Ich ging auf eine große Glaswand im Museum für Gestaltung in Zürich zu und dahinter öffnete sich für mich eine riesige Welt der Textilkunst. Direkt vor mir eine Arbeit von Caroline Achaintre.
„Es ist wie Malen mit Farbe, in meinem Fall mit Wolle.“ Das sagt Caroline Achaintre, seit 2019 Professorin für Malerei und Textilkunst in der Studienrichtung Textile Künste an der Burg Giebichenstein in Halle. Ihre riesige Arbeit Roadrunner (2022) ist aus Wolle und handgetuftet.
Ich konnte Sabine Flaschberger interviewen, die seit 2011 Kuratorin der Kunstgewerbesammlung des Museums für Gestaltung in Zürich ist. Rund zwei Jahre habe die Zusammenstellung der Ausstellung „Textile Manifeste“ gedauert. Gezeigt werden die Arbeiten von rund 60 Künstlerinnen und Künstlern aus den letzten 100 Jahren. Noch bis zum 13. Juli 2025 ist die Ausstellung in Zürich zu sehen.
Von „Bauhaus bis Soft Scupture“ lautet der Untertitel der Ausstellung, die rund 100 Jahre Textilkunst abbildet. Mit den Bauhauskünstlerinnen Gunta Stölzl und Benita Koch-Otte möchte ich anfangen.
Gunta Stölzl gilt als Erneuerin der Handwebkunst. Sie war die erste Meisterin am Bauhaus. Ihre Werke sind in Museen in aller Welt zu finden. Ich zeige hier ihren Wandteppich mit Streifen von 1923.
Benita Koch-Otte gehörte zusammen mit Gunta Stölzl zu den begabtesten Studentinnen der Weberei am Bauhaus. Stark beeinflusst von Paul Klee spielte Farbe eine wichtige Rolle in ihren Arbeiten. Ihr Wandbehang in Wolle und Baumwolle entstand 1922 bis 1924.
Sabine Flaschberger erzählte mir, ihre Aufgabe sei es, aus den Beständen der Kunstgewerbeausstelung Ausstellungen zu gestalten. 2023 gab es bereits eine erfolgreiche Ausstellung mit dem Titel „Textiler Garten„. (Einen Eindruck können Sie hier erhalten.)
Es gebe zunehmendes Interesse an textiler Kunst. Das Museum versuche, möglichst viel mit dem eigenen Bestand zu machen, weil es auch ein Kostenfaktor ist. Es wäre zum Beispiel sehr teuer, Kunstwerke aus England zu holen. Sie müssten per Kunsttransport gebracht werden.
„Es wäre auch schön, junge Künstlerinnen dazu zu holen, die man noch nicht oft gesehen hat. Es gab die Möglichkeit, einige dieser Arbeiten, die ausgestellt sind, anzukaufen. Der Freundeskreis des Museums und auch das Bundesamt für Kultur tätigen Ankäufe auf unsere Anfrage und Empfehlung. Wir verleihen natürlich auch, wenn sich Häuser das leisten können. Es ist ein großer Kostenfaktor.“
Die Arbeit von Christoph Hefti von 2020 beispielsweise wurde mit Unterstützung des Freundeskreises angekauft. Sie trägt den Titel Three Foxes, ist aus Wolle und Seide und wurde auf der Grundlage des Entwurfs des Künstlers in Nepal handgeknüpft.
Ganz fasziniert war ich von dieser Arbeit von Masao Yoshimura von 1977 mit dem Titel Standing up cloth. no. 1. Das Baumwollgewebe wurde mit Reservetechnik gefärbt, geheftet und genäht. In einem Aufsteller lese ich: „In seinem Werk erforscht er Baumwollstoff, den er in fixierten Faltungen stabilisiert und so vom Alltagsgebrauch am Menschenkörper befreit.“ Von oben betrachtet lässt mich das Werk an Waben denken.
Hier ein Werk des japanischen Künstlers Shigeo Kobuta, das mir in seiner Dreidimensionalität besonders gut gefällt: Echo of Sky IV von 1987. Leinen- und Sisalband wurden hier in Leinenbindung gewebt. Anfang der 1970er Jahre stellte Kubota seine Werke in Tokio und Kyoto aber auch in der Schweiz aus, wo er bis zu deren Ende 1995 regelmäßig an der Biennale von Lausanne teilnahm. Im Titel sehen Sie eine Detailaufnahme des Werks.
Welchen Stellenwert hat die Textilkunst im Museum, frage ich, Frau Flaschberger antwortet, man könne das sehr gut an den Plakaten vergangener Ausstellungen sehen, die hinten in der Ausstellung aufgehängt sind. Da sehe man, wie früh im Museum schon Textil ausgestellt wurde. In den Eingangsbüchern des Museum seien bereits ab dem zweiten Eintrag alles Textilien. Die wurden von der Seidenindustrie, die in Zürich sehr stark war, gesponsert.
Es gebe viele Anfragen von Forschenden, die sich etwas ansehen wollen. Das Museum habe eine sehr umfassende Datenbank, das e-Museum, in dem es sehr viele Fotos gebe, ca. 140 000, und die Fotos sind so gut, dass man auch sehr viel sehe. Wenn jemand etwas ganz Spezifisches anschauen möchte, dann könne er das schon, aber nicht im Sinne von, legt uns mal aus, was ihr da alles habt. Das könne das Museum einfach nicht leisten.
Ein angekauftes Werk ist eine frühe Arbeit der amerikanischen Textilkünstlerin Sheila Hicks. Laut Sheila Hicks muss die Künstlerin begreifen, was der Faden, oder das jeweilige Material, das sie verwenden möchte, will. Wenn sie weiß, was in diesem spezifischen Material liegt, dann kann sie selbst steuern. Dieses gewebte Werk von Sheila Hicks und unbekannten Weberinnen aus Taxco el Viejo, Mexiko, trägt den Titel Ventana III und ist von 1962.
Dieser Wandbehang von 1920 stammt von Märta Måås-Fjetterström, einer führenden schwedischen Textilkünstlerin des frühen 20. Jahrhunderts. Es gelang ihr, ländliche nordische Traditionen mit modernistischen Trends zu verbinden.
Jean Lurçat (1892 bis 1966) war Wegbereiter für eine Renaissance der Tapisserie in Frankreich und Deutschland. Er knüpfte an die Tradition der mittelalterlichen französischen Bildteppiche an. Seine teilweise riesig großen Tapisserien ließ er in der Gobelinmanufaktur von Aubusson in Frankreich und im Atelier Fino in Portalegre in Portugal weben. Hier eine seiner kleineren Arbeiten von 1947, die im Atelier Tabard in Aubusson herstellt wurde.
Meterlang ist diese Arbeit von Maria Geroe-Tobler und Ursula Boehmer-Baechler von 1952 bis 1954 mit dem Titel Odysseus, die ich gar nicht als Ganzes fotografieren kann. Hier nur ein Ausschnitt, der mir besonders gut gefällt. Er zeigt Penelope am Webstuhl sitzend.
Nun zwei Arbeiten der polnischen Künstlerin Magdalena Abakanowicz (1930 bis 2017). Als eine der größten Künstlerinnen des vergangenen Jahrhunderts erlangte sie mit ihren Skulpturen Weltruhm, griff Themen auf, die auch heute noch aktuell sind, und hinterließ ein beeindruckendes Werk, das bis heute viele Künstler inspiriert. In den Niederlanden finden zur Zeit zu ihren Ehren große Ausstellungen im Textilmuseum in Tilburg, im Noordbrabants Museum und im Provinciehuis Noord-Brabant in ’s-Hertogenbosch statt.
Elsi Giauque-Kleinpeter (1900 bis 1989) war eine Schweizer Textilkünstlerin und Kunstlehrerin. Die Textilgestalterin Käthi Wenger (1922 bis 2017) war ab 1951 in Giauques Atelier für textile Experimente tätig und für die Ausführung vieler von Giauques bedeutendsten Arbeiten verantwortlich. Hier ihre Arbeit von 1967 bis 1968 mit dem Titel Theater – Hommage à Dürrenmatt. Sie besteht aus drei Lagen, ich hoffe man kann die Vorhanglagen im Detailfoto erkennen.
Zwei polnische Künstlerinnen als nächstes: Kazimiera-Gidaszewska mit der Arbeit Le Coquillage von 1974 und Krystyna-Wojtyna-Drouet mit der Arbeit Kropla, der Tropfen von 1973.
Aus derselben Zeit ist dieses Werk, eine Schnurmalerei. Die Arbeit stammt von der Schweizer Künstlerin Margrit Schlumpf-Portmann (1931 bis 2017) und trägt den Titel Wachstum.
Helen Frances Gregor war eine tschechoslowakisch-kanadische Textilkünstlerin (1921 bis 1989). Ihr Arbeit trägt den Titel Totem. In Europa stellte sie zweimal auf der „Triennale der Tapisserie“ in Łódź aus.
Von Corinne Odermatt stammt dieses Werk von 2021, das die Werbeplakate des Museums ziert. Es trägt den Titel There is a crack in everything (that’s how the light gets in). Es ist eine sogenannte Soft Sculpture aus Stoff, Acryl und Acrylwatte.
Amüsiert hat mich diese Arbeit von Isabelle Krieg mit dem Titel Life Jacket (Air) von 2018. Als hätte sie alle Jäckchen und Jacken eines heranwachsenden Kindes aufgehoben und dann übereinander dem Kleiderbügel gewissermaßen angezogen.
Abschließen möchte ich mit der Arbeit Säulen von Lili Binder-Wipf, sie stammt von 1986. Mir gefällt, wie es ihr gelingt, auf einem flächigen Gewebe den Eindruck der Dreidimensionalität zu erzeugen.
Noch einmal zu Wort kommen soll die Kuratorin der Ausstellung zum Thema Stellenwert der Textilkunst: „Die Textilkunst wurde erst in den 1960er Jahren so richtig populär. Natürlich gab es vorher schon Tapisserien. Es wurde schon sehr früh gesammelt. 1964 war die Ausstellung „Bewegte Formen“, die erstmals in Amerika gezeigt wurde mit Sheila Higgs, Leonore Tawney und Claire Zeisler. Sie wurde dann hier in Zürich gezeigt und da wurden dann bereits erste Stücke direkt aus der Ausstellung gekauft. “
Frau Flaschberger antwortet auf meine Frage, ob das Museum eigene Restauratoren beschäftige, das Museum habe einen festangestellten Restaurator und eine zweite Stelle, die aber für Nachwuchskräfte gedacht sei. Diese Stelle sei auf drei Jahre befristet. Die Personen kämen zumeist frisch aus der Ausbildung und brächten immer die letzten Trends mit. Das sei immer sehr anregend. Für die Textilkunst verfüge das Museum über externe Restauratoren.
Frau Flaschberger berichtet mir, dem Museum würden häufig Arbeiten angeboten. Die Erben von Künstlerinnen oder Künstlern wollten aber oft nur Werke wie Gemälde behalten, textile Arbeiten jedoch nicht. Die Erben würden dem Museum gern alles andere überlassen. Bei einem Nachlass, den das Museum bekommen habe, weil die Person ins Altersheim gezogen sei, werde sie anbieten, einzelne Objekte nicht in die Sammlung aufzunehmen. Stattdessen könnte man sie an die Vermittlungsabteilung geben, damit Besucher sie anfassen könnten – das ist im Museum sonst nicht möglich. Wenn diese Abteilung nichts haben wolle, müsse man ansonsten die Arbeiten zurückgeben. Wenn die Erben dann sagten, es solle weggeworfen werden, müssen man sich überlegen, was man tun könne. Es falle schwer, Dinge abzulehnen, aber das Museum müsse auch entscheiden, was es ausstellen könne.
Ich danke Frau Flaschberger für ihre Zeit und ihre interessanten Einblicke.
Ich wünsche mir weitere Ausstellungen, die die Textilkunst so großartig abbilden wie jetzt geschehen im Museum für Gestaltung in Zürich. Und ich wünsche mir, dass das Interesse an textiler Kunst weiter wächst.
Die Ausstellung
Textile Manifeste – Von Bauhaus bis Soft Sculpture
ist bis zum 13. Juli 2025 zu sehen
im Museum für Gestaltung
Ausstellungsstraße 60
8005 Zürich
Schweiz
https://museum-gestaltung.ch/de/ausstellung/textile-manifeste-von-bauhaus-bis-soft-sculpture