymbol herausarbeiten. Wobei die Person der preußischen Königstochter Louise Ulrike, die mit dem schwedischen Thronfolger und späteren König verheiratet wurde, eine zentrale Rolle spielte. Als Königin war ihr bewusst, welchen starken Einfluss die optische Wahrnehmung besaß, der unmittelbar an die durch die Kleidung geformte körperliche Erscheinung geknüpft war. Dieses Kleidungsstück der weiblichen Hof-Mode, eingeführt von Ludwig XIV. am französischen Hof der 1670er Jahre, wurde auf unzähligen Gemälden dargestellt und bis zur Französischen Revolution mit den Zeremonien des Ancien Regime assoziiert.

Diese fundierten Essays werden für all jene, die an historischer Kleidung und Mode interessiert sind, mit Gewinn gelesen werden. Darüber hinaus sind allein die fotografischen Blicke aufs Detail erhellend und werden Kundige des Schneiderhandwerks inspirieren!

Structuring Fashion
Foundation Garments through History
Hrsg. von Frank Matthias Kammel und Johannes Pietsch
Beiträge von D. Bruna, A. Descalzo Lorenzo, K. Hopfensitz, O. Kratz, B. Nutz, S. Passot, J. Pietsch, A. Rasche, P. Rasmussen, J. Tiramani
Text: Englisch
168 Seiten, 120 Abbildungen in Farbe
24,5 × 29 cm, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-7774-3406-3
Verlag Hirmer, München