Am 6. März 2015 fand zum ersten Mal in Berlin die South Pacific Fashion Show statt. Das abgeschiedenen Haus des Sports am Olympiastadion war der angemessene Ort für eine Veranstaltung, an der ein Kreis von Eingeweihten und das neuseeländische Botschafterpaar als Ehrengäste teilnahmen. Anläßlich der jährlich stattfindenden Islands Night der Polynesian Cultural Society, fand eine Modenschau statt, die ohne die sonst üblichen Inszenierungen der Modewelt auskam. Eingebettet in das exquisite Programm mit Tanz, fehlte zwar hier und da die Möglichkeit zur konzentrierten Betrachtung, die gezeigten Kleidungsstücke waren allerdings von ganz besonderer Ausdruckskraft und Qualität. Was zelebriert wurde, war nicht ausschließlich die Mode, darüber hinaus ging es um die heutigen pazifischen Kulturen, wie sie hier in Europa gelebt werden.
Mit der South Pacific Fashion Show erzählt die polynesische Community von Kosmopoliten, die in vielen Kulturen zu hause und in einigen besonders verwurzelt sind. Auf den Laufsteg kam damit eine Mode, die von der selbstbewußt-nachdenklichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zeugte.
Da war zum Beispiel das traditionelle Hochzeitsgewand aus geflochtenen Pandanusstreifen, das einem christlichen Hochzeitskleid begegnete, welches aus Tapa, dem kostbaren aus Baumrinde gewonnenem polynesischem Statussymbol, gefertigt wurde.
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Die Verwendung der traditionellen Materialien in den Hochzeitsgewändern der zwei in Polynesien vertretenen Religionen öffnet den Blick auf eine hochaktuelle Auseinandersetzung: Wie behaupten sich lokale Traditionen mit ihren innerkulturellen Konflikten in einer globalisierten Welt? Wie leben sie ihre eigene Geschichte angesichts der Verwirrungen, die durch verschiedenste Kulturen, durch Migrationen und Sprachbarrieren entstehen?
Der Modeschöpferin Mele Köhnecke gelingt die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, indem sie das Brautkleid, wie es bei einer christlichen Hochzeit geschnitten ist, in dem wunderbar sperrigen Tapa fertigt und es ihrer Community auf einem deutschen Laufsteg präsentiert.
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So thematisiert sie mit unglaublicher Leichtigkeit das Zusammenleben der unterschiedlichen Traditionen und Kulturen sowohl in ihrer Heimat wie auch in Deutschland. Selbstbewusst an der Verwendung des traditionellen Materials ist, dass sie es in den christlichen Kontext gelungen integriert und damit etabliert, ohne sich ihm zu unterwerfen. Das widerständige Material ist dabei unübersehbar die Spur der alten Kultur, die sich in eine neuere Tradition einschreibt, ohne dass die eine oder andere getilgt und überschrieben würde. Hier wird das was vermeintlich nicht zusammen passt, in seiner historischen Andersheit gezeigt und damit eine ganz eigene Ästhetik entwickelt. Es ist eine Ästhetik, die das christlich westliche Schönheistsideal des Brautkleides aus fließendem, glänzendem Gewebe aufbricht und ihm die raschelnde und eigensinnige Textur der Rinde, der Tapa hinzufügt.
Ähnlich verhält es sich mit dem „sexy Talar“, den die Designerin Paula Wiemers auf den Laufsteg stellt. Wie schon die paradoxe Bezeichnung vorwegnimmt, handelt es sich bei diesem Kleid allerdings um den Ausdruck eines expliziten Widerstands gegen den von den Missionaren im Kolonialismus aufgezwungenen Kleidungskodex.
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Dazu setzt die Künstlerin dem Talar zunächst eine schwarze Passe aus Lederimitat ein, wodurch das Gewand eine erste Erotisierung erfährt. Die Raffung unter der Brust tut ein Übriges und betont dort Busen und Taille, wo das christliche Gewand sie negiert. Das Kürzen der Ärmel und das fast gewaltsam erscheinende Aufreißen des Saumes in Zick-Zack-Linie vereitelt schließlich jeden Versuch, dem Diktat des Verdeckens, das ehemalige Missionare predigten, nachzukommen.
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Mit der neuen Körperlichkeit, die Paula Wiemers dem missionarisch konnotierten Gewand gibt, greift sie massiv in die historische Entwicklung des Talars ein. Der Talar kennzeichnete zunächst den Prediger und erfuhr dann in der Reformation eine Veränderung zum Gelehrtengewand. Heute besteht er sowohl in seiner liturgischen wie akademischen Funktion fort und steht für Autorität in geistlichen wie geistigen Funktionen.
Der „sexy Talar“ schließlich bricht mit beiden und fragt durch diesen Bruch nach der Rolle von Sexualität und Körper in Religion und Akademie. Tatsächlich greift die Provokation, die durch diese Umdeutung des Talars unternommen wird, weiter als ein schlichtes Aufbegehren es tun würde: sie fragt dannach, was es mit der Unterdrückung von Körperlichkeit und Begehren in den westlichen Traditionen denn auf sich hat. Und sie stellt dieser eine eigene Körperlichkeit entgegen, die Haut zeigt. Mit dem Kleid wird die Rolle der Haut in westlichen wie ozeanischen Kulturkreisen angesprochen und die Verschränkung kultureller Werte gezeigt. Damit steht in Frage, ob das Tabu, das hier gebrochen wird, nicht genauso die pazifische Kultur, wie die westliche betrifft.
Vielleicht ist der „sexy Talar“ ja eine Selbstbehauptung der heutigen polynesischen Kultur: er entwirft ein Gegenmodell zu dem westlichen universitären Absolventinnengewand und damit eine Absolventin, die ihren Körper und ihre Sexualität zeigt und lebt. Gleichzeitig thematisiert er die Unterdrückung der pazifischen Tradition (das Haut-zeigen) durch die westlichen Kulturen der Eroberer (das Haut-verdecken). Darüber hinaus erinnert er an eine Körperlichkeit, wie sie auf die Kulturen des Pazifiks von vielen „Westlern“ projeziert wird und damit als unangemessene Exotisierung empfunden werden kann.
Der Entwurf des sexy Absolventinnengewandes schafft also eine Figur, die aus der Zusammenstellung von sich widersprechenden Auffassungen von Körperlichkeit entstanden ist und visualisiert den Konflikt und Widerspruch zwischen den Religionen und Kulturen. Damit ist er eine Erzählung von der Realität der Mitglieder der Pacific Community, denen es mitunter meiserhaft gelingt, scheinbar unauflösbare Widersprüche zu thematisieren, auszuhalten und an der Gestaltung einer Zukunft für die Kosmopolis mitzuarbeiten. Mit den Entwürfen der Pacific Fashion Show geben die Designerinnen der Weltgemeinschaft Bilder an die Hand, die einen beispielhaften Weg im Umgang mit Kulturkonflikten aufzeigen.
Maja Peltzer ist Kostümschneiderin und -bildnerin und machte ihren Magister in Spanisch und Kunstgeschichte mit Schwerpunkt auf postkolonialer Kulturkritik