Der Name Schnuppe von Gwinner dürfte jeder Patchworkerin wohl bekannt sein, schon durch ihre Bücher. Inzwischen näht sie aber keine Quilts mehr, sie hat sich in ein andere Richtung bewegt. Es hat mich gefreut, dass sie bereit war, sich interviewen zu lassen und uns davon zu erzählen.
Sie sind studierte Kunsthistorikerin. Was hat Sie an diesem Studium gereizt?
Journalismus oder Kunst – zwischen diesen beiden konnte ich mich nicht entscheiden. Meine Mutter war als Textildesignerin sehr erfolgreich – das hat mich genauso „angesteckt“ wie die Profession des Korrespondenten für Die Zeit und den WDR, der seinerzeit im gleichen Haus wie meine Familie in Rom wohnte. Er vermittelte mir schon in der Schulzeit entsprechende Praktika. Als es dann mit dem Studium losging, arbeitete ich in den Sommer-Semesterferien häufig im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg – besonders gern bei Maritheres Preysing im Department Textil.
Das Reizvollste im Studium – und bis heute – ist mir die thematische Recherche. Ich liebe es, Neues zu beginnen und den Themen auf den Grund zu gehen.
1985 haben Sie mit anderen die Patchwork Gilde gegründet. Bitte erzählen Sie uns aus dieser Zeit.
In aller Kürze und so aus der Erinnerung war es so: 1983 gründeten Beatrijs Sterk und Dietmar Laue das Magazin „Deutsches Textilforum“ (TF) in Hannover. Eine Redaktion, der ich bis 1987 als freie Mitarbeiterin angehörte, veröffentlichte 4 Themenhefte im Jahr. Darüber hinaus veranstaltete TF internationale Konferenzen und Workshops zu diversen Textilthemen. 1984 wirkte ich am Themenheft „Patchwork-Quilt“ mit. Es erfuhr mehrere Auflagen, weil es zu dieser Zeit als erstes Medium viele relevante Protagonisten, Orte und Angebote, Kurse und Ausstellungen im deutschsprachigen Raum publizierte. Das traf den Nerv der Zeit! Viele Frauen und ein paar Männer in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich damals mit Patchwork beschäftigten, meldeten sich in der Redaktion. So organisierten wir 1985 auch ein erstes bundesweites Treffen auf dem Weberhof Delmenhorst – mit großartiger Resonanz.
Für die Verbreitung des Patchworks in den 80er Jahren spielte auch der Münchner Verein für Fraueninteressen eine große Rolle, ebenso wie die Volkshochschulen bundesweit, in Hamburg mit Chrilla Wendt und Christine Bell in der ersten Reihe.
Aus der Zusammenarbeit mit dem Textilmuseum Max Berk in Heidelberg und der Biennale-Gründerin Doris Winter ergab sich die Ausstellung der Heidelberger Quiltbiennalen von 1985 und 1987 in der Dreieinigkeits-Kirche im Hamburger Stadtteil St. Georg. Im November 1985, an meinem 31. Geburtstag, gründeten wir gemeinsam mit circa 30 Patchworkerinnen aus allen Teilen West-Deutschlands die Deutsche Pachtworkgilde e.V.!
Das war auch der Startschuss für ein eigenes Mitteilungsblatt, dessen Redaktion vier Mal im Jahr nicht nur zusammen kam, um die eingesammelten und geschriebenen Inhalte zu bearbeiten. Diese mussten auch am Kopierer von Hand vervielfältigt und mit einzeln eingeklebten, bunten Fotos von Patchworkquilts ergänzt werden. Dann wurden die Hefte zusammengestellt, in DIN A4-Umschläge gesteckt und an eine stetig wachsende Community versand. Wie ich lese, sind es heute 6000 Mitglieder! Da dürfen wir wirklich dankbar sein, dass es im Druckwesen seither doch einen erheblichen technischen Fortschritt gibt!
Sie haben dann selbst auch Patchworkquilts genäht?
Naja, eigentlich nicht wirklich. Als Hobby hatte ich früher sehr skurrile ausgestopfte Fantasietier-Trophäen aus Stoffresten genäht. Die theoretische Beschäftigung mit Patchwork machte mich dann doch neugierig und ich besorgte mir ein Anleitungsbuch.
So nähte ich zuerst ein riesiges Hexagon-Patchwork mit der Hand über Schablonen – ich konnte einfach nicht aufhören!
Dann kam Dorle Stern-Streater mit ihrem Kurs für Kurvenquilts nach Hamburg und ich war dabei! Das war der Anfang und ich war besessen davon, sehr eigenwillige Patchworks zu nähen, die sich nicht lange mit traditionellen Mustern aufhielten.
Ihr 1987 erschienenes Buch „Die Geschichte des Patchworkquilts“ ist inzwischen ein Klassiker und lange vergriffen. War es zum Beispiel schwierig, Beispiele für Patchwork in Deutschland zu finden?
Das Buch entstand in direkter Folge des Textilforum-Heftes, in dem ich u.a. einen längeren Beitrag über die „Geschichte des Patchworkquilts“ veröffentlicht hatte. Kurz nach dessen Erscheinen klingelte mein Telefon und der Verlag fragte, ob ich bereit wäre, ein ganzes Buch zum Thema zu schreiben? Natürlich – aber nur wenn ich auch den Nachweis erbringen dürfte, dass Patchworkquilts überhaupt nicht nur eine US-amerikanische Volkskunst sind. Der Verlag war einverstanden und ich hatte ein Jahr Zeit zu forschen: in öffentlichen und privaten Sammlungen, im In- und Ausland, mit Korrespondenzen in alle Welt. Das war damals noch weder über Google noch über spezielle Fachliteratur abrufbar.
Jedes historische Detail musste akribisch recherchiert werden. Zum Beispiel die Geschichte der deutschen Tuchintarsien und Lappenarbeiten seit 1500 – konnte ich in meinem Lieblingsmuseum für Kunst & Gewerbe in Hamburg als Vierländer Flickenkissen finden, im niederrheinischen Museum für Volkskunst Kevelaer als Hungertuch von Geldern, und ich wollte doch auch die Flickendecke aus dem städtischen Museum Bautzen wenigstens im Foto zeigen. 1986/1987 noch nicht so einfach.
Afrika, Asien, Europa – im Museum Berlin-Dahlem fand ich wunderbare Beispiele für Patchwork und Quilt. Aus Jahrhunderte alter Tradition, religiöse und/oder folkloristische Kunst, die die Auswanderer in die USA mitnahmen. Die dort durch ihren Mehrwert als Resteverwertung noch an Attraktion gewann. In einer Zeit, bis ins frühe 19. Jahrhundert, in der in Nordamerika eine relevante Tuchproduktion verboten war, um die Abhängigkeit der neuen Welt von Importen aus dem British Empire aufrecht zu erhalten.
Übrigens kaufte der Verlag Schiffer Publications 1987 gleich auf der Frankfurter Buchmesse die Lizenz und übersetzte das Buch: „The History of Patchworkquilts“ wurde als scheusslich gestaltetes Paperback für viele Jahre auch in den USA und Canada der Bestseller zum Thema.
In Ihrem ebenfalls vergriffenen 1993 erschienenen Buch „Textile Bilder“ geht es nicht mehr nur um Patchwork?
Ein wichtiges Buch folgte noch direkt aus der Arbeit zur „Geschichte“, deren letztes Kapitel „Auf dem Weg zur Quiltkunst“ ja die Highlights der damals zeitgenössischen Szene vorstellt. Viel zu wenig Platz! Also machten Beatrijs Sterk und ich uns gleich daran, das viele Material zum zeitgenössischen Patchworkquilt in ein weiteres Handbuch „Patchwork Quilt“ zu überführen. Aus 138 Einsendungen aus 16 Ländern stellten wir eine Galerie von 76 Werken von 66 Künstlern zusammen, dazu Informationen zu Sammlungen, Museen, Kursveranstaltern, Quellen für Material und Zubehör, internationale Bibliographien etc.pp – ein tolles Buch!
1993 erschien der kleine blaue Katalog (ein paar davon gibt es noch) „Textile Bilder“ zur Solo-Ausstellung meiner Werke in Hamburg. Ich setzte, nachdem 1987 die „Geschichte des Patchworkquilts“ und mein drittes Kind erschienen waren, meine Prioritäten etwas anders. Ich engagierte mich in der noch jungen Patchwork Gilde und organisierte und kuratierte diverse ambitionierte Textilkunstausstellungen, nicht zuletzt 1991 in Hannover anlässlich der ITMA – der weltgrössten internationalen Messe für Textil- und Bekleidungstechnologie . Ich durfte auch in vielen internationalen Wettbewerbs- und Ausstellungs-Juries mitarbeiten.
Vor allem aber entwarf und nähte ich selbst Patchworks und erfand die Herrenfliege neu. Aber das ist eine andere Geschichte 😉
Sie haben dann zahlreiche weitere Bücher veröffentlicht. Bitte nennen Sie uns einige Titel.
Nun, ich habe 1999 noch ein großes, konzeptionell recht anspruchsvolles Buch für die Arbeitsgemeinschaft des Kunsthandwerks (ADK) in Hamburg entwickelt und redaktionell begleitet. Desgleichen einen sehr fein gestalteten Stadtplan für die ADK als Werbetool, der auch einige Auflagen erfahren hat.
Für dieses Stadtplankonzept als Wegweiser zu kreativen Werkstätten und Studios – nicht nur als Print sondern auch online – konnte ich hier in Leipzig, wo ich nun seit elf Jahren wohne, den Freundeskreis des GRASSI MAK im Jahr 2020 als Herausgeber für „Handwerkskunst-Leipzig“ gewinnen. Gerade bereite ich den Druck der 4.Auflage vor.
Sie haben viele Jahre Beiträge für die Zeitschrift textilkunst international verfasst, die es nun leider nicht mehr gibt. Gibt es Alternativen?
Ja – zur Besonderheit der textilkunst international habe ich auf meinem Blog einen sehr umfassenden Beitrag geschrieben, damit man sich einmal vor Augen führen kann, was für ein kultureller Schatz da mir nichts dir nichts unrettbar versunken ist. Für alle Untröstlichen bleibt vielleicht noch die Zeitschrift „… textil ... „ Wissenschaft Forschung Bildung“ oder das internationale Fachmagazin für die Textil- und Modeindustrie „textile network“ oder der Textile Forum Blog von Beatrijs Sterk, Herausgeberin des Textilforum Magazins (1982 bis 2013), die vor allem der großen, internationalen Textilkunst ihr Herz und kluge Analysen schenkt. Online gibt es ja auch noch Ihre Textile Art Berlin Plattform – ein anderes Konzept, doch auch sehr wertvoll.
Sie verfassen Portraits über Designer und Kreative, Reiseberichte und Essays. Bitte nennen Sie uns ein paar Beispiele.
Über die Jahrzehnte schrieb ich unzählige Essays und Texte für Ausstellungs- und Künstlerkataloge – aber auch für Publikumsmagazine und Zeitschriften – die jüngeren sind auf meiner Homepage aufgelistet. Viele Printmedien wurden inzwischen eingestellt, wie z.B. „HandmadeKultur“, für die ich die Jahre ihres Bestehens regelmässig Beiträge lieferte.
Für die Zeitschrift „Kunsthandwerk & Design“ (2013 eingestellt) schrieb ich 30 Jahre lang regelmässig Künstlerportraits und Ausstellungsbesprechungen – 17 davon publizierte ich 2011 in dem Buch „Originale“- 17 Begegnungen mit der Kunst des Handgemachten“ – auch davon gibt es noch ein paar wenige Restexemplare.
Mein Themenspektrum umfasst nicht nur Textiles sondern generell Handwerk und Design. Digitale Formate ersetzen zunehmend die gedruckten Medien. Seit 2005 betreibe ich selbst den Blog zur europäischen Handwerks- und Designkultur mit einem täglichen Post, der heute für einige tausend Aficionados eine zentrale Informationsquelle ist. Im Auftrag des GRASSI Museum für angewandte Kunst schreibe ich seit 2017 den Grassi Blog.
Seit dem Jahr 2000 befassen Sie sich mit der kreativen Vermittlung und Vermarktung von europäischem Handwerksdesign. Können Sie uns ein paar Beispiele für die Einbindung von Gestaltern aus Kunsthandwerk und Design nennen?
Ja, die Jahrtausendwende setzte auch für mich selbst eine folgenreiche Zäsur. Hinter mir lag eine erfolgreiche Karriere als Textilkünstlerin. Meine innovative Patchworktechnik erlaubte mir große gestalterische Freiheit, die nicht nur mit Preisen, wie z.b. dem Bayerischen Staatspreis, belohnt wurde. Sie verhalf mir zu vielen öffentlichen und privaten Aufträgen. Ich nahm mit meinen „textilen Bildern“ an vielen Ausstellungen teil und selbst einige Museen (Museum Schloß Gottorp, Schleswig; Museum für Kunst & Gewerbe, Hamburg; Grassimuseum für Angewandte Kunst, Leipzig) bewahren besondere Stücke in ihren Sammlungen. Besondere Aufträge waren z.B. die Wandbilder für die Captain’s Lounge des Containerschiffs „Ludwigshafen“ von HapagLloyd 1992 oder die 12 Paneele (80 auf 240 cm) zum „Jahreslauf,“ die 1998/99 die Rotunde des Treppenhause im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg schmückten. Circa hundert Textilbilder habe ich von 1985 bis 1999 genäht.
Ende 1999 schloss ich mein Studio in einem Atelierhaus an der Hamburger Hoheluftchaussee, ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte.
In den Jahren vorher hatte ich mich schon im Bereich Kulturmarketing fortgebildet und erste Erfahrungen gesammelt, das wollte ich gerne weiter verfolgen. Ich bin viersprachig aufgewachsen, meine Kinder wurden langsam flügge… ich hoffte auf etwas Neues.
Die Stadt Hamburg suchte als Partnerstadt in einem zeitlich begrenzten, europäischen Handwerksprojekt jemanden für das Projektmanagement – und schon hatte ich einen Job. Schnell kam das internationale Marketing hinzu. Vier Jahre lang arbeitete ich im Projekt „Eurocraft“, beriet Handwerkskünstler in Rhodos, Sizilien, Belfast und Hamburg, konzipierte den „Europäischen Tisch“ als Marketingtool für europäische Handwerksbetriebe, unterstützte sie bei ihren Messepräsentationen und der Entwicklung individueller Marketingkonzepte. Das war eine aufregende und reiche Zeit, aus der mir schliesslich eine Menge wertvoller Kontakte und Aufträge sowie eine rundum ausgestattete Ladengalerie in Hamburg Eppendorf blieben.
2004 haben Sie craft2eu gegründet. Was waren Ihre Beweggründe und Ziele?
Das hatte ich nie so geplant, aber wo es nun schon mal da war, wurde „craft2eu“ daraus . Hier wollte ich bei der Vermarktung von Handwerkskunst kompromisslos alles „richtig“ machen, Ein spektakulärer „white cube“ Showroom mit erleuchteten Nischen und an der Decke hängenden, fahrbaren Vitrinen bot den Rahmen für Themenausstellungen mit handverlesenem Handwerksdesign aus den besten Werkstätten Europas. Dazu kamen eine selbst konzipierte Homepage mit Shop (2004!), ausgefeilte Pressearbeit und überraschende Ideen für die Kommunikationsarbeit.
Sehr schnell ergaben sich gute Beziehungen zu den Redakteuren und Stylisten der Publikumsmagazine, Interior, Kulinarik und Lifestyle, die gerne Gebrauch von den besonderen Objekten machten. Über die Ausleihe für Fotoshootings landeten die craft2eu-Preziosen auf den bunten Seiten und prompt bekamen der virtuelle wie der analoge Shop zu tun. Das klar kuratierte Profil des wertvollen Angebots von craf2teu begünstigte den Verkauf aber auch die Vermittlung von Kooperationen und Aufträgen an die Gestalter.
Dafür musste ich allerdings ständig durch Europa reisen um keine Neuigkeit auf den Messen, in den Ateliers und an den Hochschulen zu verpassen. Hinzu kam der aufwendige Betrieb der Galerie… den ich dann 2014 zu Gunsten reiner Virtualität aufgab. Fast! Als Pop up europäischer Handwerkskunst tauchte craft2eu noch einige Male zur Grassimesse in Leipzig auf, zuletzt 2022 „a la francaise“ mit einer Präsentation der Werke von 12 GestalterInnen aus Frankreich.
Meine Erfahrungen im kreativen Marketing durfte ich im Rahmen von Lehraufträgen in vielen Workshops an Designhochschulen (HAW Hamburg; Burg Giebichenstein, Halle u.a.) und anlässlich von Design-Veranstaltungen teilen – zu einer Zeit wo sich die bundesweiten Initiativen für die Kreativwirtschaft noch nicht etabliert hatten. Vor allem Projekte in England, Irland und Dänemark boten mir wertvolle Einblicke in eine kreative Selbständigkeit von Kunsthandwerkern und Designern, wie sie bei uns in Deutschland noch nicht üblich war. Alles in allem habe ich das Gefühl, in diesen Dingen immer etwas „zu früh“ gewesen zu sein. Für so vieles, was heute glücklicherweise selbstverständlich ist, musste man vor gar nicht langer Zeit noch kämpfen.
Bei weiterführendem Interesse empfehle ich meine Homepage, die aus technischen Gründen allerdings nur die „jüngeren“ Projekte vorstellt.
https://www.schnuppevongwinner.de/

