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Fürstinnen im Grünen – Spaziergänge durch Schlossgärten

Das Cover des Buches „Fürstinnen im Grünen. Spaziergänge durch Schlossgärten“ zeigt das skandalumwitterte Gemälde von Marie-Antoinette aus dem Jahre 1783. In glücklichen Tagen spazierte die Königin gerne in leichten Gewändern durch ihr kleines abgeschlossenes Reich Petit Trianon am Rande des Gartens von Versailles. Selbst ihr Mann, der König, besuchte sie dort nur auf ihre Einladung hin. Dass dieses simple Gewand, in dem sie sich dort so wohl fühlte, einst auf entscheidende Weise zum zerstörerischen Ruf der Königin beitragen sollte, wäre zu diesem Zeitpunkt kaum denkbar gewesen.

In der Wahl für Stoff und Schnitt beruht das Kleid auf der immer populärer werdenden philosophisch-gesellschaftlichen Idee, die Jean-Jacques Rousseau wirkungsmächtig darstellte. Das neue Naturverständnis zeigte sich längst in Gärten, nun fand es zugleich Ausdruck in der Mode der Königin. Obwohl sie nicht die erste war, die ein Mussellinkleid dieser Art trug, mag sie wohl diejenige gewesen sein, die zu dessen Verbreitung am meisten beitrug. Insbesondere durch das besagte Gemälde ihrer Lieblingsmalerin, Élisabeth Louise Vigée-Lebrun, aus dem Jahre 1783. Oder durch den Umstand, dass die Königin ihrer englischen Freundin, Georgiana Herzogin von Devonshire (1757-1806), ein solches Kleid schenkte. Die schöne Herzogin, ihrerseits eine Stilikone auf der Insel, erschien in diesem Kleid auf dem Ball des Prinzen von Wales. Damit führte sie es in die englische Mode ein und bald war im Lady’s Magazine zu lesen, dass das „ganze Geschlecht, von fünfzehn bis fünfzig und darüber .[…] in weißen Musselinkutten mit breiten Schärpen“ auftauchen würde.

Marie-Antoinette favorisierte das Naturideal Rousseaus. Sie beschäftigte sich mit den Inhalten und besuchte sogar das Grabmal des Philosophen im Schlossgarten von Ermonville. Sein Naturverständnis dokumentiert etwa sein berühmter Roman „La nouvelle Héloïse“ von 1761, bereits 1762 in deutscher Übersetzung erschienen. Darin rühmt der Philosoph die Macht der Gefühle als Naturgewalt und beschreibt die Natur als Quelle unendlicher Empfindungen. Die Titelheldin Julie wird zudem als erste Landschaftsgärtnerin präsentiert, wobei ihr gestalterisches Wirken untrennbar mit ihrem Liebesleben verbunden ist, und der Garten das ambivalente Potential zur Liebeserfüllung wie zum Entsagen und zur Einsamkeit besitzt.

Der Ruf „Retournons à la nature!“ entfachte eine Begeisterung für das Einfache und Ursprüngliche und versprach in der Rückkehr zur Natur, die Befreiung des Menschen aus den Zwängen der Städte wie der überfeinerten Rokoko-Kultur. Der Landschaftsgarten avancierte in der politischen Interpretation vieler gebildeter Betrachter in England und auf dem Kontinent zum „Garten der Freiheit“. Damit verkörperte er für all jene einen Gegensatz zum französischen Barockgarten, der die französische Staatsordnung versinnbildlichte und somit als „Garten des Königs“ galt. Einige Zeitgenossen erkannten in den idealen Naturbildern eine politische und moralische Kraft, die jeder Revolution vorzuziehen sei.

Wie Marie-Antoinette im Garten wie in der Mode den Epochenumbruch vom Rokoko in etwas Neues verkörpert, zeigt sich insbesondere im zweiten Kapitel des Buches, das den Titel „Die Prinzessinnen von Ludwigslust“ trägt. Das genannte Gemälde der Königin im weißen Musselinkleid mit blauer Schärpe und Strohhut ist das Eröffnungsbild zu diesem Kapitel. Anhand der Entwicklung des Schlossgartens von Ludwigslust, der einstigen mecklenburgischen Residenzstadt, lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie die gartenkünstlerischen Stile von den mecklenburgischen Herzögen aufgegriffen und umgesetzt wurden. Der Garten hatte das Glück, sich bis in unsere Zeit zu erhalten, sodass er heute sehr gerne von Erholung Suchenden wie von kunsthistorisch Interessierten besucht wird.

Unmerklich spazieren Gartenbesucher*innen vom Zeitalter des Barocks mit seinen Symmetrien, Kaskaden, geraden Wasserläufen und üppigen steinernen Gottheiten in eine vom Landschaftsideal gestaltete Umgebung mit sanft geschlängelten Wegen, malerischen Ausblicken, Gedächtnissymbolen und romantischen Rückzugsorten. Währenddessen sind es vor allem die Gemälde weiblicher Familienmitglieder des Herzogshauses, auf denen der Wandel der Moden von den barocken Seidengewändern mit Rückenfalten und Spitzenschürzen zu luftigen Musselinkleidern und lose fallenden Haaren sichtbar wird. All das offenbart sich vor dem Hintergrund der Gartengestaltung, wobei man manchmal noch heute die Position im Garten finden kann, wo dereinst der Maler sein fürstliches Model porträtiert hat. Auch in den nachfolgenden Kapiteln über die Schlossgärten von Mirow, Hohenzieritz und Neustrelitz werden die Auswirkungen des epochalen Wandels fassbar, der sich in Gartenkunst wie Mode vollzog und in Gartenräumen wie Gemälden von Königin Charlotte von England und Königin Luise von Preußen überliefert ist.

In erster Linie lädt das Buch zu Lesespaziergängen durch die Schlossgärten Mecklenburgs ein und führt zu Pavillons, Statuen und Tempeln, die an jene fürstlichen Spaziergängerinnen erinnern, die einst hier lustwandelten. Auf der Spurensuche nach ihnen zeigt sich, wie sie über ihre familiären Netzwerke Kunst und Kultur verbreitet haben und so Neuerungen bis in den kleinsten Schlossgarten getragen wurden. Wenn die Modeikone Marie-Antoinette 1783 noch kritisiert wurde für das gewagte Porträt, so zeigen die im Buch präsentierten Gemälde, wie sich wenige Jahre später Stoffe, Schnitte und Aussagekraft der Gewänder parallel zum freiheitlich interpretierten Gartenraum als Ausdruck einer neuen Zeit gewandelt hatten. Anders als der Landschaftsgarten, der noch eine ganze Weile modisch war, sollten die Damen sich bald wieder eng schnüren und hoch zuknöpfen.

Dr. Editha Weber
Fürstinnen im Grünen
Spaziergänge durch Schlossgärten
Nicolai Verlag Berlin 2016
160 Seiten
100 farbige Abbildungen
gebunden
ISBN 978-3-89479-860-4